Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski
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Читать онлайн книгу Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski страница 51
»Ja, ja so ist es!« stimmte Aljoscha lebhaft zu. »Es scheint mir selbst jetzt so.«
»Wenn es sich so verhält, ist er noch nicht zugrunde gegangen! Er ist nur verzweifelt, und ich kann ihn noch retten. Warten Sie, hat er nicht noch etwas über Geld gesagt? Über dreitausend Rubel?«
»Gerade dies bedrückt ihn vielleicht am allermeisten. Er sagt, er habe seine Ehre verloren, und jetzt sei schon alles gleich«, antwortete Aljoscha mit Wärme, da er mit seinem ganzen Herzen neue Hoffnung aufkeimen fühlte, die Hoffnung, daß es wirklich noch einen Ausweg und Rettung für seinen Bruder gibt. »Wissen Sie denn von diesem Geld?« fügte er hinzu und verstummte plötzlich.
»Ich habe längst Kenntnis davon, ganz zuverlässig. Ich habe telegrafisch in Moskau angefragt und weiß, daß das Geld nicht eingetroffen ist. Er hat es nicht abgeschickt, doch ich habe geschwiegen. In der letzten Woche erfuhr ich, daß es ihm immer noch sehr an Geld mangele. Ich verfolgte mit meinem Verhalten nur dieses eine Ziel: er sollte wissen, an wen er sich zu wenden hat und wer sein treuester Freund ist. Aber nein, er will nicht glauben, daß ich sein treuester Freund bin. Er will mich nicht näher kennenlernen, er sieht in mir nur die Frau. Die ganze Woche hat mich eine furchtbare Sorge gequält. Wie soll ich es anfangen, daß er sich vor mir nicht wegen dieser dreitausend Rubel schämt? Das heißt, mag er sich vor allen Menschen und vor sich selbst schämen, nur vor mir nicht! Er sagt ja auch Gott alles, ohne sich zu schämen. Warum weiß er bis jetzt nicht, wieviel ich für ihn ertragen kann? Warum, warum kennt er mich nicht? Wie ist es möglich, daß er mich nach allem, was geschehen ist, noch nicht kennt? Ich will ihn für immer retten. Soll er vergessen, daß ich seine Braut bin – aber vor mir um seine Ehre zu fürchten! Er hat sich auch nicht gefürchtet, Ihnen alles zu enthüllen, Alexej Fjodorowitsch warum verdiene ich noch immer nicht dasselbe?«
Während sie die letzten Worte sprach, traten ihr Tränen in die Augen.
»Ich muß Ihnen noch mitteilen«, sagte Aljoscha ebenfalls mit zitternder Stimme, »was soeben zwischen ihm und dem Vater vorgefallen ist.«
Und er erzählte die ganze Szene, erzählte, wie er hingeschickt wurde, um Geld zu erbitten, wie Dmitri hereingestürzt kam, den Vater mißhandelte und nachher ihm, Aljoscha, noch einmal und mit besonderem Nachdruck auftrug, er lasse sie grüßen. »Und alles wegen dieser Frau. Ihretwegen ist er auch gekommen ...«, fügte Aljoscha leise hinzu.
»Und Sie meinen, daß ich sie nicht ertrage? Er meint, daß ich sie nicht ertrage? Er wird sie gar nicht heiraten«, rief sie und lachte plötzlich nervös auf. »Kann ein Karamasow etwa lebenslänglich von so einer Leidenschaft glühen? Das ist Leidenschaft, nicht Liebe. Er wird sie nicht heiraten, weil sie ihn gar nicht nehmen wird«, schloß Katerina Iwanowna und lächelte dabei wieder seltsam.
»Vielleicht wird er sie doch heiraten«, sagte Aljoscha traurig, mit niedergeschlagenen Augen.
»Er wird sie nicht heiraten, sage ich Ihnen! Dieses Mädchen ist ein Engel, wissen Sie das? Wissen Sie das?« rief Katerina Iwanowna plötzlich mit ungewöhnlicher Wärme. »Sie ist das phantastischste aller phantastischen Geschöpfe! Ich weiß, wie verführerisch sie ist – aber ich weiß auch, wie gut und fest und edel sie ist. Warum sehen Sie mich so an, Alexej Fjodorowitsch? Vielleicht wundern Sie sich über meine Worte, vielleicht glauben Sie mir nicht? Agrafena Alexandrowna, mein Engel!« rief sie, plötzlich mit Blick zum Nebenzimmer. »Kommen Sie, ein lieber Mensch ist hier. Aljoscha ist hier, er weiß alles von uns, zeigen Sie sich ihm!«
»Ich habe gewartet, daß Sie mich rufen«, sagte eine sanfte, sogar etwas süßliche Frauenstimme.
Die Portiere wurde beiseite genommen, und Gruschenka trat herein – mit fröhlichem, lachendem Gesicht. Aljoscha hatte das Gefühl, als ob sich in seinem Innern etwas verzog. Er heftete seinen Blick auf sie, konnte die Augen nicht von ihr abwenden. Da war sie nun, diese schreckliche Frau, »die Bestie«, wie sein Bruder Iwan sie vor einer halben Stunde genannt hatte. Und doch schien ein ganz gewöhnliches, einfaches Wesen vor ihm zu stehen, eine gute, liebe Frau, zwar schön, doch allen anderen schönen, aber »gewöhnlichen« Frauen ganz ähnlich. Freilich, schön war sie, sehr schön sogar – eine russische Schönheit, wie sie viele so leidenschaftlich lieben. Sie war ziemlich groß, jedoch etwas kleiner als Katerina Iwanowna, von angenehmer Fülle, mit weichen, unhörbaren Bewegungen, die wie ihre Stimme etwas eigenartig Manieriertes, Süßliches hatten. Sie trat nicht wie Katerina Iwanowna mit kräftigen, munteren Schritten näher, sondern vielmehr unhörbar; ihre Füße waren auf dem Fußboden überhaupt nicht zu vernehmen. Weich ließ sie sich in einen Lehnsessel sinken, weich raschelte sie mit ihrem prächtigen schwarzseidenen Kleid, und zärtlich hüllte sie ihren weißen, vollen Hals und ihre breiten Schultern in einen teuren schwarzen Wollschal. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, und ihr Gesicht entsprach genau diesem Alter. Sie hatte einen sehr weißen Teint mit einem hellrosa Anflug auf den Wangen. Der Schnitt ihres Gesichts machte den Eindruck, als ob er etwas zu breit sei, der Unterkiefer trat sogar ein wenig vor. Die Oberlippe war schmal; aber die untere, die etwas vorragte, war noch einmal so voll und sah wie geschwollen aus. Das wunderbar volle, dunkelblonde Haar, die dunklen, dichten Brauen und die aufreizenden graublauen Augen mit den langen Wimpern hätten auch den gleichmütigsten, zerstreutesten Menschen irgendwo in der Menge, auf der Promenade, im Gedränge veranlaßt, vor diesem Gesicht stehenzubleiben und es lange im Gedächtnis zu behalten. Was Aljoscha an diesem Gesicht am meisten überraschte, war sein kindlicher, harmloser Ausdruck. Sie blickte wie ein Kind und trat mit einem Gesicht voll kindlicher Freude an den Tisch, wie wenn sie für den nächsten Augenblick mit der kindlichsten Ungeduld und der zutraulichsten Neugier etwas Erfreuliches erwartete. Ihr Blick machte die Seele heiter, das fühlte Aljoscha. Es war noch etwas an ihr, worüber er sich nicht in klarer Weise Rechenschaft geben konnte, was aber vielleicht auch ihm unbewußt fühlbar wurde: wieder diese Weichheit und Sanftheit der Körperbewegungen, ihre katzenartige Unhörbarkeit. Und doch war dies ein kräftiger, üppiger Körper. Unter dem Schal traten die breiten, vollen Schultern und die hohe, noch ganz jugendliche Brust hervor. Dieser Körper versprach vielleicht die Formen einer Venus von Milo, wenn auch schon in etwas vergrößertem Maßstab, wie sich ahnen ließ. Kenner russischer Frauenschönheit hätten bei Gruschenkas Anblick mit Sicherheit vorhersagen können, diese frische, noch jugendliche Schönheit werde mit dreißig ihr Ebenmaß verlieren und auseinandergehen, das Gesicht werde etwas Verschwommenes bekommen; mit kleinen Runzeln um die Augen und auf der Stirn, seine Farbe werde gröber, vielleicht purpurrot werden – kurz, eine Schönheit für den Augenblick, eine flüchtige Schönheit, wie man sie häufig, besonders unter den russischen Frauen findet. An so etwas dachte Aljoscha selbstverständlich nicht, doch obwohl er bezaubert war, fragte er sich, unangenehm berührt und nahezu bedauernd, warum sie die Worte so in die Länge zog und nicht natürlich sprechen konnte. Sie tat das offenbar, weil sie dieses Dehnen und diese manierierte Aussprache der Silben für schön hielt. Das war freilich bloß eine schlechte, unfeine Angewohnheit, die davon zeugte, daß sie nur eine geringe Bildung genossen und sich von Kindheit an einen falschen Begriff von Wohlanständigkeit zu eigen gemacht hatte. Aljoscha indessen erschienen diese Aussprache und dieser Tonfall als krasser Widerspruch zu diesem kindlich-harmlosen, fröhlichen Gesichtsausdruck, zu diesem stillen, glücklichen, kindlichen Glanz in den Augen.
Katerina Iwanowna ließ sie auf einem Lehnstuhl gegenüber Aljoscha Platz nehmen und küßte sie voller Entzücken mehrere Male auf ihre lachenden Lippen. Sie schien in sie geradezu verliebt.
»Wir