Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski
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Читать онлайн книгу Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski страница 42
»Der ist ja auch da! Der auch!« kreischte Fjodor Pawlowitsch, der sich über Aljoschas Kommen gewaltig freute. »Gesell dich zu uns, setz dich, trink ein Täßchen Kaffee, das ist ja ein Fastengetränk, und heiß ist er und ausgezeichnet! Kognak biete ich dir nicht an, du hast die Fasten einzuhalten. Oder willst du welchen, willst du? Nein, ich will dir lieber einen kleinen Likör, geben, der ist ganz vorzüglich. Smerdjakow, geh doch mal zum Schränkchen, auf dem zweiten Regal rechts sind die Schlüssel, schnell!«
Aljoscha lehnte auch den Likör ab.
»Gebracht soll er doch werden! Wenn nicht für dich, dann für uns«, entschied Fjodor Pawlowitsch mit strahlendem Gesicht. »Aber halt, hast du schon zu Mittag gegessen?«
»Ja, ich habe gegessen«, antwortete Aljoscha, der in Wirklichkeit in der Küche des Abtes nur ein Stück Brot gegessen und ein Glas Kwaß getrunken hatte. »Aber eine Tasse heißen Kaffee trinke ich gern.«
»Du lieber Junge! Du braver Junge! Er trinkt ein Täßchen Kaffee! Ob wir den Kaffee noch einmal anwärmen? Aber nein, er ist ja noch kochend. Es ist vorzüglicher Kaffee, Smerdjakows Leistung. In Kaffee und Fischpasteten ist mein Smerdjakow ein wahrer Künstler, und dann auch noch in Fischsuppe, wahrhaftig. Du mußt mal unsere Fischsuppe essen kommen, gib uns nur vorher Bescheid. Aber warte mal, warte mal ... Ich hatte dir heute mittag befohlen, noch heute endgültig hierher überzusiedeln, mit Matratze und Kopfkissen. Hast du deine Matratze hergeschleppt? Hehehe!«
»Nein, ich habe sie nicht mitgebracht«, antwortete Aljoscha, ebenfalls lächelnd.
»Aber einen Schreck hast du heute mittag doch bekommen, einen Schreck hast du doch bekommen, nicht wahr? Ach du, mein Täubchen, ich kann dir ja nichts zuleide tun. Hör mal, Iwan, ich kann einfach nicht gleichgültig bleiben, wenn er mir so in die Augen sieht und lacht! Ich kann es nicht. Das ganze Herz muß über ihn lachen, ich habe ihn zu lieb! Aljoscha komm her, ich will dir meinen väterlichen Segen geben.«
Aljoscha stand auf, doch Fjodor Pawlowitsch hatte sich bereits eines anderen besonnen.
»Nein, nein, ich will jetzt nur ein Kreuz über dir machen. So, und nun setz dich wieder hin. Na, jetzt wirst du einen Spaß haben, wir reden gerade über ein Thema, das in dein Fach schlägt. Du wirst dich satt lachen. Bei uns hat Bileams EselinBileams Eselin – die Eselin des Propheten Bileam, die die ihm Gottes Befehl verkündete (Altes Testament) angefangen zu reden, und wie sie redet, wie sie redet!«
Bileams Eselin – die Eselin des Propheten Bileam, die die ihm Gottes Befehl verkündete (Altes Testament)
Bileams Eselin war, wie sich herausstellte, der Diener Smerdjakow. Ein noch junger Mensch, erst ungefähr vierundzwanzig Jahre alt, war er in hohem Grade ungesellig und schweigsam. Nicht daß er schüchtern war oder sich über irgend etwas schämte, im Gegenteil, er hatte einen hochmütigen Charakter und schien auf alle Menschen herabzusehen. Aber ich kann jetzt nicht umhin, wenigstens ein paar Worte über ihn zu sagen. Das dürfte gerade jetzt angebracht sein. Erzogen hatten ihn Marfa Ignatjewna und Grigori Wassiljewitsch, doch der Knabe wuchs »ohne jede Dankbarkeit« auf, wie Grigori sich ausdrückte, als ein scheues Kind, das aus seinem Winkel die anderen anschaute. In seiner Kindheit liebte er es, Katzen aufzuhängen, und beerdigte sie dann mit allen Zeremonien. Er drapierte sich zu diesem Zweck mit einem Bettlaken, das ein Meßgewand darstellen sollte, und sang und schwenkte etwas über der toten Katze hin und her, als ob er mit Weihrauch räucherte. Alles das tat er ganz leise, mit größter Heimlichkeit. Grigori überraschte ihn einmal bei dieser Beschäftigung und züchtigte ihn empfindlich. Der Knabe ging in eine Ecke und sah eine Woche lang alle schief an. »Er mag uns nicht, dieser Unmensch«, sagte Grigori zu Marfa Ignatjewna. »Er liebt überhaupt niemand. Bist du eigentlich ein Mensch?« wandte er sich plötzlich an Smerdjakow. Du bist kein Mensch, du bist aus der schleimigen Nässe des Badehauses entstanden! So einer bist du ...« Diese Worte hatte ihm Smerdjakow, wie sich später herausstellte, nie verziehen. Grigori lehrte ihn lesen und schreiben und unterrichtete ihn, als er zwölf Jahre alt war, in der biblischen Geschichte. Aber die Sache nahm bald ein jähes Ende. Schon in der zweiten oder dritten Unterrichtsstunde fing der Knabe auf einmal an zu lächeln.
»Was hast du?« fragte Grigori und blickte ihn unter der hochgeschobenen Brille hervor drohend an.
»Nichts. Gott der Herr schuf das Licht am ersten Tage, aber die Sonne, den Mond und die Sterne am vierten Tage. Woher leuchtete das Licht denn am ersten Tage?«
Grigori war verblüfft. Der Knabe blickte seinen Lehrer spöttisch an. In seinem Blick lag sogar etwas Hochmütiges. Das ertrug Grigori nicht.
»Daher, siehst du wohl!« rief er und schlug den Schüler wütend auf die Backe. Der Knabe nahm die Ohrfeige wortlos hin, verkroch sich aber wieder einige Tage in seinen Winkel. Doch eine Woche darauf trat bei ihm zum erstenmal die Epilepsie auf, die ihn dann sein ganzes Leben lang nicht wieder verließ.
Als Fjodor Pawlowitsch davon erfuhr, änderte er plötzlich sein Verhalten dem Knaben gegenüber. Früher hatte er ihn immer wieder mit einer gewissen Gleichgültigkeit angesehen, obwohl er ihn nie gescholten und ihm, wenn er ihm begegnete, stets eine Kopeke gegeben hatte. Wenn er gut gelaunt war, hatte er dem Knaben manchmal etwas Süßes von seinem Tisch geschickt. Nachdem er von der Krankheit gehört hatte, fing er an, sich wirklich um ihn zu kümmern, ließ einen Arzt rufen und wollte den Knaben heilen lassen, doch es stellte sich heraus, daß eine Heilung unmöglich war. Im Durchschnitt stellten sich die Anfälle einmal im Monat ein, und zwar zu verschiedenen Zeiten. Sie waren verschieden heftig, manche leicht, andere schwer. Fjodor Pawlowitsch verbot seinem Diener Grigori nun aufs strengste, den Knaben zu züchtigen, und ließ ihn von jetzt an häufig in seine eigene Wohnung kommen. Auch untersagte er einstweilen, ihn irgendwie zu unterrichten. Aber einmal, als der Knabe schon fünfzehn Jahre alt war, bemerkte Fjodor Pawlowitsch, daß er sich in der Nähe des Bücherschrankes umhertrieb und durch die Glasscheibe die Titel der Bücher las. Fjodor Pawlowitsch besaß ziemlich viele Bücher, über hundert Bände, doch hatte ihn selbst noch niemand mit einem Buch in der Hand gesehen. Er gab dem kleinen Smerdjakow sogleich den Schlüssel zum Schrank. »Na, dann lies, du sollst mein Bibliothekar sein! Statt auf dem Hof herumzubummeln – setz dich, hin und lies! Da, lies mal dieses Buch!« Und Fjodor Pawlowitsch nahm Gogols »Abende auf dem Vorwerk bei Dikanka« heraus.
Der Knabe las das Buch. Doch es befriedigte ihn nicht, er lächelte kein einziges Mal, im Gegenteil. Als er fertig war, machte er ein finsteres Gesicht.
»Nun, ist das nicht lustig?« fragte Fjodor Pawlowitsch.
Smerdjakow schwieg.
»So antworte doch, Dummkopf!«
»Was da drinsteht ist ja alles nicht wahr«, murmelte Smerdjakow lächelnd.
»Na, scher dich zum Teufel, du Dienerseele! Warte mal, da hast du Smaragdows ›Allgemeine Weltgeschichte‹. Lies die, darin ist alles wahr.«
Aber Smerdjakow las nicht einmal zehn Seiten im Smaragdow, es kam ihm langweilig vor. So wurde denn der Bücherschrank wieder zugeschlossen.
Bald darauf berichteten Marfa und Grigori ihrem Herrn von einer eigentümlichen Angewohnheit Smerdjakows. Bei ihm hatte sich eine seltsame, peinliche Mäkligkeit herausgebildet. Wenn er Suppe aß, nahm er den Löffel und rührte und suchte mit ihm in der Suppe herum, beugte sich vor, sah genauestens hin, schöpfte einen Löffel voll und hielt ihn ans Licht.
»Hast