Bobbie oder die Liebe eines Knaben. Hugo Bettauer
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»Vorzugsschüler!« sagte Bob mit möglichst viel Leichtigkeit in der Stimme, um ja nur nicht den Eindruck zu erwecken, als würde er das gar zu wichtig nehmen.
Gertie aber sprang jubelnd in die Höhe, packte Bob bei beiden Händen, zog ihn ganz in den Vorraum zur Wohnung hinein, drehte ihn im Wirbel umher und schrie: »Mama, Mama, komm‘, Bob ist Vorzugsschüler geworden!«
Frau Anna Sehring, Gerties Mutter, kam lächelnd herein, beglückwünschte Bob und ließ sich das Zeugnis zeigen. Mit einem wehmütigen Lächeln auf dem blassen, abgehärmten Gesichte, in das viele, viele Tränen kleine Rinnen gezogen hatten sagte sie ganz leise:
»Sicher hätte mein Harry mir auch nur gute Zeugnisse gebracht, er war ein guter und kluger Junge.« Und nun tropften wieder Zähren über die Wangen. Das kleine Mädchen schlang den Arm um den Hals der Mutter, lehnte seine rosigen Backen an das Gesicht der weinenden Frau und sagte begütigend:
»Mutti, Mutti, nicht weinen –«
Bob aber meinte ernst: »Sie sollten nicht immer so traurig sein, Frau Sehring. Unser Geschichtsprofessor hat ganz recht, wenn er sagt, man dürfe um die Toten nicht klagen, weil es ihnen gut geht und man ihnen ihre Ruhe und den ewigen Frieden nicht neiden darf. Und dann haben sie doch Gertie und –« Er wollte sagen, ich bin ja auch noch da, aber irgendwie schien es ihm unpassend zu sein und er schwieg errötend.
Frau Sehring hatte viel Kummer erlebt, unter dessen Last sie frühzeitig gealtert war. Ihr Sohn, der jetzt vierzehn gewesen wäre, war vor sechs Jahren, als Gertie kaum fünf Jahre alt war, plötzlich an einer Gehirnhautentzündung gestorben, und ihr und ihres Mannes Jammer war grenzenlos gewesen. Herr Sehring war Offizier und immer hatte er davon geträumt, seinen Jungen dieselbe Laufbahn ergreifen und einen großen Feldherrn werden zu lassen. Er konnte über den Verlust des einzigen Sohnes nicht hinwegkommen und war von da an ein verschlossener, wortkarger und unwirscher Mann geworden, den nicht einmal der Anblick des heranwachsenden Töchterchens trösten wollte. Dann kam der Krieg, Major Sehring rückte ein, zeichnete sich vielfach aus und fiel an der Spitze seines Regimentes. Vermögen hinterließ er nicht, und so war seine Witwe mit Gertie ganz auf die schmale, staatliche Pension angewiesen und konnte nur mühsam, unter Verzicht auf jeden Luxus und jedes Wohlleben, ihr Auskommen finden.
Gertie aber war das süßeste kleine Blondchen, das man sich auf der Welt vorstellen konnte. In der ganzen Stadt hätte man vergebens nach einem zierlicheren Figürchen, nach ähnlich tiefblauen Augen, nach so schönen, wie lauteres Gold glänzenden Locken suchen können, und es war wirklich kein Wunder, wenn sich alle Leute nach Gertie auf der Straße umdrehten. Täglich hörte es Gertie auf ihrem Schulweg in allen Tonarten an ihr Ohr klingen:
»Sapperlot, seht nur das schöne, kleine Mädchen! Sieht es nicht wie ein Engel aus?«
Aber Gertie war zu kindlich, zu harmlos, um durch solche Worte selbstbewußt und stolz zu werden; sie freute sich einfach darüber, daß alle Leute lieb zu ihr waren und sie schön fanden, wie sich etwa ein kleines Mädchen freut, wenn man seine Puppe oder sein Kleidchen lobt.
Wie die beiden Kinder nun Hand in Hand die Straße entlang gingen, um nach dem nur wenige Schritte entfernten großen Park zu gelangen, boten sie ein so harmonisches Bild knabenhafter und mädchenhafter Lieblichkeit, daß sogar der Fleischer an der Ecke, berühmt wegen seiner Grobheit und Unfreundlichkeit gegen Kinder, die er unnützes Unkraut zu nennen pflegte, ihnen aus dem Laden freundlich zunickte, seiner dicken, kinderlos gebliebenen Ehehälfte einen sanften Rippenstoß gab und sagte:
»So was, wenn man hätte, das könnt‘ einem schon das Leben angenehm machen!«
II. Kapitel. Zukunftspläne
Die Freundschaft zwischen den beiden Kindern war damals vor drei Jahren entstanden, als Gertie zum erstenmal in ihrem Leben nach dem Tode des Majors Sehring statt eines hellen Kleidchens ein schwarzes tragen mußte. Es war ein heißer Sommertag zu Ende Juli wie heute gewesen, und Gertie saß allein, von all dem Jammer zu Hause, den sie in seiner ganzen Tragik wohl empfand, aber nicht verstehen konnte, verstört auf einer Bank im Park. Da trat aus einer Gruppe von Kindern, die irgendein Spiel aufführen wollten, ein grobschlächtiger Junge auf sie zu und sagte, während er mit dem schmutzigen Zeigefinger in der Nase bohrte:
»Komm‘ mitspielen, wir brauchen noch eine!«
Schüchtern erwiderte das kleine, blonde Ding: »Ich danke, ich mag‘ aber heute nicht spielen.«
Wohl hatte Mutter ihr das Spielen nicht verboten, aber trotz ihrer acht Jahre fühlte sie doch, daß sie heute, wo Papa irgendwo in weiter Ferne in einem frisch geschaufelten Grab lag, nicht spielen und heiter sein durfte. Und dann gefielen dem feinen Kinde, das immer wie eine Prinzessin aussah, der Junge und seine Gefährten durchaus nicht.
Der Junge pflanzte sich nun breit vor Gertie auf.
»Was, spielen magst du nicht? Vielleicht weil du ein schwarzes Kleid anhast! Bildest dir wohl ein, wir sind nicht fein genug für dich! Steh‘ auf und komm‘, sonst setzt es was ab.«
Und schon hatte er Gertie beim Arm gepackt und in die Höhe gezerrt. Gertie fing zu weinen an und wehrte sich, da versetzte ihr der Junge einen Schlag ins Gesicht und wollte weiter drauflosschlagen.
In diesem Augenblicke aber war Bob, der die Szene beobachtet hatte, zur Stelle. Seinen Schulranzen warf er ins Gras, stürzte sich auf den rohen Jungen und haute ihm links und rechts Maulschellen herunter; ein kurzes Ringen und der Unhold flog wie ein Gummiball nieder. Wohl sprang er wieder auf, um sich auf Bob zu werfen; als er aber in dessen bleich gewordenes Gesicht mit den funkelnden Augen sah, schlich er wie ein geprügelter Hund fort. Bob ging nun auf das kleine Mädchen zu, das vor lauter Überraschung zu weinen vergessen hatte und ihn bewundernd ansah.
»Ich heiße Bob Holgermann. Sag‘ mir, wie du heißt und wo du wohnst, ich bringe dich nach Hause.«
Gertie machte einen artigen Schulknicks, vergaß aber vor lauter Verlegenheit zu antworten und begnügte sich mit der hingebungsvollsten Feststellung: »Bist du aber stark! Könntest auch unsere Zeichenlehrerin verhauen!«
Dann ergriff sie die warme Hand des Knaben und ließ sich von ihm bis zu ihrem Hause führen, wobei Bob entdeckte, daß das blonde, kleine Mädchen mit den veilchenblauen Augen und dem schwarzen Kleid gerade der Villa seines Vaters gegenüber wohnte.
Von da an wurden diese beiden unzertrennliche Spielgefährten, bald besuchten sie einander täglich und auch Frau Sehring begann im Hause des millionenreichen Fabrikanten und seiner Gattin, die die unglückliche, gebildete und sehr stille Frau schätzte, als Gast zu erscheinen.
Bob ging nun heute als frischgebackener Vorzugsschüler, die herrlich langen Sommerferien vor sich, in fieberhafter Erwartung des versprochenen Hundes, mit Gertie in den Park. Sie hatten zuerst wie gewöhnlich Diabolo spielen wollen, aber das ging heute doch nicht. Bob fühlte sich, er war voll Mitteilungsdrang, er mußte sprechen. Sie gingen zuerst den Weg knapp am Parkgitter entlang, aber ein großes, geschlossenes Automobil, das im langsamsten Tempo fast neben ihnen her, nur außerhalb des Gitters fuhr, störte sie mit seinem Rattern und Benzingestank und so bogen sie in eine schattige Allee ein und ließen sich auf einer Bank nieder.
»Bob, freust du dich sehr über dein gutes Zeugnis?«
Bob überlegte und strich sich die Locken aus der freien, hohen Stirn.
»Eigentlich wollte ich sagen: Ach was, es ist mir ganz egal! Weil Jungens immer so tun müssen,