Die Schlucht. Иван Гончаров

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Die Schlucht - Иван Гончаров

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Lippen, ging ein Weilchen melancholisch umher, beging dann irgendeine kostspielige Verrücktheit und beruhigte sich wieder. Die Sehnsucht nach Paris war ihm seither, zumal sein Vermögen inzwischen arg gelitten hatte, so gut wie ganz vergangen.

      Neben der Sorge um die Erlangung des dritten Sterns nahm noch ein weiteres Problem ihn sehr lebhaft und andauernd in Anspruch: wie er nämlich seinen beiden älteren Schwestern, den Tanten Sophies, die als alte Jungfern lebten, das zur Bestreitung seiner Torheiten nötige Geld aus der Tasche locken könnte. Seine ganze Findigkeit und Energie wandte er der befriedigenden Lösung dieses Problems zu.

      Nadjeschda Wassiljewna und Anna Wassiljewna Pachotin waren zwar geizig und hatten für die Person ihres Bruders nicht das geringste übrig, doch schätzten sie den Namen, den er trug, den guten Ruf des Hauses und die Überlieferungen ihres alten Geschlechts ungemein hoch und zahlten ihm außer einem ein für allemal festgesetzten Taschengeld von fünftausend Rubeln in einzelnen Beträgen noch jährlich Subsidien in etwa gleicher Höhe. Am Jahresschluß hatten sie dann noch jedesmal fast ebensoviel zu bezahlen, um die Rechnungen der Schneider, Möbelhändler und sonstigen Geschäftsleute aus der Welt zu schaffen, was natürlich unter heftigen Vorwürfen und Ermahnungen, ja fast unter Tränen vor sich ging.

      Sie wußten, welchen Gebrauch er von dem Gelde machte, doch urteilten sie in dieser Beziehung nicht gar zu streng – erinnerten sie sich doch der lockeren Gewohnheiten der Lebemänner ihrer Zeit, die sie als etwas ganz Selbstverständliches hinnahmen. Als sittsame Damen hielten sie sich jedoch stets die Ohren zu, wenn er vor ihnen mit seinen törichten Streichen prahlen, oder wenn ein Dritter ihnen davon erzählen wollte.

      Er war in ihren Augen ein hohler, zu nichts mehr brauchbarer, abgelebter Greis und ein schlechter Vater, aber er war doch eben ein Pachotin, ein Sprößling dieses alten Geschlechts, dessen Anfänge sich weit in der grauen Vorzeit verloren, dessen Ahnenbilder einen ganzen Saal einnahmen, dessen Stammbaum kaum auf einem großen Tische Platz fand, und das eine ganze Reihe von hervorragenden Männern aufzuweisen hatte.

      Sie waren stolz auf alles das, und sie verziehen dem Bruder alles, einzig darum, weil er ein Pachotin war.

      Sie selbst hatten einst in der großen Welt eine glänzende Rolle gespielt und waren aus Gründen, die außer ihnen kein Mensch mehr im Gedächtnis hatte, unvermählt geblieben. Sie lebten still für sich in dem alten Hause, in dem sie das Licht der Welt erblickt hatten, gemeinsam mit der Familie des verheirateten Bruders, und verwandten all ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf die Erziehung Sophies, der einzigen Tochter Pachotins. Die Verheiratung der letzteren hatte in ihrem Leben eine Störung hervorgerufen, aber Sophie war bald Witwe geworden, auch ihre Mutter war bereits tot, und so hatte sie sich von neuem unter die fast klösterliche Obhut und Autorität ihrer Tanten begeben.

      Die beiden alten Damen waren von hohem Wuchse, ganz ergraut und machten in ihrem Äußeren den Eindruck peinlichster Sauberkeit; sie trugen im Hause schwere dunkle Seidenkleider, große Hauben und viele Ringe an den Händen.

      Nadjeschda Wassiljewna litt an neuralgischem Gesichtsschmerz, sie trug unter der Haube ein Samtkäppchen und um die Schultern einen hermelingefütterten Samtkragen, während Anna Wassiljewna Locken aus Rohseide und einen großen Schal trug. Beide gingen nie ohne Ridikül, und Nadjeschda Wassiljewna bediente sich außerdem einer goldenen Schnupftabakdose; eine Anzahl Taschentücher waren stets um sie herum. Außerdem besaß sie einen Mops, ein altes, ewig verschlafenes, heiseres Tier, das vor lauter Altersschwäche keinen der Hausgenossen außer seiner Herrin erkannte.

      Das Haus der Pachotins war ein altes, langgestrecktes, zwei Stockwerke hohes Gebäude, mit dem Wappen der Familie an der Frontseite, mit dicken, massiven Mauern, tiefen, kleinen Fenstern und hohen Pfeilern. Eine endlose Reihe von Zimmern, die alle mit Damast ausgeschlagen waren, zog sich im Hause hin; schwere, reich geschnitzte dunkle Schränke, mit kostbarem Porzellan und Silber angefüllt, standen gleich Sarkophagen an den Wänden, mit schweren Diwans und Stühlen im Rokokostil abwechselnd, alles reich, aber nüchtern, ohne Komfort. Der Schweizer sah aus wie der Meergott Neptun; die Diener waren alt und schweigsam, die Dienerinnen trugen dunkle Kleider und Hauben. Die Kutsche war hoch und mit seidenen Fransen besetzt; die Pferde waren alt, doch von guter Rasse, mir langen Hälsen und Rücken, mit Lippen, die vom Alter weiß geworden waren, und Köpfen, die während der Fahrt bedächtig auf und nieder gingen. Sophies Zimmer hatte ein etwas lichteres Aussehen, namentlich wenn die Bewohnerin selbst anwesend war: es gab darin Blumen und Noten und eine ganze Menge moderner Nippsachen. Noch ein wenig mehr Ungezwungenheit, Unordnung, Licht und Geräusch, und es wäre ein ganz behagliches kleines Nestchen gewesen, wie geschaffen zum Schwärmen und Träumen, zu neckischem Spiel und selbst zum Lieben.

      Aber die Blumen steckten in altertümlichen, schweren Vasen, die wie Graburnen aussahen, und ein massiver alter Silberaufsatz erhöhte noch den antiken Anstrich des Raumes. Den Damen war jede Unordnung in den Tod verhaßt: waren die Blumen in der Vase etwas auseinander geraten, dann kam Anna Wassiljewna, klingelte das Stubenmädchen in der Haube herbei und befahl, die Blumen symmetrisch zu ordnen.

      Lag einmal eins der reichgebundenen Bücher auf dem Diwan oder auf einem der Stühle herum, dann stellte Nadjeschda Wassiljewna es sogleich ins Fach; fiel ein gar zu heller Sonnenstrahl ins Zimmer, und spielte er da lustig in dem Kristallglas, dem Spiegel oder dem Silberzeug, dann fand Anna Wassiljewna, daß die Augen sie davon schmerzten, und wies nur mit dem Finger nach der Portiere hin, worauf der Diener rasch zusprang und der schwere, steife Seidenvorhang glatt niederrollte, um dem losen Lichtstrahl den Weg zu versperren.

      Dafür herrschte im unteren Stockwerk, bei Nikolaj Wassiljewitsch, die größte Unordnung. Die alten Traditionen waren hier mit modernem Komfort ganz durcheinander gemischt. Neben den schweren Barockmöbeln stand eine leichte Causeuse von Gambs, der gotische Kamin war durch einen Ofenschirm mit lustigen französischen Genrebildern verdeckt, auf dem Tische fand der Morgen häufig noch Überreste vom Nachtmahl vor, auf dem Diwan lag zuweilen ein Frauenhandschuh oder eine elegante Stiefelette umher, und im Toilettezimmer war ein ganzes Magazin von kosmetischen Mitteln etabliert. So still und ruhig es oben war, so laut erklang unten häufig das Sprechen und Lachen, immer ging es dort lebhaft und liederlich zu. Der Kammerdiener Pachotins war ein Franzose mit einschmeichelnder Redeweise und frechem Blick.

      Drittes Kapitel

      Raiski und Ajanow mußten eine ganze Reihe von Zimmern passieren, bevor sie endlich in die eigentliche Wohnung, das heißt in die von den beiden Alten und Sophie Nikolajewna bewohnten Räume gelangten.

      Als sie in das Gastzimmer kamen, ließ der Mops ein heiseres Knurren vernehmen, brachte es jedoch nicht zu einem eigentlichen Bellen und legte sich, nachdem er sich einmal im Kreise herumgedreht hatte, wieder hin.

      Anna Wassiljewna nickte ihnen zu, und Nadjeschda Wassiljewna erwiderte ihre Verbeugung mit einem freundlichen Blick, schneuzte sich dann mit Genugtuung und nahm sogleich eine Prise – sie wußte, daß sie nun bestimmt ihre Partie haben würde.

      »Ma cousine!« sagte Raiski, während er der Nichte die Hand reichte.

      Sophie Nikolajewna verneigte sich lächelnd und reichte ihm die Hand.

      »Klingle doch, Sophie, man soll servieren,« sagte die ältere Tante, als die Gäste am Tische Platz genommen hatten. Sophie erhob sich von ihrem Platze, aber Raiski kam ihr rasch zuvor und zog die Klingelschnur.

      »Sag’ Nikolaij Wassiljewitsch, daß wir uns zu Tisch setzen,« wandte sich die alte Dame mit kühler Würde an den Diener. »Und nun soll endlich aufgetragen werden! Du hast dich heut verspätet, Boris: es ist bereits ein Viertel nach fünf!« sagte sie in vorwurfsvollem Tone zu Raiski.

      Er stand zu den beiden Alten im verwandtschaftlichen Verhältnis eines Neffen zweiten Grades und war somit ein weitläufiger Vetter von Sophie. Seine Familie, die gleichfalls von alter Herkunft war und dereinst sich großer Wohlhabenheit erfreut hatte,

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