Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil. Brockhaus Heinrich Eduard
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Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete, benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck, diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremdlings entgegenzuwirken; Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806 wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.) niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom 9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt.
Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als »De Ster« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die Batavische Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit Brockhaus persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß schon in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik in ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: »De Ster« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt worden! Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht angegeben; sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt kein politisches Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten huldigte.
Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »Amsterdamsch Avond-Journal« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel »De Ster« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines in der letzten Nummer des »Ster« begonnenen Artikels bringt! In der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten Nummer des »Ster«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem königlichen Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem neuen Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange als das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am 2. August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt ist.
Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den »Ster« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung und zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier folgen.
Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806:
Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts, ist der, den uns unser Freund Wilibald20 gleich in seinem ersten Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll, scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von keinem — zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht sagen, daß sie unter den andern Couranten von Amsterdam, Rotterdam, Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; — denn diese haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste politische Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem Schwall der tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, Nachrichten angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer Notizen ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch schändlicher stumpfen Lettern gedruckt ... sie wird durch ihren Inhalt für denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntnißbegierigen ein Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle möglichen literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, stehen ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, zu Gebot; und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz zu wählen, besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er an Interesse die »Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die »Auroren«, »Sphinxe«, und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit übertreffe, als der wieder aufgeweckte brüsselsche »Esprit des Journaux« nach dem ich unter allen Tag- und Monatsschriften in Paris am happigsten greife, die einzelnen Journale, aus denen ihn der Verfasser distillirt. Ueber die Organisation und Nativitätstellung dieses Sterns haben wir uns in den vergangenen Wochen fast tagtäglich unterredt; und uns gestern noch mit Bestimmung des emblematischen Druckerstockes dazu amüsirt. Einer aus Gille's Carte hat uns dazu zum Muster gedient, mit den gehörigen Veränderungen jedoch; so daß der blitzführende Adler unten in den siebenpfeiletragenden Löwen, und die Kaiserkrone in den batavischen Freiheitshut umgewandelt worden ist; zur Seite ein Eichen- und Lorbeerzweig, das Schöne zum Ernsten! — dessen Kreis der Stern denn durchstrahlt. Sobald was davon dem Telescop oder Auge sichtbar werden wird, gebe ich Dir weitere Nachricht.
Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März, ebenfalls aus Amsterdam:
Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim21, noch bei ihm, einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ... Vom »Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern« die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich von Sprache, ein
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So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets in den »Individualitäten«.
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Der frühere Associé von Brockhaus.