Hann Klüth: Roman. Georg Engel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hann Klüth: Roman - Georg Engel страница 11
Wieder schrie der Rabe sein »Scharp«.
Der Lotse pfiff und tat einen Luftsprung. »Ne so was lebt nich,« schrie er beglückt. »>Verlobung< sagt er auch, hast du's gehört, Dirning? – Ganz deutlich >Verlobung<. Nu kommt fix.«
Er zog die Kinder mit sich fort. Sorgsam, damit sie in dem dicken, milchigen Nebel nicht ins Wasser stürzten.
Deshalb schritt er voran.
Hinter sich hörte er, wie die Kinder ängstlich miteinander über Siebenbrod flüsterten.
»So spät – so spät,« hauchte Line erwartungsvoll. »Wird er dich jetzt nicht wieder schlagen?«
»Ja, das wird er woll,« gab Hann zu, dem die Zähne klapperten.
Die Kleine sah ihn an. Ihre Spannung stieg immer höher.
Ganz finster war es unterdes geworden.
Vom Fluß tönte ein scharfes Murmeln herauf, und auf den Wiesen tanzten kolossale, bleiche Gestalten.
Da machte der Lügenlotse, der ihnen bis dahin schweigsam vorausgeschritten war, obwohl er ihre Unterhaltung Wort für Wort aufgefangen, plötzlich an einem gespenstisch aufragenden Querbaum halt.
Ein vergessenes, grobes Netz flatterte im Abendwind von der Gabel herab und verbreitete einen ätzenden Fischgeruch. Es sah aus, als ob von einem Galgen eine Riesin in langem, schleppendem Gewande herabschlottere.
Dieser Platz schien oll Kusemann für den närrischen Spaß, den er mit den Kindern treiben wollte, der rechte Ort. An dem Pfahl blieb er stehen.
»Kommt her,« flüsterte er darauf, und als die Kinder in der Schwärze neben ihm standen, legte er jedem von ihnen den Arm um die Schulter und beugte sein bärtiges Haupt zwischen die jungen Köpfe.
»Kommt her. – Ihr müßt ein Bündnis machen gegen Dietrich Siebenbrod. – Das ist klar. Aber das beste Bündnis zwischen einen Männlichen und eine Weibliche is die Verlobung. Ihr müßt euch also verloben. – Daß ihr noch 'n bischen jung seid, das is woll wahr, aber es braucht ja auch erst später die richtige, die ganz richtige Verlobung zu folgen. – Na also, was sagt ihr?«
Prachtvolle, glitzernde Sterne brachen hier und da durch den stillen Nebelhimmel hindurch, und in seinem Halbtraum vernahm Hann, daß oll Kusemann von neuem vor sich hinlachte, während er die beiden Kinder eng aneinander schob.
»Nu küßt euch,« befahl er.
Voller Angst küßten sich die Kinder.
Der Lotse pfiff durch die Zähne und sprang, wie er es bei freudigen Anlässen zu befolgen pflegte, hoch in die Luft.
»So,« schmunzelte er seelenvergnügt. »Nu seid ihr so weit. – Ich gratulier' euch. – Kommt, Kinnings, fix, fixing, damit ihr zu Haus nich Schläg kriegt. – Und wenn ihr Hochzeit macht, Lining, weißt was? – Dann schenk' ich dir ein goldenes Brokatkleid – ja – hm – natürlich – ein goldenes Brokatkleid und silberne Schuhe mit diamantne Schmetterlinge darauf. – Da drüben im Kloster, da liegt so was vergraben. Ich kenn' die Stell'. Ja, und Hann – na, du weißt doch, Jung, daß hier in unserem Bodden die alte Stadt Vineta untergesunken is. Pass' auf, für dich hol ich mal in 'ner besonderen Stund eine Molle voll alter Dukaten rauf. Ich hab neulich erst mit meinen Wasserfernrohr so was funkeln sehn. – Und nu adjüssing, Kinnings – hier is mein Haus und mein Alwining wartet all – und nu macht, daß ihr weiterkommt.«
Er verschwand.
Die beiden Kinder aber liefen Hand in Hand heim.
Eine Stunde später lag Hann in seinem Dachverschlag im Bett. Um das Haus wehte jetzt ein frischer Seewind. Der raschelte in dem Stroh des Daches, wisperte Märchen und fuhr auch durch die Ritzen, so daß der Knabe fror.
Er schauderte zusammen und konnte nicht einschlafen, denn all dieses Merkwürdige, Zauberische schwirrte in dem Kämmerchen vor seinem Lager hin und her. Die grüne Wiese und Line, die Prügel und die Verlobung, der Kuß und die untergegangene Stadt voller Dukaten. – Und plötzlich begannen noch die Ameisen aus dem Hügel an der Wand wirr durcheinander zu kreisen.
Ihn nahm der Schlaf.
Aber das glaubte er doch noch zu hören, daß Pantöffelchen an seiner Tür vorüberklapperten und eine Stimme hindurchrief: »Hann, bist du noch mein Bräut'gam?«
Dann huschte es nebenan in die Kissen.
Er konnte es aber auch geträumt haben, denn der Mond lachte bereits auf ihn herunter und freute sich über all die bunten Lügen und nannte ihn einen »dummen Jungen«.
VI
Ein weißgedeckter Tisch befand sich in der Mitte. Porzellanteller standen darauf, und wahrhaftig – Messer und Gabeln sah man säuberlich auf gläserne Bänkchen gelegt.
In der großen Parterrestube, die jahraus, jahrein ganz leer stand und nur zu großen Feierlichkeiten benutzt wurde – zuletzt hatte der Sarg des alten Klüth darin gestanden – war heute am Sonntag Sand in feinen Kringeln auf den Estrich gestreut. Grobe, weiße Gardinen bemerkte man vor die Fenster gesteckt, und mitten auf dem Tisch prangte ein Strauß bunter Georginen.
Das hatte etwas zu bedeuten.
Alle empfanden es, aber keiner erriet den Zweck dieser Vorbereitungen, oder man scheute sich doch, ihn ernstlich ins Auge zu fassen.
Allerdings, eine Möglichkeit, eine denkbare Erklärung schien vorhanden.
Bruno, der Sekundaner, hatte vor drei Tagen zu den Michaeliferien den Berechtigungsschein zum einjährigen Dienst aus der Stadt nach Hause gebracht und erwartete nun als freier Mann den Augenblick, daß irgend jemand mit ihm zum Konsul Hollander führe, damit dieser weitere Aufschlüsse über die Zukunft seines neuen Lehrlings erteilen könnte.
Wer jedoch dieser begleitende Jemand sein sollte, darüber war keine Gewißheit zu erlangen. Paul, der Student, hatte sich bereits mehrfach dazu erboten, war indessen von der Mutter mit einem leisen, beinahe wehmütigen Kopfschütteln abgelehnt worden.
Also ein anderer!
Aber wer?
Siebenbrod? – der Sekundaner stampfte mit dem Fuß – das war hoffentlich völlig ausgeschlossen. Der Bootsmann konnte sich doch unmöglich vermessen, mit dem feinen Bruno, dem sein Jackettanzug so elegant saß, und der sich seit drei Tagen bereits im heimlichen Besitz eines Zigarettenetuis befand, den Weg zum Konsul anzutreten?
Also Siebenbrod nicht.
Wer aber?
Die vier Kinder warteten schon in dem großen Zimmer eine geraume Zeit. Noch war die Mutter nicht erschienen, was ganz gegen alle Gewohnheit verstieß. Und nur Line, die vor einer Weile verstohlen und mit ihren katzenhaften Tritten an der Bodenkammer der kleinen Frau vorbeigehuscht war, sie allein wußte, daß es in dem verschlossenen Raum merkwürdig geraschelt habe. Gerade wie wenn dort schwere alte Seide geglättet würde.
Und Frau Klüth besaß in der Tat ein altes, schwarzes Seidenkleid, ein echtes, ehrwürdiges Lyoner Stück, das von oll Kusemann vor etwa dreißig Jahren, als er sich noch »Strom« nannte, direkt für die drei Lotsenfrauen nach Moorluke