Münchhausen. Karl Immermann
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Nach einer Pause, die so feierlich war, als diejenige zu sein pflegt, welche die Komödianten vor der großen Szene machen, in welcher die Liebe dadurch über die Kabale siegt, daß Ferdinand seiner Louise Rattenpulver in Limonade eingibt, nach einer Pause, lang und lastend, wie die vorstehende Periode, sagte das Fräulein schüchtern zum Freiherrn: »Herr von Münchhausen, Sie treten wie ein mythisches Produkt unsrer Zustände mit innerer Notwendigkeit in die Burg meiner Väter. Schon haben Sie sich selbst in Ihrer Gartenrede als einen durch beziehungsvolle Beziehungen mit unsern Wünschen und Aussichten Verknüpften empfunden. Verargen Sie es daher der schüchternen Jungfrau nicht, wenn sie, die Gesetze der Zurückhaltung, welche sonst meinem Geschlechte eignen, brechend, Sie herzlich und dringend fragt: Gibt es noch Laufer?«
»Ja, meine Gnädige«, erwiderte der Freiherr mit ernster Rührung; »es gibt allerdings noch Laufer.«
»Pflegen sich wohl Fürsten dergleichen Laufer zu halten?« fragte das Fräulein, indem sie eine Träne im rechten Auge zerdrückte.
»Nur ein Fürst ist dessen fähig!« rief Münchhausen, und führte das Taschentuch an sein linkes weinendes Auge.
»Und nun die letzte Frage an Ihr schönes Herz, edler Mann, eine Frage, in der Sie meine Seele empfangen: Trägt ein Laufer, wo er erscheint, Blumenhut und Schurz?«
»Blumenhut und Schurz bleiben die Zeichen eines Laufers bis an das Ende der Tage«, sprach der Freiherr erhaben, und streckte, wie schwörend, den Daumen und die beiden ersten Finger der rechten Hand empor.
»Ich danke Ihnen für diese Stunde«, sagte das Fräulein. »Mein Leben beginnt wieder seine Schwingen zu regen. Das Schicksal gibt mir ein Zeichen; auf die Lippen der Unschuld, auf die Lippen Ihres Karl legte es sein bedeutendes Wort, wundersamen Tönen meines Tiefinnersten entsprechend, Schätzen des Busens, die sich eben leuchtend dem Dunkel entrungen hatten. Sie aber, hoher Meister, legten zart und weise die süße Fabel als schlichte, treue Wahrheit aus. O ich wußte wohl, daß ich hier verstanden werden würde!«
»Durchaus verstanden!« rief Münchhausen.
In diesem Augenblicke trat der alte Baron, der inzwischen die Einrichtung der Gaststube besichtigt hatte, wieder in das Zimmer, und lud Münchhausen ein, ihm dahin zu folgen, damit er es sich vor der Hand etwas bequem machen könne.
Emerentia sagte, als sie allein war: »Er ist erschienen, der mich ohne Wort versteht; der Himmel hält uns die Verheißungen, die er uns in der Sehnsucht gibt! Bald, bald wird nun auch Rucciopuccio kommen, der Fürst von Hechelkram, seine Freundin im reinsten Sinne des Worts abzuholen.«
Neuntes Kapitel
In den nächsten Tagen nach der Ankunft des Fremden ging das schwärmende Entzücken der Schloßbewohner über den wunderbaren Mann in den ruhigeren, aber um so festeren Glauben über, daß in ihm der vom Verhängnis bestimmte Heiland ihrer Wünsche erschienen sei. Denn der alte Baron merkte schon am ersten Abende, an welchem er Münchhausens Unterhaltung genoß, daß mit den Kenntnissen, Erfahrungen, Schicksalen, Blicken, Ideen und Hypothesen seines Gastes niemand zwischen Himmel und Erde sich zu messen vermöge. Er war, seinen Erzählungen zufolge, fast in allen bekannten und unbekannten Gegenden der Erde gewesen, hatte sämtliche Künste und Wissenschaften getrieben, zu Weinsberg Blicke in das Geisterreich getan, war durch alle Lagen des Lebens abwechselnd als Küchenjunge, Krieger, Staatsmann, Naturforscher und Maschinenbauer gegangen. Selbst in außermenschliche Regionen war sein Lebenslos geworfen worden; er ließ nach den ersten Stunden der Bekanntschaft merken, daß er einen Teil seiner Tage unter dem Vieh zugebracht habe.
Der alte Baron hatte hauptsächlich die Abendstunden, in welchen die Gesellschaft sich im Wohnzimmer zu versammeln pflegte, und bei dem Scheine einer Kerze auf den hölzernen Schemeln um den kiefernen Tisch saß, sich zu Mitteilungen erbeten. Für die Gartenpromenaden war von ihm ein noch strengeres Silentium festgesetzt worden, als früherhin, »denn«, sagte er, »man muß den Tag zum Nachdenken frei behalten, darüber, was Münchhausen am Abend erzählt; des Stoffes wird sonst zuviel, und wir werden alle drehend, wie die Schafe, von der Weisheit dieses Mannes.« — Aus dem Journalzirkel trat er nun wieder aus; in seinem Gaste besaß er jetzt mehr, als ihm eine Zeitschrift bieten konnte, der Geist aller Journale erschien in Münchhausen verkörpert. Immer ging der wunderbare Mann bei seinen Erzählungen von etwas Bekanntem und Verbürgtem aus, erhob sich aber von dieser Grundfläche zu den kühnsten und abenteuerlichsten Schwüngen, so daß man wohl sagen konnte, er stelle recht eigentlich in seiner Person den gewaltigen Fortschritt unserer Zeit dar.
Freilich blieb die Empfindung des Schloßherrn nicht ganz ohne eine hin und wieder hervortretende entgegengesetzte Beimischung. Münchhausen redete auch viel von Literatur und Poesie, und konnte bei solchen Gesprächen leicht satirisch werden. Der alte Baron hatte aber an diesen Gegenständen kein Interesse, und haßte die Satire; weshalb er denn auch derartigen Konversationen sich nur mit einem gewissen Unbehagen hingab. Wirklich verletzt aber fühlte er sich, wenn Münchhausen, wie er nicht selten tat, seine Meinung äußerte, alle Menschen seien gleich geboren, und nur der Wahn, der aber für immer ab und tot sei, habe den einen durch seine Geburt zu Vorzügen bestimmt ausgeben können, die nicht auch das Eigentum aller seiner Mitbrüder gewesen seien.
Mit dem Fräulein gestaltete sich das Verhältnis des Gastes bald gründlich und tief in das zarte Verstehen ohne Worte aus, welches unsere sinnigen und hochstehenden Frauen so sehr lieben. Wenn sie ihm zuflüsterte, ein unaussprechliches Etwas durchwoge sie, so versicherte er, daß er sie vollkommen begreife; und konnte sie für den Drang ihrer Empfindungen nur Vordersätze ohne Nachsätze finden, so ließ er sie ahnen, daß letztere in seiner verschwiegenen Seele ausgesprochen ruhten. Daneben erquickten sie die glänzenden Schilderungen, welche er von fremden Gegenden gab, im Grunde ihres Herzens, und bis zur Schwärmerei stieg ihre Regung, wenn er die vierundzwanzigsilbigen Namen, welche in Mexiko, Peru oder Indien gebräuchlich sind, aussprach.
Zwar fühlte auch sie sich jezuweilen durch ihn verwundet. In dem Glauben nämlich, ihr dadurch nur noch um so mehr zu gefallen, sprach er einige Male seine Meinung aus, daß nur das Weib ihren Empfindungen treu bleibe, bei dem Manne aber der Spruch gelte: »Aus den Augen, aus dem Sinne!« weshalb denn auf kein von diesen unbeständigen Wesen gegebnes Versprechen jemals zu rechnen sei. Er konnte freilich nicht wissen, wie ungestüm solche Aussprüche ihren Erwartungen entgegentraten. Sie pflegte darauf zu versetzen: »Herr von Münchhausen, Karls und Ihre Erscheinung widerlegt mir im Sinne höherer Ahnung zum voraus diesen Satz.« Wenn sie nun das sagte, verstand er sie wirklich nicht, und war auch nicht so dreist, es ihr zu versichern.
Indessen gingen diese einzelnen Mißstimmungen immer bald in dem Gefühle der Hingebung und Begeisterung unter, welches Vater und Tochter ihm widmeten; ja sie dienten durch den Kontrast dazu, diesem Gefühle nur noch größere Leidenschaftlichkeit zu geben. Dagegen war der Schulmeister dem Freiherrn gegenüber in einer eignen Stimmung, die sich nur mit den Scherzbildern vergleichen ließ, welche von der einen Seite angesehen, ein lächelndes Gesicht, von der andern betrachtet, eine verdrießliche Fratze zeigen. Die Persönlichkeit Münchhausens nebst seinen Reden hatte nicht verfehlen können, auch auf den Schulmeister einen tiefen Eindruck zu machen; wir wissen, welche Aussichten für die Bestätigung seiner teuersten Überzeugungen auch er an diesen Mann des Schicksals knüpfte. Nun aber konnte er sich schon nicht mit der Darstellungsweise Münchhausens überall einverstanden