Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May

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Natur begann, sich geltend zu machen. Die Pferde seitwärts lassend, wendete ich mich der Stelle des alten Mauerwerkes zu, wo die letzten Büsche des Weidelandes standen. Dort war einer der cyklopischen Steine zu irgend einem Zwecke aus den Fugen gehoben und auf die hohe Kante gerichtet worden. Er warf nach Nord den Schatten. Da wollte ich mich niedersetzen und das Gemäuer in Augenschein nehmen. Aber es saß schon jemand da – — Schakara. Meine Schritte waren im Grase unhörbar gewesen. Sie wurde auf mein Kommen erst aufmerksam, als sie meinen Schatten neben dem des Steines erscheinen sah. Da wendete sie den Kopf, wer es wohl sein möge. Als sie mich erblickte, wollte sie aufstehen, aber ich bat sie, ruhig sitzen zu bleiben, und nahm in ihrer Nähe Platz.

      Sie zeigte nicht die geringste Spur von Verlegenheit, während ein europäisches Mädchen, in derselben Beschäftigung überrascht, gewiß aufgesprungen und davongelaufen wäre. Sie hatte nämlich ihre langen, schweren, dunklen Flechten geöffnet und war soeben dabei, dieses fast überreiche Haar durch den Kamm zu glätten.

      »Laß dich nicht stören, Schakara!« sagte ich. »Hier bin ich Kurde und nicht Europäer.«

      »Europäer – — – ?« Sie sah mich fragend an. Dann kam es wie Verständnis über sie: »Ist es bei euch eine Schande für die Frauen, ihr Haar vor euren Augen zu berühren?«

      »Zwar keine Schande, aber auch keine Ehre. Unsere Frauen zeigen ihr Haar nur in künstlich geordnetem Zustande.«

      »Künstlich geordnet?« lächelte sie. »Also ist bei euch diese Ordnung nicht Natur, sondern Kunst? Vielleicht ist das richtig; ich verstehe es nicht.«

      Wie einfach und unbefangen das klang! Wie hell und sorglos sie mich dabei anschaute! Und wie unbedenklich sie dann in ihrer Beschäftigung fortfuhr! Ich richtete mein Auge auf die Ruinen, zunächst ohne weiter zu sprechen. Kein Lufthauch war zu spüren. Es herrschte tiefe Stille, und nur – — – — was war denn das? Während Schakara ihr Haar bewegte, war jenes laut knisternde, ganz eigenartige Geräusch zu hören, welches entsteht, wenn elektrische Fünkchen überspringen. Sie bemerkte meine schnelle Kopfbewegung und fragte:

      »Wolltest du mir etwas sagen, Effendi?«

      »Eigentlich nicht; aber, knistert dein Haar stets so, wenn du es ordnest?«

      »Ja. Oft noch viel lauter.«

      »Seit wann?«

      »So lange ich mich besinnen kann.«

      »Kennst du noch andere Personen, bei denen dasselbe Geräusch entsteht?«

      »Nur eine einzige, nämlich Marah Durimeh. So oft ich ihr die langen, weißen Zöpfe flocht, erklang ihr Haar in diesen lieben Tönen, und in den Händen war es mir, als sprängen tausend Funken auf mich über. Sie sagt, das müsse sein, wenn sich nichts Fremdes zwischen Leib und Seele stelle. Hast du es noch nicht gekannt, Effendi?«

      »Doch!«

      »Bei vielen?«

      »Nein; nur bei einem, bei mir. Darum konnte ich nicht vergleichen und nach den Ursachen suchen.«

      »Die Ursache ist das Leben, ist die Seele. Ist diese ungeschwächt, so hat sie auch die Kraft, zu zeigen, daß sie Ueberschuß an Lebensvermögen besitze.«

      »Wie du so sprichst, Schakara!«

      »Wie soll ich anders reden? Ich hörte es von Marah Durimeh, die meine Lehrerin gewesen ist, so lange ich lebe. Sie liebt dies Knistern sehr; sie pflegt es sogar; sie wird besorgt, wenn es sich einmal mindert. Sie spricht von ihm, wenn sie aus alter Zeit erzählt, als noch kein Mensch von Krankheit etwas wußte. Hat sie dir nicht gesagt von jenem fremden Dichter, der seine Poesie, die er verloren hatte, an diesem Knistern, als sie dann wiederkam, sofort erkannte? Das war das Roß der Himmelsphantasie, der treue Rappe mit der Funkenmähne, der keinen andern Menschen trug als seinen Herrn, den nach der fernen Heimat suchenden. Sobald sich dieser in den Sattel schwang, gab es für beide nur vereinten Willen. Die Hufe warfen Zeit und Raum zurück; der dunkle Schweif strich die Vergangenheiten. Des Laufes Eile hob den Pfad nach oben. Dem harten Felsen gleich ward Wolke, Dunst und Nebel, und durch den Aether donnerte das Rennen hinauf, hinauf ins klare Sternenland. Dort flog die Mähne durch Kometenbahnen, und jedes Haar klang knisternd nach der Kraft, die von den höchsten aller Sonnen stammt und drum auch nur dem höchsten Können dient. Und thaten sich die Thore wieder auf, die niederwärts zur Erdenstunde führen, so tranken Roß und Reiter von dem Brunnen, der aus der Tiefe jenes Lebens quillt, und kehrten dann im Schein der Sterne wieder. Der Reiter hüllte leicht sich in den Silbermantel, den ihm der Mond um Brust und Schultern warf, und seiner Locken Reichtum wallte ihm vom Haupte. Des Rosses düstre Mähne aber wehte, im Winde flatternd wie zerfetzte Strophen, schwarz auf des Mantels dämmerlichten Grund. Und jene wunderbare Kraft von oben, die aus den höchsten aller Sonnen stammt, sprang in gedankenreichen Funkenschwärmen vom wallenden Behang des Wunderpferdes, hell leuchtend, auf des Dichters Locken über und knisterte versprühend in das All.«

      Sie hatte langsam und natürlich, ohne alle künstliche Hebung gesprochen, als ob diese Art der Ausdrucksweise eine ihr keineswegs ungewöhnliche sei. Ich war erstaunt, ja wohl mehr als erstaunt. Weniger über die bilderreiche Ausdrucksweise, weil diese dem Oriente eigen ist, als vielmehr über die Tiefe und den dichterischen Wert der Gedanken, welche sie ausgesprochen hatte. Welch ein Denken, Schauen und Empfinden! Welch eine reiche, seltsame Welt in ihrem Innern! Welche Schätze mochte sie in sich tragen, die doch so anspruchslos hier an der Erde saß! Sie begann jetzt, ihr aufgelöstes Haar wieder in Flechten zusammenzulegen. Sie sah dabei nicht zu mir herüber, fühlte aber dennoch meinen auf ihr ruhenden Blick, denn sie sagte:

      »Effendi, du forschest in mir. Frage mich doch lieber, wenn du etwas willst! Ich sage es dir ja gern.«

      Da erkundigte ich mich denn auch sogleich:

      »Du nanntest Marah Durimeh deine Lehrerin. Was hat sie dich gelehrt, und in welcher Weise that sie es?«

      »Als echte Muallima[17], die nichts falsch oder überflüssig tut. Sie lehrte mich zunächst das Lesen und das Schreiben. Dann brachte sie mir nach und nach alle jene Bücher, die das enthielten, was ich lernen sollte.«

      »Gedruckte Bücher?«

      »Nein, zunächst noch nicht. Diese bekam ich erst nach Jahren, als sie glaubte, daß mich fremde oder gar falsche Gedanken nicht mehr beirren könnten. Was ich in der ersten Zeit zu lesen und zu lernen hatte, das schrieb sie alles selbst, nur ganz allein für mich. Sie sagte, das müsse so sein, wenn ich werden solle, was ich zu werden habe. Solche Bücher haben die genaue Mostra[18] zu enthalten, nach welcher die geistige Gestalt zu bilden sei, keinen Strich zu wenig und aber auch keinen zu viel. Weil aber niemals zwei verschiedene Personen ganz dieselbe Begabung besitzen, könne die Form für den einen nicht auch die Form für den andern sein. Darum sei außer der Schule des Lebens jede andere zu eng, die Kleinen in der Weise groß werden zu lassen, daß sich jeder in seiner besondern Eigenart entwickele. – Du siehst mich staunend an, Effendi. Habe ich etwas Törichtes gesagt?«

      »Ich staune, ja; aber aus einem ganz andern Grunde, als du denkst. Schakara, ich sage dir: Marah Durimeh ist eine Meisterin! Hat sie noch andere Schülerinnen außer dir?«

      »Wer kann das sagen! Sie ist zwar meist verborgen, doch überall geliebt, wo sie erscheint, und jeder lernt von ihr, zu dem sie kommt. Mich aber hat sie einst zu sich geholt; ich war und blieb bei ihr und teilte alles, was sie trug und tat. Sie gab sich wohl mit keiner so viel Mühe wie mit mir, und was ich bin, das habe ich nur ihr allein zu danken.«

      »So weiß sie, daß du jetzt hier bei dem Ustad bist?«

      »Ja.

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<p>17</p>

Lehrerin.

<p>18</p>

Modell.