2034. Stefan Koenig
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Die Geheimnistuerei wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn man trifft sich sowieso in regelmäßigen Abständen auf Konferenzen und Meetings von Denkfabriken und Stiftungen. Doch dieses Treffen war eilbedürftig. Es war kein anderer gemeinsamer Termin frei gewesen. Und die grassierende Schweinegrippe nahm keine Rücksicht auf die Terminkalender der Mächtigen.
Der Mond scheint müde durch ein paar Wolkenfetzen in den Glaspalast hinein, und der Sommer kann sich noch nicht entschließen, ob er sich in Bewegung setzen soll. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Gruppe hier trifft. Doch dieses Treffen ist von höchster Bedeutung. Ein mächtiger Mann geht neben Margaret Chan, die ihm die größtmögliche Aufmerksamkeit zukommen lässt, schließlich ist er – noch vor der Rockefeller Foundation – der größte Geldgeber ihrer Organisation.
Bill Gates steht mit Frau Chan seit ihrer Nominierung als Generaldirektorin der WHO im Jahr 2006 in ständiger Verbindung. Gates und seine Frau Melinda, beide beratende Mitglieder der World Health Assembly, dem WHO-»Parlament«, hatten die Wahl der Chinesin als Generalsekretärin befürwortet. Lange zuvor hatten sie bereits Kontakte zu ihr geknüpft – die Volksrepublik China musste bei ihrem Plan mitspielen, sonst wäre das globale Spiel schon zu Beginn verloren gewesen.
Außerdem bestand die Absicht, das chinesische Hochsicherheitslabor in Wuhan gemeinsam mit personellen und finanziellen Mitteln der »Rockefeller University« und Rockefellers »Johns Hopkins University« in Kooperation mit der Gates-Stiftung zu unterstützen. Dann hatte man einen Fuß in der Tür. Es ging um die Viren-Forschung, genauer gesagt: um die Erforschung von Viren, die durch Mutation vom Tier auf den Menschen überspringen können – „gain of function research“. Das ist Forschung, Viren gefährlicher zu machen, worauf das Institut für Virologie in Wuhan ausgelegt war. So etwas wird in den USA nur dem Militär und den Geheimdiensten erlaubt. Deshalb kann sich daran kein privater Geldgeber beteiligen und mitmischen. Anders in der Volksrepublik China.
Der große ovale Tisch erinnert ein wenig an den Besprechungstisch im Oval Office des Weißen Hauses. Frau Chan hat Wasser und Säfte vor jedem Platz servieren lassen; Salate werden später als Vorspeise kredenzt und irgendwann wird das Menü aufgefahren. Die Generaldirektorin weiß, was sich gehört und wendet sich zu Beginn ihrer Besprechung an die Eheleute Gates: „Ohne die Mittel Ihrer-Stiftung, verehrte Melinda, lieber Bill, wären viele Gesundheitsziele unserer Organisation, etwa die Ausrottung der Kinderlähmung, gefährdet. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet.“
„Keine Ursache. Das ist Vergangenheit“, ergreift Bill Gates das Wort. „Wir haben ein neues, überaus großes, weltumspannendes Projekt vor uns, das weit über jenes frühe Projekt in Sachen Kinderlähmung hinausgeht. Ich würde mich freuen, wenn die Anwesenden den Vorschlägen meiner Frau und mir folgen könnten.“
Margaret Chan ist beruhigt, dass Bill nicht auf Mr Gostin, ihren Direktor des Collaborating Centre on National and Global Health Law der WHO zu sprechen kommt. Gostin ist notwendigerweise anwesend. Sie hatte befürchtet, das könne zum Einstiegsproblem werden. Erst kürzlich hatte er nämlich ein unglückliches Interview in der Washington Post gegeben. Obwohl er die „Großzügigkeit und den Einfallsreichtum“ von Philanthropen wie Gates lobte, hatte er Bedenken hinsichtlich der übermäßigen Abhängigkeit von privaten Spenden geäußert.
„Der größte Teil der Gates-Gelder ist an spezifische Ziele gebunden. Das bedeutet, dass die WHO nicht selbst Prioritäten setzen kann, sondern einem weitgehend privaten Akteur verpflichtet ist. Und die Gates-Stiftung hat natürlich keine demokratische Rechenschaftspflicht.“
„Zu viel Einfluss?“, hatte daraufhin der letzte Fragesatz in dem Artikel der Washington Post gelautet.
Fast hätte die Sache in einem Pressekrieg geendet, aber Chris Elias, Präsident des »Global Development Program« der Bill & Melinda Gates Foundation, hatte recht diplomatisch eine Gegenmeinung in der Washington Post untergebracht. Es hatte zur Beruhigung der Gemüter beigetragen. Er räumte ein, dass es im Laufe der Jahre „oft Bedenken und Kritik in Bezug auf unseren Einfluss bei der WHO“ gegeben habe. „Aber man muss erkennen, dass die WHO ein globales Programm hat, das von ihren Mitgliedsstaaten beschlossen wird“, hatte er geschrieben.
Und weiter: „Wir haben auch Programme, die von unserem Vorstand entwickelt und geprüft werden. Wir unterstützen also die Bereiche der WHO, die mit unseren Strategien übereinstimmen.“ Dies bedeute aber auch, ergänzte Elias, dass „einige Bereiche besser finanziert werden als andere, weil wir nicht eine Strategie für alles haben.“ Dies sei eine Schwachstelle, mit der sich die WHO auseinandersetzen müsse.
Mr Embree, der Sekretär der Rockefeller Foundation, schaltet sich ein: „Auch wir unterstützen mit unserem »Pandemic Prevention Institute« Ihre Organisation, Mrs Chan. Wir unterhalten globale Netzwerke von Laboren, gemeinnützigen und internationalen Organisationen, Regierungen und Privatunternehmen. Somit haben wir die Kompetenz, um die notwendigen globalen Überwachungskapazitäten zu stärken.“
Heute geht es um besonders wichtige Kapazitäten und um eine Schwachstelle, weshalb Mr Schwab und Thierry Malleret vom World Ecomic Forum an der Besprechung teilnehmen. Und die Schwachstelle hat auch einen Namen: CRASH – der Niedergang des globalen Währungs- und Wirtschaftssystems und die darauf folgende Notwendigkeit: The Great Reset – Der große Umbruch. Die Neue Weltordnung.
Aber um all dies durchzusetzen, muss ein eindrucksvoller Anlass abgewartet werden. Ohne Anlass keine Chance auf eine große gesellschaftliche Umwälzung. Es muss ein Anlass sein, der mit einer grundlegenden Allgemeinangst einhergeht – wie zum Beispiel bei der derzeit grassierenden »Schweinegrippe«. Dann könnten mit »pandemischer Überzeugungsarbeit«, wie Klaus Schwab meint, die Weichen für eine globale Umwälzung der bestehenden Verhältnisse gestellt werden. Und Bill Gates stimmt ihm zu. Dann stünde für die Menschheit der Weg in die Zukunft offen.
Bill Gates geht’s ums Gemeinwohl.
Gießen, Pathologie, Raum 508
Ich denke im Moment weder an den großen Crash noch an die große Erlösung durch die großartigen Erlöser Gates, Schwab, Rockefeller, Bezos, Musk, Zuckerberg und die anderen multimilliardenschweren US-Weltenlenker. Ich bin ganz bei mir, hier in diesem kalten Raum, auf diesem kalten Seziertisch. Ich höre die erste Stimme: „Unterschreiben Sie bitte hier, Frau Doktor? Aber gut aufdrücken – es sind drei Durchschläge.“
Das Geräusch eines Kugelschreibers auf Papier. Ich stelle mir vor, wie der Besitzer der ersten Stimme der Ärztin ein Schreib-Brett hinhält.
Oh Heiliger Bimbam, komme über mich und lass mich bitte nicht tot sein!, versuche ich zu schreien und bringe keinen Ton heraus. Immer noch sehe ich ein Bild vor mir: Wie mich der beratende Impfarzt desinteressiert anschaut, wie er mich mit seinem harmlosen Allerwelts-Lächeln darauf aufmerksam machen will, dass alles gut geht.
Ich versuche erneut, etwas hinauszubrüllen, doch kein Laut kommt über meine bewegungslosen Lippen.
Aber ich atme doch ... stimmt‘s? Ich meine,