Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
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Schwierigkeiten bereitet jedoch das Verhältnis zwischen eigenverantwortlicher und gesetzlicher Ausgestaltung in Bezug auf den Inhalt der ehelichen Lebensgemeinschaft. Hier treffen das subjektive Freiheitsrecht und die Institutsgarantie als objektiv-rechtlicher Gewährleistungsdimension aufeinander und müssen in Einklang gebracht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Autonomie in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft zugleich ein institutionell abgesichertes Strukturprinzip der Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 1 GG ist, an das der Gesetzgeber gebunden ist; andererseits muss er durch die einfach-rechtlichen Vorschriften gewährleisten, dass die Ehe auch nach einer individuellen inhaltlichen Ausgestaltung dem verfassungsrechtlichen Grundverständnis und ihrer Funktion entsprechend eine Verantwortungsgemeinschaft bleibt. Den Ehegatten insofern völlig freie Hand zu lassen, so dass auch das Charakteristikum der Verantwortungsgemeinschaft zur Disposition der Ehegatten gestellt wäre, würde die Institutsgarantie verletzen. Die „spezifische Eigenart der Freiheit in der Ehe, die gerade in der gegenseitigen Selbstbindung und Verantwortungsübernahme liegt,“[70] kann nicht so weit gehen, dass die übernommene Verantwortung kraft einvernehmlicher Ausgestaltung der Ehegatten auf Null reduziert werden kann. Deshalb ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, sondern sogar durch die Institutsgarantie verpflichtet, gewisse nicht derogierbare Pflichtbindungen zwischen den Ehegatten gesetzlich vorzuschreiben, die dem verfassungsrechtlichen Verständnis der Ehe als Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft Rechnung tragen. Namentlich die gesetzliche Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten (§§ 1360 ff., dazu Rn. 170 ff.) stellt deshalb nicht etwa einen Eingriff in das Freiheitsrecht, sondern eine zulässige Inhaltsbestimmung in Ausgestaltung des Instituts dar,[71] das die Ehe als Statusverhältnis von unverbindlichen Formen des Zusammenlebens unterscheidet und abgrenzt. Auch im persönlichen Bereich entspricht es freilich dem Verfassungsverständnis von der Ehe, dass die Ehegatten einander in gelebter gegenseitiger Verantwortung Beistand leisten (was sich einfach-rechtlich etwa in der strafrechtlichen Garantenstellung niederschlägt). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei der Konkretisierung des institutionell abgesicherten Strukturprinzips der Verantwortungsgemeinschaft auch der Freiheitscharakter des Grundrechts und die übrigen Verfassungsbestimmungen in den Blick genommen werden müssen. Für den höchstpersönlichen Bereich folgt aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nach der Sphärentheorie des BVerfG,[72] dass jegliche staatlichen Interventionen in die Intimsphäre untersagt sind und im Bereich der Privatsphäre nur ausnahmsweise – keinesfalls aber abstrakt-generell – gerechtfertigt sein können. Im persönlichen Bereich kann das grundrechtliche Bild der Verantwortungsgemeinschaft daher allenfalls eine Verfassungserwartung sein, die der Gesetzgeber nicht durch konkrete Inhaltsbestimmungen verbindlich machen kann. Letztlich wird den Ehegatten durch Art. 6 Abs. 1 GG in seiner freiheitsrechtlichen Dimension die Ausgestaltung der Ehe im persönlichen Innenbereich nach individuellen Vorstellungen vorbehalten, während der Gesetzgeber unter Rückgriff auf die Institutsgarantie inhaltsbestimmend tätig werden darf, um vor allem über vermögensmäßige Pflichten die Ehe als Verantwortungsgemeinschaft zu gewährleisten.[73] An diesem Maßstab müssen sich die bestehenden einfach-rechtlichen Regelungen zur Pflichtbindung in der ehelichen Lebensgemeinschaft messen lassen.
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › II. „Familie“
II. „Familie“
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › II. „Familie“ › 1. Dogmatisch-begriffliche Selbstständigkeit der „Familie“
1. Dogmatisch-begriffliche Selbstständigkeit der „Familie“
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Art. 6 Abs. 1 GG stellt auch die Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Daraus ergibt sich eine begrifflich-dogmatische Selbstständigkeit der „Familie“ gegenüber der „Ehe“, aber auch umgekehrt. Die Trennung von Ehe und Familie und die damit getroffene Festlegung beider Rechtsinstitute als jeweils eigenständige, voneinander unabhängige Schutzgüter war nach den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Indienstnahme der Ehe für eine rassistisch orientierte staatliche Bevölkerungspolitik eine bewusste Entscheidung des Grundgesetzes gegenüber der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die die Ehe noch als Grundlage der Familie unter Schutz gestellt hatte.[74]
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Auch wenn eine Ehe nicht mehr besteht oder nie bestanden hat, existiert – heute unbestritten – zwischen einem Kind und dem mit ihm zusammenlebenden[75] Elternteil eine Familie,[76] sei dieser Elternteil ein geschiedener Ehepartner, sei es die Mutter oder der Vater eines nichtehelichen Kindes.[77] Der Familienschutz schließt auch die nichteheliche Familie ein; Art. 6 Abs. 1 GG garantiert insbesondere das Zusammenleben der Familienmitglieder und die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden.[78] Den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG hat das BVerfG inzwischen von der rechtlichen Elternstellung gänzlich gelöst: Familie ist die „tatsächliche“ Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für jene die Verantwortung tragen; entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Auch der leibliche (nicht rechtliche) Vater bildet deshalb mit seinem Kind eine Familie, die unter den Schutz des Grundgesetzes fällt, wenn er mit seinem Kind zusammenlebt und tatsächliche Verantwortung übernommen hat (vgl. aber auch Rn. 39).[79] Gegenüber der Ehe als der „Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft“[80] ist die Familie die „umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern.“[81] Maßgebliche Voraussetzung ist aber, dass es sich um eine „von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern“ handelt.[82] Den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG genießen alle „sozialen Familien“,[83] also auch Adoptiv-[84] und Pflegefamilien[85] sowie die Gemeinschaft von Ehepartnern mit Stiefkindern[86] und die sozial-familiäre Gemeinschaft von eingetragenen Lebenspartnern mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines der Partner.[87] – Davon strikt zu trennen ist die Frage, ob den Familienmitgliedern, die die elterliche Erziehungs- und Betreuungsfunktion wahrnehmen, auch das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zukommt.[88]
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Geschützt wird von Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur die Kleinfamilie bestehend aus den Eltern und Kindern, sondern auch die Großfamilie (insb. die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln),[89] wobei die Einbeziehung der Großfamilien in den Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG nicht ausschließt, Abstufungen der Intensität des Schutzes zwischen Klein- und Großfamilie