Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil. Brockhaus Heinrich Eduard
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Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich au 5me in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe Wurzeln gefaßt hat.
Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an der Tagesordnung war — was war natürlicher, als daß der gute Vater auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir en attendant mieux eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine Eitelkeit täglich Triumphe feierte.
Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop (den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und Rechtlichkeit.
Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.9 Sie war aus der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die Geburt von Auguste und von Fritz.
Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer adresse und unserm Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen.
Dieses accomodement für und mit Hiltrop sollte für uns die Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen train de vie mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken allein und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim) namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich, Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken, denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt. Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich
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Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme, daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt.