Frau Bovary. Gustave Flaubert

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Frau Bovary - Gustave Flaubert

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weinend an die Wände vor lauter Sehnsucht nach dem Tumult der Welt, ihren nächtlichen Maskeraden und frechen Freuden und allen den Tollheiten, die sie nicht kannte und die es doch gab.

      Sie wurde immer blasser und litt an Herzklopfen. Karl verordnete ihr Baldriantropfen und Kampferbäder. Das machte sie nur noch reizsamer.

      An manchen Tagen redete sie ohne Unterlaß wie eine Fieberkranke. Dieser Aufgeregtheit folgte ein plötzlicher Umschlag in einen Zustand von Empfindungslosigkeit. Dann lag sie stumm da, ohne sich zu rühren, und es wirkte bei ihr nur ein Belebungsmittel: das Übergießen mit Kölnischem Wasser.

      Dieweil sie sich fortwährend über Tostes beklagte, bildete sich Karl ein, ihr Leiden sei zweifellos durch irgendwelchen örtlichen Einfluß verursacht, und so begann er ernstlich daran zu denken, sich in einer andren Gegend niederzulassen.

      Um diese Zeit fing Emma an, Essig zu trinken, weil sie mager werden wollte. Sie bekam einen leichten trocknen Husten und verlor jegliche Eßlust.

      Es fiel Karl sehr schwer, Tostes aufzugeben, wo er gerade jetzt, nach vierjähriger Praxis, ein gemachter Mann war. Indessen, es mußte sein! Er ließ Emma in Rouen von seinem ehemaligen Lehrmeister untersuchen. Es sei ein nervöses Leiden; Luftveränderung wäre vonnöten.

      Karl zog nun allerorts Erkundigungen ein, und da brachte er in Erfahrung, daß im Bezirk von Neufchâtel in einem größeren Marktflecken namens Abtei Yonville der bisherige Arzt, ein polnischer Refügié, in der vergangenen Nacht das Weite gesucht hatte. Er schrieb an den dortigen Apotheker und erkundigte sich, wieviel Einwohner der Ort habe, wie weit die nächsten Kollegen entfernt säßen und wie hoch die Jahreseinnahme des Verschwundenen gewesen sei. Die Antwort fiel befriedigend aus, und infolgedessen entschloß sich Bovary, zu Beginn des kommenden Frühjahres nach Abtei Yonville überzusiedeln, falls sich Emmas Zustand noch nicht gebessert habe.

      Eines Tages kramte Emma des bevorstehenden Umzuges wegen in einem Schubfache. Da riß sie sich in den Finger und zwar an einem der Drähte ihres Hochzeitsstraußes. Die Orangenknospen waren grau vor Staub, und das Atlasband mit der silbernen Franse war ausgefranst. Sie warf den Strauß in das Feuer. Er flackerte auf wie trocknes Stroh. Eine Weile glühte er noch wie ein feuriger Busch über der Asche, dann sank er langsam in sich zusammen. Nachdenklich sah Emma zu. Die kleinen Beeren aus Pappmasse platzten, die Drähte krümmten sich, die Silberfransen schmolzen. Die verkohlte Papiermanschette zerfiel, und die Stücke flatterten im Kamine hin und her wie schwarze Schmetterlinge, bis sie in den Rauchfang hinaufflogen …

      Bei dem Weggange von Tostes, im März, ging Frau Bovary einer guten Hoffnung entgegen.

      Zweites Buch

      Erstes Kapitel

      Abtei Yonville (so genannt nach einer ehemaligen Kapuzinerabtei, von der indessen nicht einmal mehr die Ruinen stehen) ist ein Marktflecken, acht Wegstunden östlich von Rouen, zwischen der Straße von Abbeville und der von Beauvais. Der Ort liegt im Tale der Rieule, eines Nebenflüßchens der Andelle. Nahe seiner Einmündung treibt der Bach drei Mühlen. Er hat Forellen, nach denen die Dorfjungen reihenweise an den Sonntagen zu ihrer Belustigung angeln.

      Man verläßt die Heeresstraße bei La Boissière und geht auf der Hochebene bis zur Höhe von Leux, wo man das Tiefland offen vor sich liegen sieht. Der Fluß teilt es in zwei deutlich unterscheidbare Hälften: zur Linken Weideland, rechts ist alles bebaut. Diese Prärie, die sich bis zu den Triften der Landschaft Pray hinzieht, wird von einer ganz niedrigen Hügelkette begrenzt, während die Ebene gegen Osten allmählich ansteigt und sich im Unermeßlichen verliert. So weit das Auge reicht, schweift es über meilenweite Kornfelder. Das Gewässer sondert wie mit einem langen weißen Strich das Grün der Wiesen von dem Blond der Äcker, und so liegt das ganze Land unten ausgebreitet da wie ein riesiger gelber Mantel mit einem grünen silberngesäumten Samtkragen.

      Fern am Horizont erkennt man geradeaus den Eichwald von Argueil und die steilen Abhänge von Sankt Johann mit ihren eigentümlichen, senkrechten, ungleichmäßigen roten Strichen. Das sind die Wege, die sich das Regenwasser sucht; und die roten Streifen auf dem Grau der Berge rühren von den vielen eisenhaltigen Quellen drinnen im Gebirge her, die ihr Wasser nach allen Seiten hinab ins Land schicken.

      Man steht auf der Grenzscheide der Normandie, der Pikardie und der Ile-de-France, inmitten eines von der Natur stiefmütterlich behandelten Geländes, das weder im Dialekt seiner Bewohner noch in seinem Landschaftsbilde besondre Eigenheiten aufweist. Von hier kommen die allerschlechtesten Käse des ganzen Bezirks von Neufchâtel. Allerdings ist die Bewirtschaftung dieser Gegend kostspielig, da der trockene steinige Sandboden viel Dünger verlangt.

      Bis zum Jahre 1835 führte keine brauchbare Straße nach Yonville. Erst um diese Zeit wurde ein sogenannter „Hauptvizinalweg“ angelegt, der die beiden großen Heeresstraßen von Abbeville und von Amiens untereinander verbindet und bisweilen von den Fuhrleuten benutzt wird, die von Rouen nach Flandern fahren. Aber trotz dieser „neuen Verbindungen“ gelangte Yonville zu keiner rechten Entwicklung. Anstatt sich mehr auf den Getreidebau zu legen, blieb man hartnäckig immer noch bei der Weidebewirtschaftung, so kargen Gewinn sie auch brachte; und die träge Bewohnerschaft baut sich auch noch heute lieber nach dem Berge statt nach der Ebene zu an. Schon von weitem sieht man den Ort am Ufer lang hingestreckt liegen, wie einen Kuhhirten, der sich faulenzend am Bache hingeworfen hat.

      Von der Brücke, die über die Rieule führt, geht der mit Pappeln besäumte Fahrweg in schnurgerader Linie nach den ersten Gehöften des Ortes. Alle sind sie von Hecken umschlossen. Neben den Hauptgebäuden sieht man allerhand ordnungslos angelegte Nebenhäuschen, Keltereien, Schuppen und Brennereien, dazwischen buschige Bäume, an denen Leitern, Stangen, Sensen und andres Gerät hängen oder lehnen. Die Strohdächer sehen wie bis an die Augen ins Gesicht hereingezogene Pelzmützen aus; sie verdecken ein Drittel der niedrigen Butzenscheibenfenster. Da und dort rankt sich dürres Spalierobst an den weißen, von schwarzem Gebälk durchquerten Kalkwänden der Häuser empor. Die Eingänge im Erdgeschoß haben drehbare Halbtüren, damit die Hühner nicht eindringen, die auf den Schwellen in Apfelwein aufgeweichte Brotkrumen aufpicken.

      Allmählich werden die Höfe enger, die Gebäude rücken näher aneinander, und die Hecken verschwinden. An einem der Häuser hängt, schaukelnd an einem Besenstiel zum Fenster heraus, ein Bündel Farnkraut. Hier ist die Schmiede; ein Wagen und zwei oder drei neue Karren stehen davor und versperren die Straße. Weiterhin leuchtet durch die offene Pforte der Gartenmauer ein weißes Landhaus, eine runde Rasenfläche davor mit einem Amor in der Mitte, der sich den Finger vor den Mund hält. Die Freitreppe flankieren zwei Vasen aus Bronze. Ein Amtsschild mit Wappen glänzt am Tore. Es ist das Haus des Notars, das schönste der ganzen Gegend.

      Zwanzig Schritte weiter, auf der andern Seite der Straße, beginnt der Marktplatz mit der Kirche. In dem kleinen Friedhofe um sie herum, den eine niedrige Mauer von Ellbogenhöhe umschließt, liegt Grabplatte an Grabplatte. Diese alten Steine bilden geradezu ein Pflaster, auf das aus den Ritzen hervorschießendes Gras grüne Rechtecke gezeichnet hat. Die Kirche selbst ist ein Neubau aus der letzten Zeit der Regierung Karls des Zehnten. Das hölzerne Dach beginnt bereits morsch zu werden. Auf dem blauen Anstrich der Decke über dem Schiff zeigen sich stellenweise schwarze Flecken. Über dem Eingang befindet sich da, wo gewöhnlich sonst in der Kirche die Orgel ist, eine Empore für die Männer, zu der eine Wendeltreppe hinaufführt, die laut dröhnt, wenn man sie betritt.

      Das Tageslicht flutet in schrägen Strahlen durch die farblosen Scheiben auf die Bankreihen hernieder, die sich von Längswand zu Längswand hinziehen. Vor manchen Sitzen sind Strohmatten befestigt, und Namensschilder verkünden weithin sichtbar: „Platz des Herrn Soundso.“ Wo sich das Schiff verengert, steht der Beichtstuhl und ihm gegenüber ein Standbild der Madonna, die ein Atlasgewand und einen Schleier, mit lauter silbernen Sternen besät, trägt. Ihre Wangen sind genau so knallrot angemalt wie die eines Götzenbildes auf den Sandwichinseln. Im Chor über dem

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