Der Traum. Emile Zola

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Der Traum - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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Honig bestrichenen Märtyrer den Fliegen aus; lassen sie barfuß über Glasscherben und glühende Kohlen gehen; stoßen sie in Schlangengruben; geißeln sie mit Peitschen, die mit Bleikugeln versehen sind; nageln sie bei lebendigem Leibe in Särge ein, die sie ins Meer werfen; hängen sie an den Haaren auf und zünden sie dann an; gießen ungelöschten Kalk, kochendes Pech, geschmolzenes Blei in ihre Wunden; setzen sie auf erzene Sessel, die bis zum Weißglühen erhitzt werden; drücken ihnen rotglühende Helme auf den Schädel; verbrennen ihre Lenden mit Fackeln, zerbrechen die Schenkel auf Ambossen, reißen ihnen die Augen aus, schneiden die Zunge ab, zerbrechen die Finger einen nach dem anderen. Doch das Leiden zählt nicht, die Heiligen bleiben voller Verachtung, trachten voller Eile und Freude danach, noch mehr zu leiden. Im übrigen werden sie durch ein fortwährendes Wunder geschützt, sie ermüden die Henker. Johannes trinkt Gift, und es kann ihm nichts anhaben. Sebastian37 lächelt, von Pfeilen durchbohrt. In anderen Fällen bleiben die Pfeile zur Rechten und zur Linken des Märtyrers in der Luft stehen; oder, vom Bogenschützen abgeschossen, kehren sie wieder zurück und stechen diesem die Augen aus. Die Märtyrer trinken geschmolzenes Blei wie eisgekühltes Wasser. Löwen werfen sich vor ihnen nieder und lecken ihnen die Hände wie Lämmer. Der glühende Rost ist für den heiligen Laurentius38 von angenehmer Kühle. Er schreit: »Siehe, Elender, die eine Seite hast du gebraten, brate auch die andere, und iß, denn sie ist genug gebraten.« Cäcilia, die in ein siedendes Bad gesteckt wurde, »blieb darin als an einem kühlen Ort und empfand keinen Tropfen Schweißes«. Christina können die Martern nichts anhaben: ihr Vater läßt sie von zwölf Männern schlagen, bis diese vor Erschöpfung zusammenbrechen; ein anderer Henker tritt an ihre Stelle, bindet sie auf ein Rad, zündet darunter Feuer an, aber die Flamme fährt zur Seite und tötet bei fünfzehnhundert Mann; er wirft sie ins Meer, mit einem großen Stein am Hals, aber die Engel halten sie alsbald über dem Wasser; Jesus selbst kommt, sie zu taufen, danach übergibt er sie dem Erzengel Michael, der führt sie wieder an das Land zurück; ein weiterer Henker schließlich sperrt sie mit Schlangen zusammen, die sich ihr liebkosend um den Hals ringeln, läßt sie fünf Tage lang in einen feurigen Ofen sperren, darin sie singt und keinen Schaden leidet. Vincentius39, der noch mehr erduldet, leidet dennoch keinen Schmerz: man zerbricht ihm die Glieder; man reißt ihm mit eisernen Kämmen die Rippen auf, daß ihm die Eingeweide aus dem Leibe hängen; man spickt ihn mit Nadeln; man wirft ihn auf die Kohlenglut, in die das Blut aus seinen Wunden fließt; man schließt ihn wieder in den finstersten Kerker, die Füße an einen Pfahl genagelt; und zerstückelt, geröstet, mit offenem Leibe lebt er immer noch; und seine Martern werden verwandelt in die Lieblichkeit der Blumen; unermeßliches Licht vertreibt die Finsternis des Kerkers. »Da er also mit den Engeln über die Blumen schritt und Gott lobte, erscholl der süße Gesang weithin, und der liebliche Duft der Blumen breitete sich umher. Darob erschraken die Wächter und schauten durch die Spalten des Kerkers: da wurden sie gläubig von dem, was sie sahen. Als Dacianus40 das hörte, geriet er außer sich und rief: ›Was mögen wir ferner tun? Weh, wir sind überwunden.‹« Solches ist der Schrei der Folterknechte, es kann nur mit ihrer Bekehrung oder mit ihrem Tode enden. Ihre Hände werden von Lähmung befallen. Sie nehmen ein gewaltsames Ende, Fischgräten erwürgen sie, der Blitz erschlägt sie, ihre Wagen zerschellen. Und die finsteren Kerker der Heiligen werden alle licht, Maria und die Apostel dringen durch die Mauern mit Leichtigkeit hinein. Immerwährender Beistand, Erscheinungen steigen vom offenen Himmel hernieder, wo Gott sich zeigt, eine Krone aus Edelsteinen in den Händen haltend. Daher auch ist der Tod freudenreich. Sie fordern ihn heraus, die Verwandten frohlocken, wenn einer der Ihren umkommt. Auf dem Berge Ararat hauchen zehntausend Gekreuzigte ihr Leben aus. Nahe bei Köln lassen sich elftausend Jungfrauen von den Hunnen niedermetzeln. In den Arenen krachen die Knochen unter den Zähnen der wilden Tiere. Im Alter von drei Jahren erleidet Quiricus41, den der Heilige Geist wie einen Mann sprechen läßt, den Märtyrertod. Kinder an der Mutterbrust beschimpfen die Henker, Verachtung, Verabscheuung des Fleisches, des menschlichen Gelumpes, würzt den Schmerz mit himmlischer Wonne. Soll man das Fleisch nur zerreißen, soll man es zerbrechen, es verbrennen, das tut gut; mehr und immer mehr, niemals wird es genug Todesqualen leiden; und sie rufen alle, man solle ihnen das Eisen, das Schwert in die Brust stoßen, das allein sie tötet. Eulalia42 auf ihrem Scheiterhaufen inmitten eines verblendeten Pöbels, der sie verhöhnt, atmet die Flamme ein, um schneller zu sterben. Gott erhört sie, eine weiße Taube fliegt aus ihrem Munde und steigt zum Himmel auf.

      Als Angélique dies las, befiel sie höchste Verwunderung. So viele Greuel und diese sieghafte Freude brachten sie vor Entzücken außer sich, entrückten sie der Wirklichkeit. Aber andere, sanftere Stellen aus der »Legenda aurea« ergötzten sie überdies, die Tiere zum Beispiel, die ganze Arche Noah und alles, was darin kreucht und fleucht. Sie nahm Anteil an den Raben und Adlern, die damit beauftragt sind, die Einsiedler mit Nahrung zu versorgen. Und dann, wie viele schöne Geschichten über die Löwen! Der dienstfertige Löwe, der das Grab für Maria Aegyptiaca gräbt; der flammende Löwe, der die Tür der verrufenen Häuser bewacht, als die Prokonsuln die Jungfrauen dorthin bringen lassen; und dann noch der Löwe des Hieronymus43, dem man einen Esel anvertraut hat, der ihm gestohlen wird und den er wieder zurückbringt. Da war auch noch der Wolf, der, von Reue gepackt, ein gestohlenes Schwein zurückbringt. Bernhard tut die Fliegen in den Bann, und sie fallen tot hernieder. Remigius44 und Blasius45 speisen die Vögel an ihrem Tische, segnen sie und geben ihnen die Gesundheit wieder. Franciscus46 predigt ihnen »voll Taubeneinfalt«, ermahnt sie, Gott zu lieben. »Neben seiner Zelle saß ein Heimlein auf einem Feigenbaum und sang; da rief Sanct Franciscus ihm und reckte die Hand nach ihm aus und sprach: ›Komm zu mir, meine Schwester Cicada‹; da war sie ihm gehorsam und flog auf seine Hand. Da sprach er: ›Sing, meine Schwester Cicada, und lobe deinen Herrn.‹ Da sang sie alsbald und ging nicht eher von ihm, als bis er ihr Urlaub gab.« Diese Stelle war für Angélique eine ständige Quelle der Erbauung und gab ihr den Gedanken ein, die Schwalben herbeizurufen, und sie war neugierig, ob sie wohl kommen würden. Dann standen darin Geschichten, die sie nicht lesen konnte, ohne krank zu werden vor Lachen. Christophorus47, der gutmütige Riese, der das Jesuskind trug, erheiterte sie bis zu Tränen. Sie erstickte fast vor Lachen bei dem Mißgeschick, das dem Statthalter mit den drei Mägden der Anastasia widerfährt, als er sie in der Küche aufsucht und die Pfannen und Kessel küßt in dem Glauben, er umarme die Mägde. »Er ging hinaus, ganz schwarz und ungestalt und mit zerrissenen Kleidern. Und als die Diener, die draußen seiner warteten, ihn also verunreinet sahen, wähnten sie, es sei der Teufel, und schlugen ihn mit Stecken und flohen von dannen und ließen ihn ganz allein.« Doch ein unbezähmbares Lachen überkam sie, wenn jemand auf den Teufel einschlug, namentlich Juliana, die ihm, als sie im Kerker von ihm in Versuchung geführt wird, mit der Kette, damit sie selber gebunden war, eine ganz gehörige Tracht Prügel verabfolgte. »Nun befahl der Richter, daß man Juliana aus dem Kerker führe. Da ging sie heraus und zog den Teufel gebunden nach sich. Der flehte sie an und sprach: ›Juliana, Herrin, ich bitte dich, laß mich nicht so gar zu Spotte werden vor den Menschen, denn ich mag sonst hinfort keine Gewalt mehr haben über irgendeinen.‹ Sie aber zog den Teufel nach sich und zog ihn über den ganzen Markt und warf ihn zuletzt in eine Latrine.«

      Oder Angélique erzählte auch den Huberts beim Sticken Legenden, die sie interessanter fand als Märchen. Sie hatte sie so viele Male gelesen, daß sie sie auswendig kannte: Die Legende von den sieben Schläfern, die, als sie der Verfolgung entfliehen wollten, in einer Höhle eingemauert wurden und dort dreihundertzweiundsiebzig Jahre schliefen und deren Erwachen den Kaiser Theodosius48 über die Maßen verwunderte; die Legende vom heiligen Clemens49, endlose, unvorhergesehene und rührende Abenteuer, eine ganze Familie, Vater, Mutter und drei Söhne, durch große Unglücksfälle getrennt und schließlich durch die schönsten Wunder wieder vereint. Ihre Tränen flossen, sie träumte nachts davon, sie lebte nur noch in dieser tragischen und triumphierenden Welt des Wunders, im übernatürlichen Reich aller Tugenden, die mit allen Freuden belohnt werden.

      Als Angélique zur Erstkommunion ging, schien es ihr, als schritte sie wie die Heiligen zwei Ellen über dem Erdboden dahin. Sie war eine junge Christin der Urkirche, sie befahl sich in Gottes Hände, da sie aus dem Buch gelernt hatte, daß sie nicht ohne die Gnade erlöst werden könne. Die Huberts befolgten schlecht und recht brav die Kirchengebote: sonntags gingen sie zur Messe und an den Hochfesten zur Kommunion; und das mit dem ruhigen Glauben der Demütigen, ein wenig auch aus Tradition und um ihrer Kundschaft

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