Lieber Liebe. Beate Morgenstern

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Lieber Liebe - Beate Morgenstern

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- Kann nicht, sagte sie und nach langem Auf-ihn-Sehen endlich mit Stimme fast ohne Ton: Sehen wir uns wieder? - Dummkopf, erwiderte er. Das schien ihr eine handfeste Antwort. Doch so müde-matt kriegte sie ihre Ängste nicht unter Kontrolle. Konnte nur hoffen, dass ihr das Schlimme (Folter bis Todesstrafe für sich oder jemanden ihr Liebem) erspart blieb, das aus so einer Nacht zwangsläufig folgte. Sie fragte nach nichts, schob so mögliche schlechte Botschaften noch hinaus. Zum Beispiel, dass er noch andere Termine hätte, sie mit dem Zug nach Hause fahren müsste. Da er nichts darüber verlauten ließ, blieb Trennung aufgeschoben, jedoch nicht aufgehoben. Zogen sie aus dem Hotel aus und fuhren weiter landeinwärts, bis sie - irgendwann - dann doch die Ausläufer allerhässlichster Großstadt, ihre Krakenarme, erreichen würden. (Dass sie immer so dachte, wenn sie mal weg von der Stadt war. Nachher ließ es sich doch leben in ihr!) Schaute auf ihren Herrn Harald, der nichts ahnte von ihrem Unglück, ihrer Fassungslosigkeit. Seine Hände auf dem Steuer lang, kräftig und wohlgeformt. Handarbeiter vielleicht noch sein Großvater gewesen, sein Vater wohl nicht mehr. (Zu Gesichtern sah sie immer auch Hände, war Übereinstimmung wie Dissonantes aufschlussreich.) Liebte schon allein diese Hände. Blieb ihre Linke schließlich nicht in ihrem Schoß mehr liegen, strich über seine Jeans, legte sich dort hin zur Ruhe. Darf ich? - Wenn du Biest nicht auf andere Ideen kommst. Im Lachen verging ihre Traurigkeit. Müdigkeit machte gleichgültig bis in übernächste Stunde.

      Wäre gern in ihre Kammer verschwunden, ohne Jo zu sehen. Doch Jo im Hauptraum fast immer anwesend. Würde erste Begegnung wahrscheinlich gleich erfolgen. Sähe er es ihr an und fragte sie, wollte sie ohne Umschweife bekennen. Konnte ihn nicht schonen. Sie fand ihn wie erwartet: in seinem Lehnsessel, um ihn herum verstreut Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Manuskripte. Jo blickte auf: Wolltest du nicht später kommen? Das Freundliche in beiläufiger Frage nur für sie zu erkennen. Fremde konnten seine Gemütsbewegungen kaum ausmachen, außer wenn er lachte. Sie betrachtete müde das großflächige Gesicht ihres alten Freundes: die Nase gerade, stumpf, die Augen groß, etwas hervortretend. Bei einem Lichteinfall hatte sie schließlich bemerkt, sie waren nicht dunkel, sie hatten gar keine Farbe, allenfalls war eine Spur Blau drin. Die Haare dicht, dunkel, von wenigen grauen Fäden durchzogen. Obwohl in Einzelheiten nichts Besonderes an ihm war, das starke Haar ausgenommen, galt er als gutaussehend. Mochte seine Größe, seine kräftige Statur dazu beitragen. Die Unbeweglichkeit seiner Mimik hatte ihr früher imponiert. Er wirkte so männlich, gelassen. Lange hatte er ihren Erwartungen entsprochen und sie es als so wahnsinniges Glück angesehen, dass er sie bei einer Probe im Studio unter den Kleindarstellern herauserkannt hatte als eine, die was mehr wollte. War nicht bei einem Abenteuer geblieben, in dieser Branche besonders verwunderlich. Vielleicht, weil ihn seine Frau gerade verlassen hatte. Alles bei dir war schon angelegt, sagte er, sprachen sie über seine rasche Entscheidung. Du warst keines von diesen Mädchen, das habe ich nach dem ersten Abend gewusst. Und es war klar, welche Mädchen er meinte. Vorher hatte sie nichts von Treue gehalten, da die Männer, die sie kennenlernte, nichts davon hielten. Jo aber hatte sie angebetet, und sie hatte während des ganzen Studiums in Weißensee nach keinen anderen Männern geschaut. War's schön?, fragte er. Sie hatte immer noch nichts gesagt, nur angeschaut, was sie im Begriff war aufzugeben. Ja schon, sagte sie. Schön war's, schön, aber dann doch etwas langweilig. Jo hatte genug gefragt, kannte das von ihr schon, dass sie von einer Reise wie eine Fremde kam. Sie ging die Stufen hinunter in den unteren Teil der Wohnung mit Kammern und der Küche. Dort das übliche Chaos. Sie ordnete, wusch ab. Indem die Ordnung zunahm, nahm ihr Ärger ab. Sie ging daran, ein kleines Mittagessen zu machen von dem, was noch an Vorräten da war. Wenigstens versorge ich ihn, dachte sie, hielt diese Feststellung ihrem in letzter Zeit häufig aufkommenden Gefühl entgegen, sie bliebe ihm etwas schuldig. Offenbar kann ich nicht ohne das Eine sein, sagte sie sich. Es kam schon noch vor, dass Jo sich ihrer als Frau vergewissern wollte. Doch da seine Versuche halbherzig und leidenschaftslos waren, redete sie ihm die in der Regel aus. Beharrte er, war es für sie eher eine caritative Handlung, so dass sie dachte, sie würde auch zum Beruf der Hure taugen. Du bist so still!, hatte er die erste Zeit gesagt, ihre Veränderung bemerkt. Aber er konnte dies ja auf ihre Unfähigkeit zurückführen. Und sie war tatsächlich an sich irregeworden. (Nun allerdings wusste sie, mit ihr war alles richtig.) Gemeinsam begründeten sie seine Lustlosigkeit mit Schwierigkeiten in der Arbeit. Denn zum ersten Mal war ein Versagen aufgetreten, nachdem wieder einmal ein Projekt gestorben war. Wohl bekam Jo jeden Monat vom Fernsehen ein gutes Gehalt, doch kaum einen Film. Wenn doch, dann keineswegs überragende Stoffe und er an Auflagen gebunden. Man hatte Jo im Studium eine große Begabung nachgesagt. Er selbst hatte viel von sich erwartet. Nun war er Ende Vierzig und hatte weder Viel noch Außerordentliches geleistet. Das drückte ihn. Sie hatte versucht, mit ihm Geduld zu haben. Doch so nachsichtig sie in Vielem sonst war, in der Liebe gelang es ihr nicht. Da hatte sie nach ein-, zwei Malen, wo ihm nichts gelang, regelrechte Panik ergriffen, es würde nie wieder was mit ihnen. War sich im Übrigen nicht sicher, ob Unvermögen nur am beruflichen Misserfolg lag. Konnte der Grund sein, konnte ein Grund unter anderem sein oder überhaupt keiner. Inzwischen schlief jeder in seiner Wohnungshälfte. Er bewohnte die beiden durch eine Glastür getrennten sehr großen Haupträume, sie die Kammern im tiefer gelegenen Trakt, beim Bau für das Personal vorgesehen. Die Kammern zeichneten sich durch Helligkeit aus. Zu den Mahlzeiten traf man sich in der Wohnküche am Ende des Gangs.

      Als sie Jo wegen des Essens Bescheid sagte, stand er sogleich auf, hatte also nur auf ihren Ruf gewartet, ging ihr nach. Was du inzwischen gegessen hast, möcht ich wissen, sagte sie wütend vor sich hin. Auf seinem Platz am Küchentisch sah er ihr zu, wie sie deckte, das Essen auftat. Dankbarkeit in seinem Gesicht. Das nicht so stumm, wie es schien, kannte man ihn genau genug. Schien ihr Jo wie ein großer Junge trotz des Altersunterschieds zwischen ihnen. So hatte sich in den Jahren des Zusammenlebens ihr Verhältnis zueinander gewandelt! Wollten vielleicht alle Männer im Grunde irgendwann wieder ihre Mutter und sonst nichts. Sie wich seinen Blicken aus, tat, als sei sie sehr in Gedanken, behielt ihn - die Lider halb gesenkt und scheinbar abwesend - immer im Auge. Da sie nicht redete wie sonst meist, sagte er schließlich was: Schlecht siehst du aus. Mickrig. Ja, richtig mickrig. Ich denke, du wolltest dich erholen. In seinem Blick nicht der geringste Argwohn. Sie erklärte, sie habe die Nacht aus unerfindlichen Gründen schlecht, ja fast überhaupt nicht geschlafen. Zufrieden, dass sie wieder bei ihm war, fragte er nicht weiter. Wusste sie ja, er litt unter ihrer Abwesenheit, obwohl er zuredete wegzufahren, war ihr danach zumute. Er wollte sie nicht einsperren. Dann hab ich wenigstens mal Ruhe vor dir, sagte er, deutete bisweilen an, dass er sein Strohwitwer-Dasein gehörig ausnutzen wolle. Dass sie nie auf diese Andeutungen einging, enttäuschte ihn. Ob sie denn gar nicht eifersüchtig sei, fragte er manchmal. War vielleicht ein Mangel, dass sie keine Angst hatte, ihn zu verlieren. Wünschte sich sogar manchmal, er fände eine andere. Die Beziehung war so ausrechenbar geworden und sie in einem Alter, in dem sie dies - anders als Jo wahrscheinlich - noch nicht schätzte.

      Sie schlief in den Nachmittag hinein, holte versäumten Schlaf nach, blieb noch lange liegen, unfähig, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass nun alles wie immer ablaufen solle. Hatte große Unlust, einen Überdruss am Leben überhaupt. Leere war in ihr und ein schaler Geschmack im Mund wie von einem schlechten Abenteuer, was es doch nicht gewesen war. Wusste nicht mehr, was sie wollte, wünschte. War das vielleicht das Schlimmste. Als sei sie sich selbst abhanden gekommen. Nichts mehr, woran sie sich halten konnte.

      Hatte wenigstens kleinen Pflichten nachzukommen: das Abendbrot zu bereiten. Um unverkennbare Missstimmung zu bemänteln, redete sie sich damit heraus, sie habe sich wohl erkältet, sagte sogar etwas von Kopfschmerzen, obwohl sie Lügen sonst nie in den Mund nahm, und war auch keine ganze Lüge. Jo mitleidig. Der Gedanke, sie könnte ihn mit einem anderen Mann hintergangen haben, lag noch immer außerhalb seines Vorstellungsvermögens.

      Am Morgen des anderen Tages hatte sie wieder Gewalt über sich, konnte mit Jo sein, als sei nichts gewesen. Dachte an Harald mit immer größer werdender Sehnsucht. Klingelte das Telefon, rannte sie von ihrer jeweiligen Beschäftigung zum Apparat, obwohl die Anrufe alle für Jo waren. Wer rief sie schon an. Hatte nie so eifrig Telefondienst versehen. Was ist?, fragte Jo schließlich. Der Verlag müsste sich melden, murmelte sie, sagte Schwindelei nur ganz leise. Dann ruf doch du an!, riet Jo. Sie knurrte Widerspruch.

      Der

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