Liebe auf Französisch - Küsse niemals einen Anwalt. Mira Schwarz
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»Und dann diese Läden mit den ganzen Telefonen, wer braucht die denn alle? Anschließend noch so ein neumodischer Kram - Café to go...« Er holte tief Luft und redete weiter.
»… alles rennt mit dem Telefon am Ohr und einem Kaffeebecher in der Hand durch die Straße. Niemand grüßt und keiner hat Zeit. Keiner kennt den anderen, die Verkäufer wechseln ständig – also auch kein Plausch mehr zwischendurch.«
Janine kannte diese Diskussionen um den Verfall der Innenstädte, um den Niedergang der angestammten Einzelhändler, die ihren Platz für unpersönliche Geschäftsketten räumen mussten, weil die Mieten für die Ladengeschäfte zu teuer wurden oder aber die Besitzer keinen Nachfolger für ihre traditionellen Gewerbe fanden. Offensichtlich war es auch in der Rue Cailloux zu einem solchen Prozess gekommen. »Sie haben Recht«, stimmte sie ihm nachdenklich zu. »Es ist schade, wie sich die Geschäftsstruktur verändert hat. Ein-Mann-Betriebe haben es heute schwer, mitzuhalten.«
Jean hatte sie erstaunt angeblickt, als wenn er nicht vermutete, dass jemand wie sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Mannes. »Oder Ein-Frau-Betriebe, oder, junge Dame? Ist ja schön, dass sie sich aufmachen, wieder Kultur in unsere Straße zu bringen. Na, ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg mit ihrem Grünzeug!«
Als Janine das nächste Mal zu ihm gegangen war, um alte Lampen für »Les fleurs« zu erstehen, hatte er sie auf einen Kaffee eingeladen. Sie durfte auf einem der antiken Sofas in der hinteren Ecke des dunklen Ladens Platz nehmen, während er hinter einer Tür mit einer offensichtlich neumodischen Kaffeemaschine kämpfte.
Sie hörte nur ab und zu ein ärgerliches Gegrummel. »Wieso blinkt jetzt dieser Knopf, soll ich da drauf drücken?« Das Knallen von Tassen und anderen Dingen und hatte Zeit gehabt, sich ein wenig umzusehen.
Bis unter die Decke war der Brocante vollgestellt mit alten Möbeln. Kein Platz fand sich in den Schränken, die mit Büchern, alten Häkeldeckchen, Stoffen, Karten, Schallplatten, Gläsern und anderen Kostbarkeiten vollgestopft waren. An den Wänden hingen so viele alte Ölschinken, dass nicht ein Stück Tapete zu erkennen war. Sogar ein paar ausgestopfte Wildtiere hingen dort. Aber damit konnte Janine nichts anfangen. Sie liebte Tiere und ausgestopfte Jagdtrophäen passten einfach nicht in ihr Weltbild.
Die Glasvitrinen waren mit altem Geschirr dicht besetzt, dazwischen spiegelte sich das Licht in Schmuckvitrinen aus Glas. Trotzdem es etwas staubig roch und sie ein bisschen fror, fühlte sie sich wohl. Zumindest, wenn sie den Wildschweinkopf an der ihr gegenüberliegenden Wand ignorierte. Sie hatte das Gefühl, er starrte sie an.
Endlich kam Jean mit dem Kaffee zurück, der aus hübschen antiken Tässchen im Widerschein des Kronleuchters, der über dem Tisch hing, dampfte. Er brachte auch ein paar Plätzchen, die er sorgsam auf eine alte, mit Blumen bemalte Porzellanuntertasse gelegt hatte. Der Mann stellte die Untertasse und die Kaffeetassen auf das Tischchen, ging noch einmal in die Küche und kam mit einem Milchkännchen und einer Zuckerdose zurück.
Sie bewunderte das schöne Porzellan. Die einzelnen Teile passten zwar nicht zusammen, aber das Gesamtarrangement war herrlich. Jean hatte einen Blick für das Schöne, das war offensichtlich. Noch einmal drehte er sich weg, kramte hinter irgendeiner alten Vitrine in einem Koffer und zog etwas heraus.
»Wenn schon, denn schon, junge Dame«, sagte er. Jean holte eine alte Schellackplatte aus dem Umschlag, den er aus dem Koffer gekramt hatte und legte sie auf das mindestens ebenso alte Grammophon, das neben dem Sofa stand. Und tatsächlich: Nachdem er ordentlich die Kurbel gedreht hatte, drehte sich auch der Plattenteller und aus dem Trichter knarzte ein Ragtime.
»Erzählen Sie doch mal, wie es dazu kommt, dass Sie dem Vormarsch des Klingeling, der schnellen Küche und dem billigen Tand hier in unserer Rue Cailloux Einhalt gebieten wollen?« Sie hatte angefangen, von ihren Plänen zu erzählen und nach der dritten Tasse Kaffee waren sie Freunde geworden.
Jetzt stand Jean vor ihr in ihrem eigenen Blumenladen und sagte: »Ich finde es gar nicht so schlecht, was du aus den Tischen gemacht hast. Bisschen Farbe drauf und siehe da …«
»Naja, ein bisschen mehr hab ich schon gemacht. Holzwürmer vernichtet, Furnier repariert, neu geleimt, weil alles wackelte.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. Ihr Zopfband hatte sich bei der Krabbelei unter den Tischen gelöst und sie machte sich einen neuen Pferdeschwanz. »Und erst danach die Farbe. Die Tische brechen mir doch sonst unter dem Gewicht zusammen. In den Eimern sind nicht nur Blumen sondern auch Wasser.«
»Ja, ja, das brauchen die wohl«, schmunzelte Jean über seine eigene Einfalt. Er besah sich die alten Glasvasen mit den Blumensträußen. Er schien über irgendetwas nachzudenken. »Ich hab noch mehr Tische im Lager, brauchst du die vielleicht?«
»Nein. Nett von Dir, aber ich hab jetzt genug. Man muss ja noch durchkommen können.«
Jean strich bedächtig über die mintgrüne Tischplatte. »Und Vasen und so, hast du davon schon genug?«
Was wollte er bloß? Er wusste doch, dass sie kein Geld mehr hatte. Sie hatte alles in den Laden gesteckt und nun war sie pleite. Nichts mehr übrig für weitere Dekoration. Sie musste erst einmal Geld verdienen. »Die Kasse ist leer, Jean. Ich hatte erst einen Kunden. Vielleicht später. Möchtest du einen Tee?«
»Merci, Madame, aber nein.« Er schaute sich noch einmal um und nickte wie zur Bestätigung.
»Man kann sich hier ja auch nirgends komfortabel niederlassen. Ich muss sitzen, wenn ich etwas zu mir nehme, sonst schlägt mir alles auf den Magen. Ich nehme jetzt mal die Hyatinte, die Hya..., also das Grünzeug in der Gewürzdose mit und heize dann bei mir im Trödelladen die neue Kaffeemaschine an. Komm mich mal wieder besuchen, wenn du zwischendurch Zeit hast.« Er legte ihr einen kleinen Schein hin.
»Lass mal das mit dem Wechselgeld. Ich muss dich ja unterstützen, damit du dir bald einen Stuhl leisten kannst. Dann kann ich auch bei dir mal einen Tee trinken.« Er zwinkerte sie an und machte sich dann leicht hinkend mit der umfunktionierten Gewürzkiste unterm Arm auf den Weg.
Janine war froh, dass er es nicht weit bis zu seiner Kaffeemaschine hatte. Sie legte den Schein in ihre Kiste. Ganz schön klapprig, der alte Trödler. Aber was hat er denn nun eigentlich von ihr gewollt?
Und zwischen ihren Gedanken, die darum kreisten, warum Jean ihr auf einmal Tische und Vasen überlassen wollte, was sie außerdem tun könnte, um neue Kunden in ihren Laden zu locken, tauchte immer wieder der Herr von heute Morgen auf: Der Mann mit der weißen Rose.
Es war niemand mehr gekommen, als sie am Abend des Eröffnungstages von Les Fleurs kurz mit den Fingern auf die Kassenkiste tippte und bei sich dachte, dass sie wohl kaum die Einnahmen zählen müsste. Sie wusste den Betrag, der in der Kiste lag, auswendig. Zwanzig Euro in Kleingeld, das sie am Tag vorher bei Bank als Wechselgeld geholt hatte, der Schein von Jean und die drei Münzen des Herrn mit der weißen Rose.
»C’est tout. Das ist alles. Naja, morgen ist ein neuer Tag.« Sie setzte ihre selbstgestrickte Wollmütze auf, wickelte sich den dicken Schal dreimal um den Hals und zog den blauen Parka an, den sie vor einigen Monaten in einem Second-hand-Laden am Centre Pompidou erstanden hatte. Dann öffnete sie die Tür an der rückwärtigen Wand ihres Ladens und drückte auf den Schalter für das Licht vorsichtig herunter.
Der Schalter war ziemlich alt und sie hatte ein wenig Sorge, dass sie irgendwann einen Schlag bekommen könnte. »Den muss ich bald mal tauschen«, sagte sie zu sich und schrieb es gedanklich auf ihre lange To-do-Liste.