Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
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Die beiden erwähnten Urteile des BGH haben in zwei Fragen Rechtssicherheit geschaffen: Zum einen ist die Mitwirkung der Hauptversammlung an Umstrukturierungen regelmäßig erst dann geboten, wenn der Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt, in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung im Holzmüller-Fall (dort waren es 80 % des Gesellschaftsvermögens) erreicht. Zum anderen bedarf die Zustimmung der Hauptversammlung einer Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals, ohne dass diese Schwelle durch die Satzung herabgesetzt werden kann.[27]
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Es bleiben allerdings auch noch Fragen in diesem Zusammenhang offen:
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Die Herleitung der ungeschriebenen Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung ist einer dieser offenen Punkte. Es gibt verschiedene Ansatzmöglichkeiten für die Begründung der Hauptversammlungszuständigkeit: In der Holzmüller-Entscheidung hat der BGH sich noch an § 119 Abs. 2 AktG mit der Folge einer Ermessensreduzierung beim Vorstand auf Null aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre angelehnt. Jetzt spricht er von einer offenen Rechtsfortbildung in Anbetracht der Tatsache, dass die zu beurteilende Maßnahme zwar noch keine Satzungsänderung sei, ihr aber in der Wirkung sehr nahe komme. Die h.M. im Schrifttum[28] gibt der Hauptversammlung eine originäre Zuständigkeit und leitet diese aus einer Analogie zu den im Aktiengesetz oder im Umwandlungsgesetz definierten Strukturmaßnahmen her.
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Der BGH hat auch in den beiden zuvor zitierten Urteilen nicht abschließend darüber befunden, bei welchen konkreten Geschäftsführungsmaßnahmen der Vorstand intern gehalten ist, die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen. Neue Rechtsunsicherheit resultiert insbesondere aus der Formulierung des BGH, dass die Geschäftsführungsmaßnahme ihrer Wirkung nach einer Satzungsänderung nahe kommen muss.
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Offen ist auch weiterhin, welche Bemessungsgrundlage für eine Einschaltung der Hauptversammlung entscheidend ist – das Vermögen, der Umsatz oder der Ertrag der Gesellschaft. Das OLG Frankfurt ist dem im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Entlastung des Vorstands in seiner Entscheidung[29] entgegen getreten. Mit seinem Leitsatz führt das OLG Frankfurt aus, dass der Erwerb einer Beteiligung unabhängig von der hierbei geschaffenen Anteilsquote bei der Aktiengesellschaft in die Reihe vorstandsautonomer Geschäftsführungsangelegenheiten gehöre, wenn die satzungsmäßige Zulassung genereller Art vorliege. Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung nach der sog. „Holzmüller-“ bzw. „Gelatine-Rechtsprechung“ des BGH komme dann nicht in Betracht. Eine hauptversammlungspflichtige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes liege also dann nicht vor, wenn in der Satzung der Gesellschaft der Unternehmensgegenstand auch den Erwerb von Unternehmen nennt (Konzernöffnungsklausel). Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH[30] zurückgewiesen, jedoch wurde damit die Auffassung des OLG Frankfurt auch nicht im Ergebnis bestätigt. In seiner Urteilsbegründung führt der BGH u.a. aus, die Anfechtungsklage sei unbegründet gewesen, da in der unterlassenen Beteiligung der Hauptversammlung jedenfalls kein eindeutiger Gesetzesverstoß durch Vorstand und Aufsichtsrats vorliege. Da umstritten sei, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beteiligungserwerb zu einer ungeschriebenen, auf einer richterlichen Rechtsfortbildung beruhenden Hauptversammlungszuständigkeit führt, hätten sich Vorstand und Aufsichtsrat nicht über eine zweifelsfreie Gesetzeslage hinweggesetzt. Will ein Aktionär geltend machen, der Vorstand habe zu einer Maßnahme die notwendige Zustimmung der Hauptversammlung nicht eingeholt, sei er nicht auf die mittelbare Prüfung durch eine Anfechtungsklage gegen den Entlastungsbeschluss angewiesen.
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In der Praxis sollte daher mit der ungeschriebenen Zuständigkeit der Hauptversammlung wie folgt umgegangen werden:
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Zunächst ist eine konkret anstehende Entscheidung des Leitungsorgans, die über die gesetzlich vorgesehenen Fälle der Zustimmungspflicht hinausgeht, dahin zu überprüfen, ob sie mit den bereits höchstrichterlich entschiedenen Fällen zur Hauptversammlungskompetenz vergleichbar ist. Wenn ja, ist die Vorlage an die Hauptversammlung dringend zu empfehlen, um die größtmögliche Sicherheit zu erhalten, dass die zu treffende Entscheidung auch Bestand haben wird.
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Was die Mehrheitsverhältnisse bei der Entscheidung durch die Hauptversammlung angeht, ist mit der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass eine Mehrheit von drei Viertel des vertretenen Grundkapitals erforderlich ist.
Anmerkungen
Siehe auch Knapp DStR 2012, 2392.
MünchKomm AktG/Kubis Art. 53 SE-VO
So im Ergebnis auch Habersack ZGR 2003, 724, 741; a.A. Brandt S. 129 ff. und MünchKomm AktG/Kubis Art. 53 SE-VO
Dies gilt nicht, soweit Aufsichtsratsmitglieder gem. § 101 AktG in den AR zu entsenden sind. Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der AN ist die Hauptversammlung gem. § 36 Abs. 4 S. 2 SEBG an die Wahlvorschläge gebunden.
Gem. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG kann die Hauptversammlung einem Vorstandsmitglied lediglich das Vertrauen entziehen und damit dem AR die Möglichkeit geben, die Bestellung aus wichtigem Grund zu widerrufen.
A.A. Brandt S. 149 f., der die SE-VO insoweit für abschließend hält.
S. Art. 63 SE-VO.
Hüffer § 77 Rn. 5.
A.A. Brandt S. 150, der die Anwendbarkeit von § 111 Abs. 4 S. 3–5 AktG verneint, da die Vorschriften durch Art. 48 SE-VO überlagert würden. Siehe auch MünchKomm AktG/Kubis Art. 52 SE-VO
Hüffer