Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
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Die den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ausgestaltenden Vorschriften des materiellen Rechts (normgeprägter Schutzbereich) müssen mit der Verfassungsnorm vereinbar sein.[6] Als Prüfungsmaßstab beinhaltet diese Norm eine Instituts- oder Einrichtungsgarantie für „Ehe“ und „Familie“[7] und gewährt darüber hinaus als klassisches Grundrecht Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen.[8] Zugleich stellt Art. 6 Abs. 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte private und öffentliche Recht dar.[9] Soweit die Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG als Maßstab gilt, ist eine Prüfung allein unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ausgeschlossen.[10] Die Bedeutung dieser verfassungsrechtlichen Grundlagen für das private und öffentliche Recht zeigt Fall 1.
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › I. „Ehe“
I. „Ehe“
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Fall 1:
Die Eheleute F und M sind mit dem seit zehn Jahren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebenden Paar A und B befreundet. M ist Ausländer und wegen einer Straftat verurteilt. Die Ausländerbehörde will ihn deshalb ausweisen; Schutz durch Art. 6 Abs. 1 GG? – A und B halten es ihrerseits für verfassungswidrig, dass ihnen die den Ehegatten F und M gewährten Steuervergünstigungen (Ehegattensplitting) nicht ebenfalls eingeräumt werden. Demgegenüber sehen es F und M als einen Verstoß gegen das Grundgesetz an, dass (nur) sie als Eheleute im Falle einer Scheidung zum Versorgungsausgleich verpflichtet sind. – Als A stirbt, möchte B, die bislang den gemeinsamen Haushalt geführt hat, die von A angemietete Wohnung „übernehmen“.
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Das Grundgesetz räumt der Ehe (ebenso wie der Familie) als besonderer Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft[11] eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens ein. Diese schließt zwar andere Arten und Formen von Lebensgemeinschaften[12] nicht aus, ihr kommt aber unter allen möglichen Lebensformen eine hervorgehobene verfassungsrechtliche Bedeutung zu.[13] Dabei setzt das Grundgesetz die Begriffe „Ehe“ und „Familie“ voraus, ohne sie selbst zu definieren oder zu konkretisieren. Das BVerfG definiert die Ehe in ständiger Rechtsprechung (bei im Detail wechselnden Formulierungen) als „Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft (…), begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können“.[14]
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › I. „Ehe“ › 1. Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm
1. Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm
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In seiner weitreichendsten Dimension als wertentscheidende Grundsatznorm bindet Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber und die Gerichte für die gesamte Rechtsordnung an die verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalte und verbindlichen Wertentscheidungen der Ehegarantie. Hieraus resultiert für den Staat sowohl ein Gebot, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen zu schützen, als auch das Verbot, Ehe und Familie zu beeinträchtigen oder zu benachteiligen.[15] In dieser Funktion kommt Art. 6 GG mithin eine positive und negative Schutzdimension zu. Die Schutz- und Förderpflicht bzw. das Benachteiligungsverbot wird insbesondere in Verbindung mit dem gleichheitsrechtlichen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG relevant: Werden Ehegatten im Vergleich zu anderen Lebensgemeinschaften schlechter behandelt, so „ist bei der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, daß die dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit durch die besondere Wertentscheidung des Grundgesetzes in Art. 6 Abs. 1 GG beschränkt ist.“[16]
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Problematisch ist die genaue Abgrenzung der wertentscheidenden Grundsatznorm von der Bedeutung und Funktion der Institutsgarantie.[17] Auch die Institutsgarantie hat sowohl eine negative als auch positive Schutzfunktion, da sie einerseits der Bewahrung eines Kernbestands des Ehe- und Familienrechts dient, andererseits aber auf eine einfach-rechtliche Ausgestaltung durch das bürgerliche Ehe- und Familienrecht angewiesen ist (vgl. noch Rn. 20 ff.). Die Abgrenzung muss daher anhand anderer Merkmale vorgenommen werden, auch wenn eine klare Grenze nicht immer eindeutig auszumachen ist. Der entscheidende Unterschied liegt im Regelungsgegenstand: Während die Institutsgarantie das Eherecht im engeren Sinne betrifft und dort einen Kern an rechtlichen Bestimmungen zur Definition der Ehe sowie zur den Voraussetzungen der Begründung und Beendigung dieser Lebensgemeinschaft garantiert, wirkt Art. 6 GG in seiner Dimension als wertentscheidende Grundsatznorm als Maßstab für alle anderen Regelungsbereiche, die an die Ehe anknüpfen und damit das Institut im weiteren Umfeld rechtlich mitgestalten (z.B. im Erb-, Steuer-, Sozial- oder Ausländerrecht).[18] Über die Figur der wertentscheidenden Grundsatznorm ist es dem BVerfG gelungen, das Fördergebot sowie das Benachteiligungsverbot über das Ehe- und Familienrecht hinaus auszudehnen und für die gesamte Rechtsordnung als bindende Wertentscheidung zu etablieren.[19] Ihre wichtigste Funktion entfaltet sie im Rahmen der Ermessensausübung der Verwaltung (vgl. Fall 1: Ausweisung eines ausländischen Ehepartners; dazu noch Rn. 34). In dieser Dimension drückt sich somit zwar die Wirkungsrichtung und Wirkungsweise des Grundrechts auf andere und in anderen Rechtsgebieten aus.[20] Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Bestimmung des materiellen Eherechts im engeren Sinne folgen aber primär aus der Institutsgarantie sowie dem Freiheitsgrundrecht.
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › I. „Ehe“ › 2. Art. 6 Abs. 1 GG als Institutsgarantie
a) Ehe als Rechtsinstitut
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In der Funktion als Instituts- bzw. Einrichtungsgarantie sichert Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe in ihrer wesentlichen Struktur und schützt „einen Normenkern des Ehe- und Familienrechts“ vor der Aufhebung oder grundlegenden Veränderung durch den einfachen Gesetzgeber.[21] Aus diesem Grunde muss der Gesetzgeber jedenfalls den ungehinderten Zugang