Eine verworrene Geschichte. Hendrik Conscience
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»Da kommt Dein Vater aus der Mühle, ich sehe ihn durch das Fenster!« rief Frau Coutermann erregt, und ihre Stimme drückte freudige Hoffnung aus; bald aber spiegelte sich eine tiefe Besorgniß in ihren Zügen.
Urban war gleichfalls an das Fenster getreten und blickte in ängstlicher Spannung den Vater an. Ach, es war nur zu klar erkennbar, daß dessen Versuche gescheitert waren.
»Nun ist Alles aus, Mutter!« rief der Jüngling, »Cilia ist für mich verloren!«
»Mein armes Kind,« erwiderte die alte Frau, »mir ist, als wollte das Herz mir brechen.«
Der Pächter war ein Mann von etwa sechzig Jahren, hager, schlank und in Folge schwerer Arbeit früh gealtert, doch glänzte in seinen Augen noch ein jugendliches Feuer. Die ganze Gestalt hatte etwas Ehrfurchterweckendes und ließ vermuthen, daß der Geist des Mannes stärker sein müsse, als der Körper.
Bei seinem Eintreten hatte er wohl vorgehabt, seiner Entrüstung über die Base Roosen in heftigen Worten Luft zu machen; als er jedoch sah, daß seine Frau und Urban bitterlich weinten, bezwang er seine Aufregung, setzte sich neben dem letzteren auf die Bank und faßte seine Hand.
»Verzage nicht, mein armer Sohn,« sagte er sanft, wohl ist Dein Schicksal hart, aber, die Zeit heilt alle mit Wunden des Herzens. Wo die Macht des Menschen aufhört, muß er geduldig dass Haupt beugen und Trost suchen in dem Gedanken, das; nichts geschieht ohne den Willen Gottes.«
»Also auch die letzte Hoffnung ist zu Grunde gegangen, Vater?« fragte Urban, gänzlich entmuthigt. »Du hast so die Base Roosen abgewiesen? Cilia wird die Braut des schrecklichen Markus und ich soll sterben vor übergroßem Leid?«
»Sterben mein Sohn? Es ist freilich ein herber Schmerz, die schönste Lebenshoffnung vernichtet zu sehn, doch darum stirbt man nicht sogleich.«
»O Vater, glaube mir, ich werde es nicht ertragen, Cilia in solchen Händen zu sehn!« rief Urban, »und täglich werde ich das Bild vor mir haben, werde wissen, daß sie unglücklich ist, daß sie dahinsiecht unter der rohen Behandlung des gefühllosen Wüstlings, sie, die engelreine Freundin meiner Kindheit, welche ihre Eltern sowohl wie die meinen, mir zur Gattin bestimmt hatten . . . Und mit einem solchen Stachel im Herzen könnte ich leben? . . . Ach, ich setzte großes Vertrauen in Deine Güte, Vater, aber . . . aber . . . «
Coutermann warf seinem Sohne einen strengen Blick zu, vor dem dieser mit einem Seufzer die Augen niederschlug.
»Ich irre mich wohl,« zagte der Pächter kopfschüttelnd. »Alles nur Mögliche habe ich angewendet um den Schlag von Dir abzuwenden. Denke nur Urban, ich habe der Base Roosen angeboten, Dich selbstständig auf einen Pachthof zu setzen, Dir mein Pferd, einen Theil meines Viehs, und alles Geld zu überlassen, aber mit dieser Frau ist nichts anzufangen.«
»Vater, ach hättest Du in deiner unendlichen Güte noch etwas mehr gethan!« rief Urban aus.
»Noch mehr? Du setzest mich in Erstaunen, was willst Du damit sagen?« brummte der Pächter die Stirn runzelnd. »Wie auch Du konntest wünschen, daß ich . . . Unmöglich.«
Frau Coutermann, welche bis dahin weinend in einem Winkel der Stube gestanden hatte, trat nun hinzu und schlang ihre Arme um den Hals ihres Mannes.
»Thomas, Thomas,« flehte sie, »laß Dein Herz erweichen, sei nicht unerbittlich! Ach, wie kannst Du den Kummer unseres armen Kindes länger ansehn? Welche Freude dürfen wir uns noch von Geld und Gut versprechen, wenn wir, um es behalten zu können, unsern einzigen Sohn zu einem Leben voll Verzweiflung und Jammer verurtheilen? Tritt Urban und Cilia unsern Pachthof ab, da die Base Roosen es denn durchaus will; wir bleiben bei unsern Kindern, die uns um so mehr lieben werden, weil wir Alles hingaben, sie glücklich zu machen.«
»Vater, bester Vater,« fügte Urban hinzu, »wenn ich es auch nur auf einen Augenblick vergessen könnte, – wenn ich meine Ehrfurcht, meine Dankbarkeit jemals abnehmen sollte, ich verdiente nicht eines seligen Todes zu sterben! Ach, habe Mitleiden mit meinem Schmerz!«
»Mitleid!« wiederholte der Pächter in bitterem Ton, »ja Du mußt in der That sehr unglücklich, halb wahnsinnig vor Schmerz sein, um so etwas Unmögliches von mir zu verlangen! Von Dir wenigstens hatte ich das nicht erwartet, mein Sohn!«
»Thomas laß Dich erweichen; rette Urban, rette Cilia mit einem einzigen gütigen Wort,« rief die Pächterin.
»Ja Du bist die Mutter,« vesetzte Coutermann »die Liebe zu Deinem Sohn verblendet Dich, aber er ist ein Mann . . . «
»Vergebung, Vater, Vergebung! Die Verzweiflung ist stärker als ich,« bat der junge Bauer.
»So scheint es, mein Kind: Du weißt eben so wenig wie Deine Mutter, was Ihr verlangt,« erwiderte der Pächter mit Nachdruck. »Auf diesem Hofe bin ich geboren, unter diesem Fenster stand meine Wiege, am Heerde dort glaube ich noch immer meine Mutter singend oder erzählend vor ihrem Spinnrädchen sitzen zu sehen, hier in diesem großen Armstuhl ist mein Vater mich segnend sanft im Herrn einschlafen. Jeder Grashalm auf diesem Hofe hat einen Tropfen meines Schweines getrunken, jeder Stein war ein Freund meiner Kindheit; meine Freude, meine und Liebe, meine Schmerzen, sie stehn eingegraben auf Allem, was mich hier umgibt . . . Und in meinen alten Tagen sollte ich mein heimatliches Dach verlassen und wie ein Fremdling in der Welt herumirren?«
»Aber nein, Thomas,« unterbrach ihn seine Frau »wir wollen hier wohnen bleiben! Es soll sich nichts ändern . . . «
»Vater ich wurde Dir nach wie vor mit derselben Liebe und Unterwürfigkeit gehorchen . . . «
»Es soll sich nichts ändern!« wiederholte der Pächter den Kopf schüttelnd, »das ist leicht gesagt, aber wer steht dafür ein? Ist nicht der Tod da, der jeden menschlichen Willen zu Nichte macht? Vorausgesetzt, Urban heirathet Cilia: kann unser Sohn nicht sterben, da wir doch Alle sterblich sind? Cilia ist dann die alleinige Eigenthümerin und wenn sie sich wieder vermählt, wird ihr neuer Mann, da wohl eben so gut sein gegen uns alte abgelebte Leute die zu viel essen und zu wenig arbeiten? Ja wie Ihr Euch auch sträuben mögt gegen die traurigen Erwägungen, die Sache ist wie ich Euch sage, und der Mensch soll der Vernunft und Wahrheit sein Ohr nicht verschließen. Haben wir nach dieser Richtung nicht Beispiele genug? Sie umgeben uns von allen Seiten. Da ist Stephan der achtzigjährige Greis, der sich des Sonntags hier ein Stückchen Brod bettelt; er war früher ein wohlhabender Pächter. Auch er hat seinem Sohne Alles überlassen; der Sohn ist gestorben, dann des Sohnes Frau; durch Erbschaft ist sein ganzer Besitz in fremde Hände gekommen und um den Alten kümmert sich Niemand.
»Er hat sich ausgekleidet bevor er schlafen ging und mußte hart für seine Unvorsichtigkeit büßen. Glaube nicht, Urban, daß der Eigennutz mir diese Worte eingibt; handelte er sich nur um mich, ich würde, aus Liebe zu Dir, wahrscheinlich Alles opfern aber Deine Mutter kann uns alle überleben, müssen wir nicht fürchten, daß sie einst, wie jetzt der alte Stephan, ihr Brod an den Thüren zu betteln genöthigt ist? Wenn wir der Base Roosen Gehör schenken, so ermöglichen wir solche schrecklichen Verhältnisse und das soll nimmer geschehen, nein nun und nimmermehr!«
»Ist es nur das, was Dich abhält, Thomas, so gib so gib so bald als möglich Deine Einwilligung!« rief Frau Coutermann eifrig. »Wenn nur Urban glücklich wird, das eigene Schicksal, mag es auch hart sein will ich ertragen.«