Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May

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im Erdenschmutze züchtet. Er hat den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen begriffen und weiß, daß der Erstere nicht aus dem Letzteren gerissen werden kann, um ausgestoßen und von der geistigen Feindseligkeit abgethan zu werden. Er kennt die Strömungen und Gegenströmungen der übersinnlichen Atmosphäre, die frei von den Ausdünstungen egokranker Menschenkörper sind, und hebt jeden seiner Nächsten, bevor er ihn betrachtet, zu dieser durchsichtig klaren, reinen, keine Mißgunst kennenden Höhe empor.«

      »Aber was dann, wenn es geschieht, daß er selbst einmal angegriffen, befeindet, verleumdet und verurteilt wird?« fragte der Ustad.

      »So thut er eben das, was ich jetzt sagte: Er hebt die Angreifer aus ihrer Tiefe zu sich empor, um sie zu durchschauen. Da fällt der ganze Schmutz und alles, was sie sonst noch gewichtig gemacht hat, von ihnen ab. Sie werden leicht, so über oder vielmehr unter alle Maßen leicht, daß sie vor seinen Augen nach und nach in nichts zerfließen. Sie sind ja ganz nur Schmutz und ohne jede Spur von Geist gewesen, und so versteht es sich ja ganz von selbst, daß, sobald der Unflat abgefallen ist, für ihn von ihrer ganzen Existenz nichts mehr vorhanden sein kann.«

      »Aber er wird doch antworten? Sich verteidigen?«

      »Welch eine Frage! Ich habe dir doch soeben gesagt, daß sie für ihn in Nichts zerflossen seien. Wem soll er antworten? Diesem Nichts? Das wäre ja doch Widersinn! Oder dem Schmutze? Der geht ihn gar nichts an. Er ist der ihrige! Dem Geiste, den es bei ihnen gar nicht giebt? Ich begreife dich nicht! Würdest etwa du antworten?«

      Da that er einige rasche Schritte auf mich zu und rief aus:

      »Effendi, ich habe es gethan. Ich habe geantwortet – — – leider, leider, leider!«

      »Dem Schmutze?«

      »Ja.«

      »Dem Nichts?«

      »Nein. Ich stand ja, wie ich jetzt, erst jetzt einsehe, nicht so hoch über meinen Feinden, daß sie mir in ein Nichts zerfließen mußten. Und nun erkenne ich, daß auch ich nicht frei von Schmutz gewesen sein kann. Denn hätte er nicht auch an mir gehaftet, so wäre mein Verhalten ganz das jenes hohen, freien Geistes gewesen, von welchem du gesprochen hast. Mir scheint, ich habe Fehler einzugestehen, die mir bis zur gegenwärtigen Stunde keinesweges als Fehler erschienen sind. Du hast heut da drüben bei unserm Beit-y-Chodeh dem Pedehr gebeichtet. Ich war tief im Herzen gerührt davon. Deine mutvolle Aufrichtigkeit imponierte mir. Nun bist du rein und frei von allem, was dir angehangen hat. Ich glaubte nicht, daß auch ich mich zu reinigen haben werde. Jetzt aber weiß ich, daß es doch so ist. Ich werde denselben Mut besitzen, den du besessen hast. Auch ich werde beichten, dir, wie du dem Pedehr. Und wenn ich dann aus deinem Munde höre, daß mir verziehen werden könne, so werde ich mich für berechtigt halten dürfen, diese Verzeihung als ausgesprochen, als geschehen anzunehmen. Ich war über das hinaus, was du das »erste Leben« nanntest. Ich stand im »zweiten Leben«, denn ich fühlte, daß sich meine geistige Individualität in mir gestalten wollte. Aber es gelang mir nicht, das »dritte« zu erreichen. Warum? Wir werden nach den Gründen suchen, du und ich. Und ich ahne, daß ich in diesen Gründen meine mir bisher unbekannten Fehler entdecken werde.«

      Als er bis hierher gekommen war, hörten wir, daß unten auf dem Vorplatze jemand dreimal in die Hände klatschte.

      »Das gilt mir,« sagte er. »Der Pedehr weiß, wo ich bin und daß niemand zu uns kommen darf. Ich habe mit ihm, falls man meiner bedürfen sollte, dieses Zeichen verabredet!«

      Er begab sich durch das Mittelzimmer auf das Vordach. Ich hörte ihn hinuntersprechen. Dann kehrte er zu mir zurück und sagte:

      »Ich soll zum Pedehr hinabkommen und auch dich mitbringen. Es scheint sich um etwas Wichtiges zu handeln.«

      »Was es ist, hat man dir nicht gesagt?«

      »Nein. Ich fragte zwar, doch der Pedehr antwortete, er dürfe es mir nicht laut heraufrufen. Komm!«

      Wir gingen hinunter. Der Pedehr befand sich in der Halle, in welcher ich gelegen hatte. Tifl und ein zweiter Dschamiki waren bei ihm. In dem letzteren erkannte ich den Wächter, welcher heut am Nachmittage über Stock und Stein geritten war, um uns die Ankunft der Perser zu melden. Halef schlief fest. Hanneh war auch schlafen gegangen. Sein Sohn saß bei ihm. Der Scheik der Dschamikun empfing uns mit der des Kranken wegen nur halblaut gesprochenen, aber sehr wichtigen Kunde:

      »Der Bluträcher ist wieder da!«

      »Wo?« fragte der Ustad im Tone der Ueberraschung.

      »Das wissen wir nicht.«

      »Wer hat ihn gesehen?«

      »Mein Sohn,« antwortete der Wächter.

      »Hat er sich nicht etwa getäuscht?«

      »Nein. Er kennt ihn ja. Er hat ihn doch heute am Nachmittage durch den ganzen Duar bis an unser Gotteshaus geführt und ihn also genau betrachten können.«

      »Wo ist dein Sohn?«

      »Ich habe ihn mitgebracht. Er wartet draußen vor den Stufen.«

      »Hole ihn!«

      Ich ahnte natürlich sofort, daß irgendeine Teufelei geplant werde, und war höchst gespannt darauf, ob es uns wohl gelingen werde, zu erfahren, welcher Art sie sei. Natürlich durfte ich mir nicht erlauben, den beiden Oberhäuptern des Stammes in Beziehung auf die einzuziehenden Erkundigungen vorzugreifen. Der Sohn des Wächters hatte ein intelligentes Gesicht. Er sah sogar etwas wie pfiffig aus. Er kam mit seinem Vater bis vor den Ustad hin.

      »Du hast den Bluträcher gesehen?« frage ihn dieser.

      »Ja,« bestätigte der Gefragte.

      »War er allein?«

      »Nein. Es befanden sich noch zwei andere bei ihm.«

      »Woher kamen sie?«

      »Von draußen.«

      »Wo sind sie hin?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Doch wohl hierher?«

      »Wahrscheinlich.«

      »Geritten?«

      »Nein. Sie waren abgestiegen.«

      Da sah der Ustad den Pedehr an, und dieser mich. Dabei sagte der letztere:

      »Das ist eine ebenso unerwartete wie geheimnisvolle und bedenkliche Kunde! Was meinst du dazu, Effendi?«

      »Erlaubt Ihr mir, einige Fragen auszusprechen?« erwiderte ich ihm.

      »Natürlich!«

      »Ich hörte, daß ein Handelsmann aus Isphahan hier angekommen sei und eine Botschaft von dem Bluträcher ausgerichtet habe. Wo ist dieser Mann?«

      »Er wird nun wohl schon schlafen,« antwortete der Pedehr. »Soll ich ihn vielleicht wecken lassen?«

      »Das ist nur dann nötig, wenn Ihr mir nicht sagen könnt, was ich von ihm wissen will. Woher kam er?«

      »Von den nördlichen Dschamikun. Er traf mit den Persern auf der Höhe des Passes zusammen.«

      »Wie verhielten sie sich zu ihm?«

      »Weder

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