Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.. von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band
II. [Fortsetzung]
Dolores hatte in der letzten Nacht schwere, seltsame Träume. Ihr träumte, sie müßte gegen dichte wogende Nebel ankämpfen in kalter Nacht auf einem unebnen, steinigen Wege, dessen scharfe Kanten ihre Füße verletzten. Endlich aber stand sie vor einer undurchdringlich grauen Wand – sie wußte nicht, war's Nebel, war's ein Felsen, der den Weg versperrte. Rechts und links gähnten tiefe Abgründe, die ins Unendliche zu führen schienen, und als sie sich wendete, um zurück zu gehen, da hatte ein rauschender Strom den Weg überschwemmt oder fortgerissen, so daß sie verloren schien. Und in der furchtbaren Angst, die sie befiel, klopfte sie an den Felsen wie an eine Thür. Und siehe da – die kahle graue Wand schien sich auseinander zu schieben, die Nebel schienen zu zerreißen, dünner und dünner zu werden, und endlich sah sie durch die Wand hindurch, und sah – sich in ihrem eignen Zimmer sitzen. Aber sie war nicht allein. Ihr gegenüber hatte Doktor Ruß Platz genommen. Der sprach eifrig in sie hinein – sie hörte den musikalischen Ton seiner Stimme, aber sie verstand seine Worte nicht. Und er schob ein auf großem, weißem Bogen entworfenes Schriftstück auf dem Tisch zu ihr hinüber und sie sah, wie sie selbst das Dokument ergriff, zerriß und in das Feuer warf, welches im Kamin brannte. Da erhob sich Doktor Ruß und drückte auf den Kopf der linken Kaminmantelfigur und der ganze Kamin drehte sich hinein in die Wand mitsamt dem Doktor Ruß wie ein Karussell, und als er wieder mit seiner Vorderseite erschien, war Doktor Ruß verschwunden. Da begannen wieder Nebel zu ziehen über das klare Bild – hastig, wie vom Sturm gejagt, und wieder zerrissen die grauen Wolken, und wieder sah Dolores sich selbst stehen im Dämmerlicht, im weißen Kleid, Hand in Hand mit Alfred Falkner. Und der Ort, an dem sie standen, war das Hexenloch unten im Park. Schwarz schimmerte das scheinbar regungslose Wasser, geheimnisvoll flüsterten die Tannen und Buchen über ihren Häuptern, es webte in der stillen Abendluft seltsam und geheimnisvoll, und wo im Westen der Park eine Lichtung hatte, schimmerte blutrot ein Streifen an der Stelle, wo die Sonne eben untergegangen war. Und Alfred Falkner ließ ihre Hände los und schritt durch die Lichtung dem Streifen entgegen. Da ward es ganz dunkel. Und es hob sie ein Etwas empor, und die Wasser des Hexenloches schlugen über ihr zusammen, und es ward dunkel und dunkler um sie –
Und als sie die Augen aufschlug, träumte ihr weiter, da sah sie sich langsam durch den Park schreiten, einen Brief in der Hand mit einem fremden Poststempel. Sie zerriß das Couvert und begann den Brief zu lesen, aber während sie dazu ihre Schritte anhielt, schlug etwas in das Briefblatt, sie wußte nicht was, doch sie sah, daß ein erbsengroßes, rundes Loch mit versengten Rändern in dem Papier entstanden war. Und wieder ward es licht, und sie sah sich abermals selbst auf die Terrasse des Falkenhofes hinaustreten, wo Frau Ruß und ihr Mann standen. Hinter ihr brachten Diener einen fertig besetzten Theetisch, und alle nahmen Platz und Dolores schenkte drei Tassen Thee ein. Da kam Engels hastigen Schrittes die Terrasse herauf, die Flinte über der Schulter, einen erlegten, mächtig großen Vogel in den Händen, und alles sprang auf, die Beute zu sehen, und während Engels die Flügel des Vogels auseinanderlegte, sah Dolores sich selbst die Spannweite der Flügel messen. Währenddessen schien es ihr, als thäte Doktor Ruß ein Stück Zucker in ihre Theetasse, und sie schrie auf: »Nicht so süß! Nicht so süß!« Aber sie trank den Thee dennoch, und er schmeckte nicht süß, aber fremdartig, ihr ekelte es vor dem Getränk. Während sie aber trank, sah sie die kalten, hellblauen Augen der Frau Ruß mit seltsam forschendem, grausamem Ausdruck auf sich gerichtet, und diese Augen bohrten ihren Blick bis tief hinein in ihr Herz, daß eine furchtbare Angst sie ergriff, und doch, der Schrei um Hilfe vor diesem schrecklichen Augenpaar kam nicht über ihre Lippen, Angstschweiß, wahrer Todesschweiß trat auf ihre Stirn –
Da legte sich eine sanfte, kühle Hand auf ihr Haupt – der Alp wich, und zitternd erwachte sie aus dem quälenden Traume –
Doch nur halb erwachte sie, um halb wachend sogleich wieder weiter zu träumen, denn ihr war's, als ruhe die kühle Hand immer noch auf ihrer Stirn, und als sie die Augen aufschlug, sah sie die Gestalt der Ahnfrau Maria Dolorosa im schwachen Schein der Nachtlampe neben ihrem Bette stehen, freundlich lächelnd, genau wie das Bild in der gefundenen Kapsel. Und die Gestalt beugte sich herab und küßte mit kalten Lippen die Wangen der Träumenden.
»Dolores, Erlöserin!« flüsterte es in ihr Ohr, »Gott hat dich gewürdigt, hinter den Schleier der Zukunft zu schauen. Du kennst nun die Gefahren, die sie für dich birgt – aber sei stark und mutig, eine echte Falkner. Und bleibst du hier, so bleib' auch ich dir zur Seite mit meinem Schutz, der die Warnung ist. Mehr darf ich dir nicht geben – o, daß du nicht unterliegen möchtest, Dolores, Blut von meinem Blute –«
Mehr hörte Dolores nicht, denn ruhig und fest schlief sie weiter, doch als Tereza sie am Morgen weckte, schmerzte sie der Kopf, und sie mußte über ihren Traum nachdenken, bis er wieder in jeder Einzelheit vor ihrem geistigen Auge stand.
»Solch' wirres, thörichtes Zeug,« schalt sie sich selbst. »Das macht der starke Thee von gestern Abend.«
Aber es fröstelte sie trotzdem, als sie des schrecklichen Blickes gedachte, von dem ihr geträumt, doch an den Kuß der toten Ahnfrau dachte sie ohne Grauen. Und je mehr sie nachdachte über die Träume der vergangenen Nacht, je mehr hätte sie darauf schwören können, daß sie die Erscheinung der Freifrau Dolorosa wirklich gesehen, daß kein Traum ihr dieselbe gezeigt, kein Zustand von halbem Wachen und halbem Schlafen, und es gewährte ihr eine Beruhigung, sich diese Unmöglichkeit vorzustellen und einzureden mit der klaren Begründung, daß es eben eine Unmöglichkeit war.
»Ich werde nervös,« dachte sie am Ende. »Luft und Arbeit – Arbeit, damit die Traumgestalten weichen.« –
Als Engels dann mit seinen Rapporten und Akten erschien – »als vortragender Rat vor Ihrer Majestät der regierenden Herrin von Falkenhof,« wie er sich gern scherzhaft selbst nannte – da sah er sie lange kopfschüttelnd an.
»Fräulein Dolores, Sie gefallen mir gar nicht,« sagte er endlich, als ihre nervös bebenden Hände die Feder fallen ließen, mit der sie ihre Unterschrift geben sollte.
»Aber lieber Engels, das wäre ja schrecklich,« versuchte sie zu scherzen.
»Blasse Wangen, blaue Ränder unter den Augen – es kleidet Sie ja, aber richtig ist es doch nicht,« sagte er kopfschüttelnd. »Und nun gar noch den Tadderich in den Händen – na! na!«
»Ich habe schlecht geschlafen – schreckliche Dinge geträumt – Gespenster gesehen,« erwiderte sie lachend.
»Weiter nichts?« fragte er. »Na, dagegen giebt's Mittel, gute Mittel. Erstens spazieren gehen bis Sie rechtschaffen müde sind; zweitens abends nicht zuviel essen oder starken Thee trinken –«
»Und gegen die Gespenster?« fragte sie, als er einhielt.
Da holte er seinen Stock, den er an der Thür stehen gelassen hatte, und machte eine sehr deutliche Bewegung damit.
»Lassen Sie mich mal aufpassen,« bat er, »und ich garantiere Ihnen, daß kein Gespenst mehr erscheint.«
»O, ich bin von dem Erfolge im voraus überzeugt,« rief Dolores lachend. »Aber seien Sie ruhig – die Sorte von Gespenstern beschwöre ich schon allein, und es hat sich auch noch keines an mich herangewagt.«
»Wäre auch höchst unvorsichtig,« brummte Engels und kehrte zu seinen Papieren zurück.
Dolores setzte ihren Namen unter das letzte Aktenstück und reichte es ihm hinüber.
»Das werden Sie nächstens allein besorgen müssen,« sagte sie leicht.
»Wieso allein?«
»Nun zum Winter mache ich mich aus dem Staube – das heißt aus dem nordischen Schnee nach dem Süden. Da sind Sie dann Alleinherrscher im Falkenhofe.«
»Dazu brauchte ich aber eine