Der Erbe. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Der Erbe. Dritter Band. - Gerstäcker Friedrich страница 5
Der Staatsanwalt wäre allerdings sehr böse geworden, wenn er von diesem Treiben etwas geahnt hätte; denn er haßte nichts mehr als solchen »Unsinn«, wie er es nannte, nämlich zu glauben, daß irgend ein altes Weib – Witte brauchte manchmal Kraftausdrücke, wenn er ärgerlich wurde –, mit irgendwelchen Hülfsmitteln auch immer, die Zukunft vorhersagen oder Verborgenes ergründen könne. Ob die dahin eingeschlagenen Wege nun in Bleigießen, Kaffeesatz, Kartenlegen oder irgend einem andern albernen Vorwand bestanden, blieb sich gleich; ja, er verachtete sogar das Tisch- und Geisterklopfen, wenn er es auch in seinem eigenen Hause eine Zeit lang dulden mußte, bis es die Damen selber satt bekamen und die armen Tische wieder ihren ruhigen und bestimmten Eckplatz erhielten, wo sie hingehörten. Uebrigens war nicht die geringste Gefahr vorhanden, daß er sie stören oder überraschen könne; denn wenn seine Frau Kaffeegesellschaft hatte, dachte er gar nicht daran, ihrem Zimmer auch nur nahe zu kommen. Er war nicht gern genirt und ging dann immer ruhig seinen eigenen Geschäften nach. Die Damen konnten deshalb ganz ungestört ihren geheimnißvollen Versuchen obliegen, und gingen denn auch mit gutem Willen an die Arbeit.
Ottilie betheiligte sich übrigens nicht daran. Sie hatte anfangs ganz still und lautlos am Fenster gesessen und sich mit einer Stickerei beschäftigt; endlich stand sie auf und ging in ihr eigenes Zimmer, wo sie den übrigen Theil des Abends blieb. Sie glaubte merkwürdiger Weise nicht an Kartenlegen, und die Frau Räthin war ihr außerdem keine angenehme Persönlichkeit, weil sie das ewige Schimpfen und Klagen über Dienstboten und die Nachbarsleute, in dem sich jene Dame am liebsten erging, nicht leiden konnte.
Solche Zu- oder Abneigungen sind aber gewöhnlich gegenseitig, und so mochte denn auch die Frau Räthin das »schnippische Ding« nicht leiden, wie sie es gewöhnlich in anderen Kaffeegesellschaften nannte. Sie fragte allerdings die Frau Staatsanwalt, als Ottilie das Zimmer verließ, ob »das liebe Kind« vielleicht nicht wohl sei, aber erwähnte sie nachher nicht weiter, und die Kartenprocedur hatte ihren ungestörten Fortgang.
Merkwürdiger Weise wollte es aber heute Abend gar nicht so besonders damit gehen. Die Karten fielen, wie die Frau Räthin bemerkte, so ungünstig und verkehrt, und es war ihr immer bald einmal eine Treff-Sieben, bald eine Carro-Zwei im Wege, daß sie sich selber nicht hindurchfand und endlich erklärte, so gänzlich mißglückt sei es ihr noch nie und es müsse irgend ein Hinderniß in der »Umgebung« liegen, das man vielleicht beseitigen könnte, wenn man eben wüßte, was es wäre. So erzählte sie der Frau Staatsanwalt, sie habe einmal bei sich zu Hause die Karten legen wollen und ebenso wie heute nichts zuwege gebracht; alle Versuche, obgleich immer und immer wiederholt, seien mißglückt, und sie wäre schon im Begriff gewesen, die Sache aufzugeben, als das Mädchen zufällig einen auf dem Tisch stehenden Blumentopf in das andere Zimmer getragen hätte, und von dem Augenblicke an war es, als ob ein Bann von den Karten genommen sei. Sie fielen ordentlich wie ein Buch, in dem man ganz bequem lesen konnte.
Alle möglichen Versuche wurden deshalb jetzt auch hier gemacht: die Blumen sämmtlich entfernt, die Stühle herumgedreht, der Tisch selbst ward anders gestellt; aber es half nichts: die Kartenblätter wollten keine Vernunft annehmen, als die Frau Räthin endlich der Sache müde und zu einem verzweifelten Entschluß kam.
»Hören Sie, Frau Staatsanwalt,« sagte sie – es war indessen auch dunkel geworden, und das Mädchen hatte eben die Lampe hereingebracht – »ich wollte Ihnen schon lange einen Vorschlag machen, aber ich habe mich immer nicht getraut. Ich wüßte Jemanden, der uns aus der Noth helfen könnte.«
»Und wer ist das?« fragte die Frau Staatsanwalt.
»Die Heßberger, des Schusters Frau – die versteht das aus dem Grunde, und mir – das versichere ich Ihnen – hat sie schon merkwürdige Dinge prophezeit.«
»Und ist es eingetroffen?«
»Auf's Haar, sage ich Ihnen, auf's Tittelchen. Nein, einmal – das war zu merkwürdig – da fehlte mir ein silberner Theelöffel und ich ging zu ihr, und blos aus den Karten sagte sie mir, daß ich morgen früh mit Tagesanbruch in meinen Holzstall unten im Hof gehen sollte, dort würde ich ihn finden – und wahrhaftig, wie ich am andern Morgen hinuntergehe, liegt er mitten drin, und wie er dahin gekommen ist, weiß ich bis auf den heutigen Tag noch nicht!«
»Das ist in der That sonderbar…«
»Und ehe mein Männi neulich krank wurde, wo er sich so heftig übergeben mußte, hat sie mir fast die Stunde vorhergesagt und mir auch gleich eine Medicin mitgegeben, die ich ihm vorher heimlich in den Wein schütten mußte, damit es ihm nichts weiter schadete, und ich sage Ihnen, nach zwei oder drei Stunden war er wieder gesund wie ein Fisch und eben so naß, denn ich hatte ihn tüchtig schwitzen lassen.«
»Ja, wenn wir die Frau nur einmal auf eine halbe Stunde hier hätten!« sagte Frau Witte. »Aber ich darf es nicht wagen, denn wenn es nachher durch einen Zufall mein Mann erführe, so könnte ich sicher sein, daß er ein volles Jahr darüber zankte und raisonnirte.«
»Sie geht auch nicht zu den Leuten in's Haus,« bemerkte die Frau Räthin, »eben der häufigen Störungen wegen, denen sie dort durch irgend einen fremdartigen Gegenstand ausgesetzt ist. Wenn wir aber nun einmal zu ihr gingen – bei ihr ist Alles darauf eingerichtet, und kein Mensch brauchte ein Wort davon zu erfahren.«
»Um Gottes willen,« rief die Frau Staatsanwalt, schon von dem Gedanken erschreckt, »nachher möchte ich meinen Mann sehen!«
»Und was braucht der davon zu wissen?« sagte Madame Frühbach. »Ich bin oft und oft schon dort gewesen, es ist ein ganz anständiges Haus, und in einer Stunde wäre die ganze Sache abgemacht.«
»Und wenn sie nachher darüber spricht und es weiter erzählt?«
»Da kennen Sie die Heßberger schlecht,« sagte die Frau Räthin; »eher ließe sie sich todtschlagen. Die ist berühmt wegen ihrer Verschwiegenheit, und das ja auch nur zu ihrem eigenen Vortheile; denn sie weiß recht gut, daß sie ihre ganze Kundschaft verlieren würde, wenn sie nur ein einziges Mal plauderte.«
»Aber, liebe Frau Räthin, ich kann doch nicht meiner Schustersfrau einen Besuch abstatten?«
»Aber das ist ja doch kein Besuch, Frau Staatsanwalt; der Schuhmacher Heßberger arbeitet ja auch für uns, und ich bin ebenfalls hingegangen. Und dann braucht sie noch gar nicht einmal zu wissen, wer Sie sind – Sie nehmen einen dichten Schleier vor und setzen Ihre Kapuze auf. Sehr viele Damen kommen dort tief verschleiert hin – Damen aus den allerhöchsten Ständen, das kann ich Ihnen versichern. Ich habe selber schon einmal die Frau Präsidentin dort getroffen, aber das ganz unter uns, denn ich that natürlich gar nicht, als ob ich Sie erkannte; aber Sie wissen wohl, sie hinkt ein bischen, hat wenigstens so einen krummen Gang, und dann müßte ich auch blind sein, denn wir haben ja eine und dieselbe Putzmacherin, und ich erfahre immer Alles, was sie sich machen läßt.«
Das Mädchen kam herein, um das Kaffeegeschirr hinauszutragen.
»Ist mein Mann zu Hause?«
»Nein, Frau Staatsanwalt; er ist vor etwa einer halben Stunde fortgegangen, und hat gesagt, Sie möchten heute Abend nicht auf ihn mit dem Thee warten, da er etwas Wichtiges zu thun habe.«
Die Frau Räthin warf ihrer Freundin einen triumphirenden Blick zu, denn das hätte gar nicht besser passen können. Die Frau Staatsanwalt war aber noch lange nicht mit sich einig, denn der Schritt schien ihr zu gewagt, wenn sie auch selber nur zu gern gegangen wäre. Wie viel und wie oft hatte sie schon von der Schustersfrau gehört, die unter den Damen der Stadt allerdings einen Ruf besaß; wie oft gewünscht, sie einmal selber auf die Probe zu stellen, aber es trotzdem immer unterlassen – und jetzt auf einmal bot sich die Gelegenheit und schien auch in der That Alles zusammenzutreffen, um ihr