Frau Bovary. Gustave Flaubert

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Frau Bovary - Gustave Flaubert

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Hause ists doch am schönsten!“

      Man hörte, wie Anastasia draußen weinte. Karl hatte das arme Ding gern. Ehedem, in der trostlosen Einsamkeit seiner Witwerzeit, hatte sie ihm so manchen Abend Gesellschaft geleistet. Sie war seine erste Patientin gewesen, seine älteste Bekannte in der ganzen Gegend.

      „Hast du ihr im Ernst gekündigt?“ fragte er nach einer Weile.

      „Gewiß! Warum soll ich auch nicht?“ gab Emma zur Antwort.

      Nach Tisch wärmten sich die beiden in der Küche, während die Große Stube wieder in Ordnung gebracht wurde. Karl brannte sich eine der Zigarren an. Er rauchte mit aufgeworfenen Lippen und spuckte dabei aller Minuten, und bei jedem Zuge lehnte er sich zurück, damit ihm der Rauch nicht in die Nase stieg.

      „Das Rauchen wird dir nicht bekommen!“ bemerkte Emma verächtlich.

      Karl legte die Zigarre weg, lief schnell an die Plumpe und trank gierig ein Glas frisches Wasser. Währenddessen nahm Emma die Zigarrentasche und warf sie rasch in einen Winkel des Schrankes.

      Der Tag war endlos: dieser Tag nach dem Feste!

      Emma ging in ihrem Gärtchen spazieren. Immer dieselben Wege auf und ab wandelnd, blieb sie vor den Blumenbeeten stehen, vor dem Obstspalier, vor dem tönernen Mönch, und betrachtete sich alle diese ihr so wohlbekannten alten Dinge voll Verwunderung. Wie weit hinter ihr der Ballabend schon lag! Und was war es, das sich zwischen vorgestern und heute abend wie eine breite Kluft drängte? Diese Reise nach Vaubyessard hatte in ihr Leben einen tiefen Riß gerissen, einen klaffenden Abgrund, wie ihn der Sturm zuweilen in einer einzigen Nacht in den Bergen aufwühlt. Trotzdem kam eine gewisse Resignation über sie. Wie eine Reliquie verwahrte sie ihr schönes Ballkleid in ihrem Schranke, sogar die Atlasschuhe, deren Sohlen vom Parkettwachs eine bräunliche Politur bekommen hatten. Emmas Herz ging es wie ihnen. Bei der Berührung mit dem Reichtum war etwas daran haften geblieben für immerdar.

      An den Ball zurückdenken, wurde für Emma eine besondre Beschäftigung. An jedem Mittwoche wachte sie mit dem Gedanken auf: „Ach, heute vor acht Tagen war es!“ – „Heute vor vierzehn Tagen war es!“ – „Heute vor drei Wochen war es!“ Allmählich aber verschwammen in ihrem Gedächtnisse die einzelnen Gesichter, die sie im Schlosse gesehen hatte. Die Melodien der Tänze entfielen ihr. Sie vergaß, wie die Gemächer und die Livreen ausgesehen hatten. Immer mehr schwanden ihr die Einzelheiten, aber ihre Sehnsucht blieb zurück.

      Neuntes Kapitel

      Oft, wenn Karl unterwegs war, holte Emma die grünseidene Zigarrentasche aus dem Schrank, wo sie unter gefalteter Wäsche verborgen lag. Sie betrachtete sie, öffnete sie und sog sogar den Duft ihres Futters ein, das nach Lavendel und Tabak roch. Wem mochte sie gehört haben? Dem Vicomte? Vielleicht war es ein Geschenk seiner Geliebten. Gewiß hatte sie die Stickerei auf einem kleinen Rahmen von Polisanderholz angefertigt, ganz heimlich, in vielen, vielen Stunden, und die weichen Locken der träumerischen Arbeiterin hatten die Seide gestreift. Ein Hauch von Liebe wehte aus den Stichen hervor. Mir jedem Faden war eine Hoffnung oder eine Erinnerung eingestickt worden, und alle diese kleinen Seidenkreuzchen waren das Denkmal einer langen stummen Leidenschaft. Und dann, eines Morgens, hatte der Vicomte die Tasche mitgenommen. Wovon hatten die beiden wohl geplaudert, als sie noch auf dem breiten Simse des Kamines zwischen Blumenvasen und Stutzuhren aus den Zeiten der Pompadour lag?

      Jetzt war der Vicomte wohl in Paris. Weit weg von ihr und von Tostes! Wie mochte dieses Paris sein? Welch geheimnisvoller Name! Paris! Sie flüsterte das Wort immer wieder vor sich hin. Es machte ihr Vergnügen. Es raunte ihr durch die Ohren wie der Klang einer großen Kirchenglocke. Es flammte ihr in die Augen, wo es auch stand, selbst von den Etiketten ihrer Pomadenbüchsen.

      Nachts, wenn die Seefischhändler unten auf der Straße vorbeifuhren mit ihren Karren und die „Majorlaine“ sangen, ward sie wach. Sie lauschte dem Rasseln der Räder, bis die Wagen aus dem Dorfe hinaus waren und es wieder still wurde.

      „Morgen sind sie in Paris!“ seufzte die Einsame. Und in ihren Gedanken folgte sie den Fahrzeugen über Berg und Tal, durch Dörfer und Städte, immer die große Straße hin in der lichten Sternennacht. Aber weiter weg gab es ein verschwommenes Ziel, wo ihre Träume versagten. Sie kaufte sich einen Plan von Paris und machte mit dem Fingernagel lange Wanderungen durch die Weltstadt. Sie lief auf den Boulevards hin, blieb an jeder Straßenecke stehen, an jedem Hause, das im Stadtplan eingezeichnet war. Wenn ihr die Augen schließlich müde wurden, schloß sie die Lider, und dann sah sie im Dunkeln, wie die Flammen der Laternen im Winde flackerten und wie die Kutschen vor dem Portal der Großen Oper donnernd vorfuhren.

      Sie abonnierte auf den „Bazar“ und die „Modenwelt“ und studierte auf das gewissenhafteste alle Berichte über die Premieren, Rennen und Abendgesellschaften. Sie war unterrichtet, wenn berühmte Sängerinnen Gastspiele gaben oder neue Warenhäuser eröffnet wurden; sie kannte die neuesten Moden, die Adressen der guten Schneider; sie wußte, an welchen Tagen die vornehme Gesellschaft im Bois und in der Oper zu finden war. Aus den Moderomanen lernte sie, wie die Pariser Wohnungen eingerichtet waren. Sie las Balzac und die George Sand, um wenigstens in der Phantasie ihre Begehrlichkeit zu befriedigen. Sie brachte diese Bücher sogar mit zu den Mahlzeiten und las darin, während Karl aß und ihr erzählte. Und was sie auch las, überallhinein drangen ihre Reminiszenzen an den Vicomte. Zwischen ihm und den Romangestalten fand sie allerhand Beziehungen. Aber allmählich erweiterte sich der Ideenkreis, dessen Mittelpunkt er war, und der Heiligenschein, den er getragen hatte, erblich schließlich, um auf andren Idealgeschöpfen wieder aufzuflammen.

      Unermeßlich wie das Weltmeer, in der Sonne eines Wunderhimmels, so stand Paris vor Emmas Phantasie. Das tausendfältige Leben, das sich in diesem Babylon abspielt, war gleichwohl für sie auf ganz bestimmte Einzelheiten beschränkt, die sie im Geiste in deutlichen Bildern sah. Neben diesen – man könnte sagen – Symbolen des mondänen Lebens trat alles andre in Dunkel und Dämmerung zurück.

      Das Dasein der Hofmenschen, so wie sie sichs vorstellte, spielte sich auf glänzendem Parkett ab, in Spiegelsälen, um ovale Tische, auf denen Samtdecken mit goldnen Fransen liegen. Dazu Schleppkleider, Staatsgeheimnisse und tausend Qualen hinter heuchlerischem Lächeln. Das Milieu des höchsten Adels bildete sie sich folgendermaßen ein: Vornehme bleiche Gesichter; man steht früh um vier Uhr auf; die Damen, allesamt unglückliche Engel, tragen Unterröcke aus irischen Spitzen; die Männer, verkannte Genies, kokettierend mit der Maske der Oberflächlichkeit, reiten aus Übermut ihre Vollblüter zuschanden, die Sommersaison verbringen sie in Baden-Baden, und wenn sie vierzig Jahre alt geworden sind, heiraten sie zu guter Letzt reiche Erbinnen. Die dritte Welt, von der Emma träumte, war das bunte Leben und Treiben der Künstler, Schriftsteller und Schauspielerinnen, das sich in den separierten Zimmern der Restaurants abspielt, wo man nach Mitternacht bei Kerzenschein soupiert und sich austollt. Diese Menschen sind die Verschwender des Lebens, Könige in ihrer Art, voller Ideale und Phantastereien. Ihr Dasein verläuft hoch über dem Alltag, zwischen Himmel und Erde, in Sturm und Drang.

      Alles andre in der Welt war für Emma verloren, wesenslos, so gut wie nicht vorhanden. Je näher ihr die Dinge übrigens standen, um so weniger berührten sie ihr Innenleben. Alles, was sie unmittelbar umgab: die eintönige Landschaft, die kleinlichen armseligen Spießbürger, ihr ganzes Durchschnittsdasein kam ihr wie ein Winkel der eigentlichen Welt vor. Er existierte zufällig, und sie war in ihn verbannt. Aber draußen vor seinen Toren, da begann das weite, weite Reich der Seligkeiten und Leidenschaften. In der Sehnsucht ihres Traumlebens flossen Wollust und Luxus mit den Freuden des Herzens, erlesene Lebensführung mit Gefühlsfeinheiten ineinander. Bedarf die Liebe, ähnlich wie die Pflanzen der Tropen, nicht ihres eigenen Bodens und ihrer besondren Sonne? Seufzer bei Mondenschein, innige Küsse, Tränen, vergossen auf hingebungsvolle Hände, Fleischeslust und schmachtende Zärtlichkeit, alles das war ihr unzertrennlich von stolzen Schlössern voll müßigen Lebens, von Boudoiren mit seidnen Vorhängen und dicken

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