Bobbie oder die Liebe eines Knaben. Hugo Bettauer

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Bobbie oder die Liebe eines Knaben - Hugo  Bettauer

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Sehring lag weinend auf dem Ruhebett, Frau Holgerman saß neben ihr, ebenfalls verzagt und nur mühsam künstlich und gegen die innere Überzeugung zurechtgelegte Trostworte spendend.

      Ernst begann Herr Holgerman: »Frau Sehring, Sie sollten sich nicht so Ihrem Schmerz hingeben! Sie und wir alle brauchen jetzt unsere Nerven, denn es versteht sich wohl ganz von selbst, daß ich und meine Frau, auch Bob, Ihnen zur Seite stehen werden, was immer auch geschehen sein mag.«

      Bei dem Wort »geschehen« fuhr die weinende Frau zusammen.

      »Nun, nun, Sie brauchen nicht das Schlimmste zu denken. Ich glaube nicht, daß Gertie ein ernstlicher Unfall widerfahren ist. Vielleicht hat sie sich Bekannten angeschlossen, die sie zu Tisch geladen haben. Das ist sogar sehr wahrscheinlich; ich stelle mir das so vor, daß Gertie von dem betreffenden Hause uns anrufen wollte und keine Verbindung bekam.«

      Wehmütig‘ schüttelte Frau Sehring den Kopf. »Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie mir Trost zusprechen und sich so bemühen! Aber glauben Sie mir, Gertie ist nicht freiwillig verschwunden! Ich kenne mein Kind; ich weiß, wie besorgt und gut sie immer zu mir ist, sie würde mit niemandem mitgegangen sein, ohne mich vorher zu fragen.«

      Bob konnte nicht umhin, beipflichtend zu nicken. Seine Gertie, die nur an ihrer Mutter und an ihm hing, sollte einfach fortgegangen sein, ohne ihn, auf den sie doch hatte warten wollen, zu verständigen? Ausgeschlossen! Plötzlich kam ihm aber ein Einfall.

      »Vielleicht ist Gertie doch im Park! Vielleicht ist sie, weil sie nicht warten wollte, dorthin gegangen; es wurde ihr übel, und sie versteckte sich, um sich zu erholen, hinter einem Gebüsch, ist dort ohnmächtig geworden oder eingeschlafen. Ich laufe in den Park und suche sie.«

      Herr Holgerman war einverstanden. »Tue das, mein Junge, nimm den Parkwächter zur Hilfe, gib ihm Geld und versprich ihm noch mehr, wenn Gertie gefunden wird. Und dann verständigst du mich jedenfalls in der Fabrik telephonisch. Ist sie nicht gefunden worden und nicht von selbst zurückgekommen, so werde ich den Polizeipräsidenten, den ich seit Jahren gut kenne, aufsuchen und bitten, die Nachforschungen mit aller Energie zu betreiben.«

      Herr Holgerman fuhr nach der Fabrik, Frau Holgerman blieb bei der verzweifelten Mutter und Bob stürmte in den Park.

      Zuerst suchte er planmäßig alle hinter den Wegen gelegenen Gebüsche und Wiesen ab – einmal und noch einmal. Vergebens! Nun begab er sich nach dem Spielplatz, der wieder von jungem Volk belebt war, und fragte ein paar kleine Mädchen, Schulkameradinnen Gerties, ob sie Gertie Sehring gesehen hätten. Natürlich war dies nicht der Fall gewesen. Also los zum Invaliden!

      »Lieber Herr, kommen Sie ein wenig abseits, ich habe mit Ihnen Wichtiges zu sprechen.«

      »Mit mir hat der kleine Knirps Wichtiges zu sprechen, ha, ha, ha!« gröhlte der alte Mann, blickte aber dabei nicht ohne Wohlwollen auf den Jungen hinab, der ihm heute bleicher vorkam als je zuvor. Und dann stelzte er mit dem Knaben abseits nach einem stillen Seitenweg.

      »Nun leg‘ mal los! Ball in ein Blumenbeet geworfen, was?«

      »Ach, wenn es das nur wäre, lieber Herr Wächter, dann würde ich Sie gar nicht bemühen. Nein, es ist etwas sehr Arges. Nicht wahr, Sie kennen das blonde Mädchen, mit dem ich jeden Tag fast und auch heute hier gespielt habe?«

      »Werd‘ ich wohl,« schmunzelte der Mann in der fadenscheinigen Uniform. »Ist doch das schönste kleine Ding, das es hier im Park zu sehen gibt!«

      »Nun, das ist meine Freundin, Gertie Sehring, und sie ist spurlos verschwunden.«

      Und in fliegender Hast, während ihm dicke Tränen über die Backen liefen, erzählte Bob, was sich ereignet hatte.

      Der Invalide starrte dösig drein. »Verdammt, das ist eine saudumme Geschichte! Das blonde Ding schaut mir nicht wie eine Durchbrennerin aus, ist ja sanft und lieb wie ein Täubchen! Himmel und Teufel, wenn jemand dem Kind etwas Böses getan hat, so will ich ihm mit meinem Stelzbein die Gedärme eintreten!«

      Bob drückte ihm nun einen größeren Schein in die Hand. »Das gleich für Ihre Mühe, und doppelt soviel, wenn wir Gertie finden. Vielleicht liegt sie irgendwo im Gras. Ich habe ja schon allein gesucht, aber möglicherweise nicht gründlich genug, und dann bin ich auch, müssen Sie wissen, vor Kummer und Aufregungen ein wenig verwirrt.«

      »So! Kummer und Aufregung? Verdammt, kann ich mir denken! Hätte auch ohne Geld gesucht, aber zurückgeben kann ich es nicht. Wär‘ eine Gemeinheit gegen meine Alte, die Geld brauchen kann wie eine Spinne die Fliegen.«

      Und sie suchten. Suchten die Wiesen ab, stiegen ins Gras, hinter jede Hecke, öffneten die Türe zu dem geheimnisvollen grauen Bretterhäuschen, in dem die Gärtner ihre Geräte verwahren. Nichts, keine Spur von dem kleinen Mädchen mit den großen, blauen Augen und den blonden Locken.

      Noch ein Versuch. Im Park gab es einen Teich, in dem schöne Goldfische und ein einsamer, angeblich uralter Schwan ihr Leben fristeten. Vielleicht, daß in diesem Teiche – – aber nein, gerade heute war das Wasser hell und durchsichtig, so daß man bis auf den Grund sehen konnte. Nein, Gertie war nicht in den Teich gefallen.

      VII. Kapitel. Bob hat eine böse Nacht

      Es war inzwischen fast fünf Uhr geworden und Bob gab es auf. Er ging wieder zu Frau Sehring, bei der er seine Mutter noch antraf. Als sie an dem bleichen Gesichte des Knaben sahen, daß er ohne Ergebnis zurückkam, begannen beide zu weinen, und Frau Sehring bekam wieder eine Herzschwäche.

      Bob konnte den Jammer nicht ertragen. Er zitterte am ganzen Körper und rief:

      »Ich bin nur ein kleiner Junge, aber ich will nicht ruhen, bevor ich Gertie gefunden habe! Und ich weiß, daß der liebe Gott ihr kein Leid zufügen läßt!«

      Diese Worte hatten eine gute Wirkung. Frau Sehring sank in die Knie und begann still und andächtig zu beten. Frau Holgerman aber ging leise, ihren Jungen an der Hand, fort in die Villa hinüber, um ihren Gatten zu verständigen.

      Der Polizeipräsident hörte mit gefurchter Stirne den Bericht des ihm wohlbekannten und von ihm hochgeachteten Fabriksbesitzers an, während er sich hie und da eine Notiz machte. Wortlos drückte er einen Taster, worauf ein Polizist in Zivil eintrat.

      »Bitten Sie Herrn Crispin, sofort zu mir zu kommen!« Und erläuternd zu Herrn Holgerman: »Herr Crispin ist einer unserer tüchtigsten Beamten von der Kriminalpolizei und Spezialist auf dem Gebiete der Nachforschung nach verschwundenen Personen.«

      Inspektor Crispin, ein untersetzter, breitschulteriger, glattrasierter Mann in mittleren Jahren, trat ein und hörte schweigend den Bericht seines Chefs an, der mit den Worten schloß:

      »Herr Inspektor, ich übergebe Ihnen hiermit den Fall Gertie Sehring und bitte Sie, ihn als wichtigste Angelegenheit zu betrachten und nichts, aber auch gar nichts zu versäumen, was die Auffindung des Kindes, tot oder lebendig, ermöglichen kann. Es ist dies, wenn ich nicht irre, der dritte Fall seit kurzer Zeit; die Presse wird Lärm schlagen, und die Sache muß auf jeden Fall aufgeklärt werden. Können Sie mir über die vorhergegangenen Fälle, in denen Kinder verschwunden sind, gleich Bericht erstatten?«

      »Jawohl, Herr Präsident, ich habe sie genau im Gedächtnis. Zwei Tage vor Neujahr verschwand spurlos die neunjährige Ruth Clemens, Tochter eines Lehrers. Sie war zuletzt in der Gartenanlage im Nordviertel gesehen worden. Ein auffallend hübsches Mädchen, brav, folgsam, kein Konflikt in der Schule oder im Elternhaus. Alle Nachforschungen sind ergebnislos geblieben. Der nächste, fast ganz

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