Lieber Liebe. Beate Morgenstern

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Lieber Liebe - Beate Morgenstern

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er davon, dass sie grad dann von ihm hören wollte, nachdem er sich als Mann bestätigt hatte, wegen ihres Urmisstrauens, sie könne nach Gebrauch vielleicht doch weggeworfen werden. Krochen die Stunden in klebrigem Schneckengang, bis es genug Wochenende sein würde. Hörte Schritte, ging Jo ins Bad, in die Küche. Dort auf dem Tisch ihr Zettel mit der Angabe, was er sich jeweils aufwärmen könnte. Wollte ihm nicht mehr unter die Augen geraten. Aus den Augen noch nicht gleich aus dem Sinn, aber wenigstens wollte sie ihn nicht durch Anblicke noch mehr gegen sich aufbringen.

      War dann das Wochenende um. Jo fand sich um gewohnte Zeit zum Frühstück ein. Hatte sich irgendwas zurechtgedacht, mit dem er erst mal überleben konnte. Zum Beispiel, dass sie ja bloß Geliebte war von jemandem, und das musste noch nicht so viel bedeuten oder so. Wenigstens konnten sie nun wieder aneinander vorbeigehen, was notwendig war, wenn man in einer Wohnung wie dieser lebte mit nur einem Ausgang durch den Hauptraum. Fast freudig für sie der Wochenbeginn durch Hoffnung auf Haralds Anruf von heute an. Doch der ließ sich nicht hören. Die Tage wogen immer schwerer, letzter noch mehr als vorletzter, legten sich auf ihre Seele. Am Ende nicht die geringste Zuversicht, aber ohne die ließ sich nicht leben. So wählte sie wieder seine Nummer, ließ es immer öfter in Stille hinein klingeln, bis ihr Antwort entgegenschallte von weiblicher brüchig-alter Stimme. Hallo, hallo!, rief die Frau in herrischem Tonfall, obwohl sie doch gar nicht wissen konnte, wer nicht antwortete. Klang ihr das Hallo ewig nach.

      Eine Filmproduktion war angelaufen. Man verlangte immer nur Jo, so dass sie nicht mehr ans Telefon ging. Wenigstens hatte Jo zu tun. Mal erkundigte sich Jo nach ihrem Liebhaber, nicht mal höhnisch. Du wirst verarscht, meine Kleene, sagte er.

      Hätten einige Wochen vergehen können, schließlich hätte sie Jo geglaubt. Dazu ließ es der Andere dann doch nicht kommen. Rief an, entschuldigte sich mit Terminen, wäre dauernd unterwegs gewesen. Hättest du doch was gesagt! Ich hab so gewartet! Mit einem Mal schluchzte sie auf, wo doch Zeit des Dahinvegetierens in dem Augenblick vorüber war. Wurde Heulsuse nun wohl Mode bei ihr. Du sollst nicht warten, ich habe es dir schon mal gesagt! Sagte der Mann das so, als ob man sich so was einfach befehlen könne. Es macht mir ein schlechtes Gewissen! - Du brauchst mir bloß mal Bescheid zu geben! Trug ihre Bitte mit zartester Stimme vor. - Ich bin immer frei gewesen!, entgegnete er. Zurechtweisung stand älterem Mann offenbar zu. Ich brauche das. Ich bin so. Meine Frau akzeptiert das. Sonst hätte sie sich schon längst von mir getrennt. - Sehen wir uns? Kaum noch zu hören, was sie fragte. Morgen, war seine Antwort. Ich denke, morgen Abend.

      Und wieder auf den Metern von Straßenbahnhaltestelle zu seinem Haus die Gewissheit, er wolle sie nur sehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Die Beine trugen sie kaum zur Hinrichtungsstätte. Was hatte er ihr angetan oder wer hatte ihr das angetan, dass sie sich bei wirklicher Liebe statt erhoben so minder fühlte? Hatte dann doch keinen Anlass für Befürchtung gehabt, denn er war bereit für die Liebe. Sie löste wieder dem Frischgeduschten den Gürtel des Bademantels und führte gar nicht so kleinen Herrn Harald und großen Herrn Harald zu Wirkungsstätte, entledigte sich mit wenigen Griffen dessen, was so ganz unnötig ihren Leib bedeckte. Vergewisserte sich seines Körpers durch ständiges Begreifen, dass er schließlich loslachte, weil sie ihn so an Weiterem, Tiefergehendem hinderte. Legte sie sich, musste aber noch weiter schauen. Sollte er noch vor ihr auf den Knien verharren - aufrecht - damit sie alles sah, vor allem das, was da aufgereckt stand, von sich aus, keinem Befehl zugänglich im Gegensatz zu etwa einem Arm oder einem Finger. Jeder Gedanke an etwaige Minderheit war abhanden gekommen. War's ihr auch nicht bewusst: Seit Eintritt in Haralds Behausung hatte sie Regentschaft übernommen. Frau Thea für kurze Zeit hinweggefegt. Sie richtete sich auf, und wollte nun wieder die Zeugenschaft der Hand und so weiter. War alles wie beim letzten Mal und alles anders. Die Verlässlichkeit, die Freuden wie nie vorher erlebt. Redete er leise-begeistert dahin, antwortete sie vielleicht auch mal drauf. Konnte sich nicht genug tun, ihn anzusehen, solange noch ein Licht auf ihn fiel, und es fiel immer eines, später aus der Straßenlampe. Erkundete in Pausen seinen Körper mit leichten Fingern, küsste mit vorsichtigen Lippen, so dass ein Regen und Wachsen begann. Reichte ihr Mund, ihre Kehle bald nicht aus, ihn zu fassen. Warnend gab er Zeichen. Nie zuvor hatte sie geschmeckt. Hatte auch etwas Angst, dass es zu viel für sie sein würde. Stärker aber die Lust, alles von ihrem Allerliebsten zu kriegen, so dass sie nicht losließ. Sprach er nach leichter Erholung: So zu kommen, ist schlimm für mich. Ich kann nichts steuern, nichts für mich behalten für ein nächstes Mal. Wenn du es am Anfang machst, wirst du nichts mehr von mir haben. - Ich werde mich hüten, sagte sie lachend, nahm mit ihren Lippen die zu schnell trocknenden Spuren von seiner Haut, schmeckte nach und überlegte. Wie Ackersalat, sagte sie schließlich. (Ackersalat und Bucheckern, im Geschmack verwandt, die frühesten Erinnerungen ihrer Zunge, ihres Gaumens, waren mit Bildern verbunden. Die Bucheckern natürlich mit einem Buchenwald, die Bäume sehr hoch, das Astwerk lichtdurchlässig. Die kleinen, dunkelgrün-glänzenden Salatblättchen wuchsen auf einem Feld hoch oben am Berg wild zwischen anderem, das eigentlich angebaut war. Die Tante hatte sie mitgenommen. Die Mutter und sie waren für Monate bei der Schwester in Süddeutschland gewesen. Warum diese lange Reise geschehen war, wusste sie bis heute nicht. Aus jener Zeit einige Bilder haftengeblieben und der Geschmack von zerkauten, nussartig schmeckenden Blättchen. So viele Jahre ungebraucht, hatte das Gedächtnis die Erinnerung doch hergegeben.) Wie spät ist es?, fragte er in die Dunkelheit. - Woher soll ich das wissen? - Sag trotzdem, wie spät es ist! Sie hörte in sich hinein. Dreiundzwanzig Uhr siebzehn, sagte sie. Er schaltete kurz das Licht ein. Ich wundere mich über nichts mehr, sagte er. Du bist eine Hexe. Von da an hatte er einen außerordentlichen Glauben an ihre Fähigkeiten, Dinge zu sehen, die nicht gleich offenbar waren. Sie wurde sehr müde. Am liebsten würde ich bei dir einschlafen! - Das geht nicht. - Nein, das geht nicht, wiederholte sie gehorsam. Ich soll wohl jetzt gehen. - Ja. Es wäre besser. Sie stand auf, tastete nach ihrer Kleidung, nach ihrem Schmuck. (Zog sich für einen einzigen Blick von ihm so schön an, wie sie nur konnte.) Wenn die Haustür zu ist, klingele ich, sagte sie, küsste ihn. Er murmelte im Halbschlaf. Sie verschwendete keinen Gedanken darauf, warum sie ihn mitten in der Nacht verlassen musste. Wie sie auch nicht gefragt hatte, warum sie hatte kommen können. Bekam am nächsten Morgen nun doch ihren Anruf danach. Ich wollte mich nur kurz melden, sagte er, seine Stimme sehr tief, rau. - Es war so schön, sagte sie. - Ja. Ich meld' mich wieder. Das war nun der Anruf gewesen. Sie musste sich stundenlang sagen, dass er doch wenigstens angerufen hatte, und zudem, ohne dass sie hatte bitten müssen. Sollte sie sich einfach an die Tatsache des Anrufs halten.

      Jo kam, ging. Bescheid sagte er nicht. Eines Morgens machte er sich ein großes Frühstück in der Küche, kochte viel mehr Kaffee als sonst, stellte alles auf ein Tablett und dazu Geschirr zweimal. Was soll das, Jo?, fragte sie, ahnungslos lachend. - Was du kannst, kann ich schon lange!, antwortete Jo. Es ist schließlich meine Wohnung. Da bekam sie mit, dass er eine Frau bei sich hatte. Erst am Nachmittag wagte sie sich durch das große Wohnzimmer nach draußen. Der Nachteil der Wohnung wurde erst recht deutlich. Dass Jo nun öfter eine Frau bei sich hatte, nahm sie hin als gerechte Erwiderung auf ihr Verhalten. Doch für seine wiederholten Mitteilungen, welch guter Liebhaber er sei, hätte sie ihn schlagen mögen. Zu sehr hatte sie unter seinem abnehmenden Verlangen, seiner Unfähigkeit gelitten und wusste inzwischen, was sie in besten Zeiten nicht an ihm gehabt hatte.

      Von Jo in seiner Wohnung scheinbar nur noch geduldet, nahm der Gedanke an ein eigenes Zuhause zu, so dass sie sich im Verband bildender Künstler meldete. Man verwies sie an den Magistrat. Sie geriet auf eine Liste für dringende Fälle. Wohl war sie sich dieser Bevorzugung ihres Berufsstandes bewusst, hatten sonst nicht mal geschiedene Ehemänner in absehbarer Zeit Aussicht auf eigene Wohnung. Zogen die nicht zu ihren Geliebten oder wussten anderweitig Unterkunft, hockten sie noch lange bei ihrer Ehemaligen und den gemeinsamen Kindern. Dennoch quälte sie die Aussicht, in eines der gerade am Stadtrand entstehenden Neubaugebiete abgeschoben zu werden. Nie würde Harald sie dort besuchen, und für sich selbst konnte sie sich ein Leben Tag und Nacht in einer Satellitenstadt auch nicht vorstellen. Und über Tausch eine Stadtwohnung zu finden, war heute schwierig. Die Komfortwohnungen draußen schienen den in der Stadt Verbliebenen nicht mehr so anziehend wie vor Jahren. Auf einer Verbandssitzung traf sie Irene. Die wohnte in nächster Nachbarschaft, woraus sich so etwas wie eine Freundschaft ergeben hatte. In letzter Zeit hatten sie sich allerdings

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