Die Schlucht. Иван Гончаров

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Die Schlucht - Иван Гончаров

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gibt’s Tee oder saure Milch. Essen Sie gern frischen Käse, mit Sahne vielleicht? . . .«

      »Ja, den esse ich ganz gern,« antwortete Raiski zerstreut.

      »Oder wollen Sie lieber saure Milch?«

      »Ja, saure Milch . . .«

      »Was ziehen Sie also vor?« fragte sie, und als er keine Antwort gab, wandte sie sich um, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit von der Unterhaltung abzog.

      Er aber beobachtete gerade, wie sie, über einen Graben hinwegschreitend, ihr Kleid samt dem gestickten Unterrock emporhob, und wie unter dem Kleide die runde, pralle Wade in dem weißen Strumpf und der in einem eleganten, mit rotem Saffian verzierten Lackschuh steckende zierliche Fuß zum Vorschein kam.

      »Lackschuhe – ei!« sagte er. »Du putzst dich wohl gern, Marsinka?«

      Er dachte, sie würde verlegen werden, und freute sich schon darauf, zu sehen, wie sie ganz verwirrt und beschämt das Kleid herunterlassen würde. Statt dessen jedoch hob sie den Rock noch etwas höher empor, damit er den Schuh ganz genau betrachten könnte.

      »Die haben wir neulich mit Tantchen auf dem Jahrmarkt gekauft,« sagte sie unschuldig. »Auch Wjerotschka hat ein Paar bekommen, die sind aber lila, sie liebt diese Farbe sehr. Was wollen Sie also zu Mittag essen? Sie haben noch nichts gesagt!«

      Er hörte jedoch nicht auf sie.

      »Du brauchst keine Verschämtheit zu heucheln, du liebes Kind!« dachte er im stillen. Und laut fügte er dann hinzu:

      »Ich mag nichts essen, Marsinka. Reich’ mir den Arm, wir wollen zur Wolga gehen!«

      Er preßte ihren Arm an seine Brust und fühlte, wie sein Herz heftig schlug, als es so die Nähe dieses naiven, holden Kindes fühlte, das ihm zugleich als liebende Schwester und als frisch erblühende junge Schönheit erschien. Er hegte Befürchtungen, ob er wohl standhaft genug sein würde, sie mit dem bloßen Künstlerauge zu schauen, oder ob er, wie gewöhnlich, dem »Eindruck« erliegen würde.

      Vor seinen Augen schwebte das Ideal einer reinen, einfachen Natur, und in seiner Vorstellung formte sich das Bild eines stillen Familienromans, während er zugleich fühlte, daß dieser Roman auf sein eigenes Ich hinübergriff, daß ihm dabei so wohl, so warm ward ums Herz, daß das Leben ringsum ihn mit hineinzog in sein Getriebe . . .

      »Singst du, Marsinka?« fragte er.

      »Ja . . . ein wenig,« antwortete sie etwas verlegen.

      »Was denn?«

      »Russische Romanzen; dann habe ich auch etwas italienische Musik getrieben, aber mein Lehrer ist abgereist. Ich singe zum Beispiel ›Una voce poco fa‹, doch fällt es mir nicht leicht. Und Sie – singen Sie auch?«

      »Sehr gern, aber mit ungeschulter Stimme.«

      »Was denn?«

      »Alles.«

      Und er sang zuerst eine Arie aus den »Lombarden« und dann einen Marsch aus der »Semiramis« und schwieg hierauf plötzlich.

      Er sah ihr in die Augen, drückte ihren Arm und paßte seinen Schritt dem ihrigen an.

      »Hier fehlt nichts weiter zum Glück,« dachte er. »Zugreifen, nicht lange in die Ferne schauen – so würde ein anderer an meiner Stelle handeln. Alles ist vorhanden für ein stilles Lebensglück – aber . . . dieses Glück ist nicht das meinige!« Er seufzte. »Die Augen gewöhnen sich – die Phantasie ermüdet – der Eindruck verblaßt, und die Illusion zerplatzt wie eine Seifenblase, ehe sie noch die Nerven tiefer ergriffen hat.«

      Er ließ ihren Arm los und wurde nachdenklich.

      »Warum sind Sie so schweigsam?« fragte sie. »Nicht ein Wort redet er!« dachte sie im stillen.

      »Liest du gern, Marsinka?« fragte er, aus seinem Sinnen erwachend.

      »Ja, wenn ich mich langweile, dann lese ich.«

      »Was denn?«

      »Was mir in die Hand kommt: Erzählungen, oder Tit Nikonytsch bringt uns Journale, dort lese ich die Novellen. Manchmal nehme ich auch eins von Wjerotschkas französischen Büchern vor. Neulich habe ich die ›Helen‹ der Miß Edgeworth gelesen, und dann auch ›Jane Eyre‹. Ein sehr schönes Buch – zwei Nächte lang habe ich nicht geschlafen, sondern immer nur gelesen, gar nicht losreißen konnte ich mich.«

      »Welche Art von Büchern liebst du besonders?«

      Sie dachte einen Augenblick nach, um die Bücher, die sie gelesen hatte, rasch im Geiste zu gruppieren.

      »Sie wollen sich wieder über mich lustig machen, wie vorhin, wegen des Gänschens . . .« sagte sie zögernd.

      »Nein, nein, Marsinka! Ich werde mich doch über ein so liebes, hübsches Schwesterchen nicht lustig machen! Denn du bist doch hübsch, nicht wahr?«

      »Was ist schon viel Hübsches an mir!« sagte sie in geringschätzigem Tone. »Dick bin ich nur, und habe einen weißen Teint. Da sollten Sie unsere Wjerotschka sehen – die ist hübsch! Eine Schönheit!«

      »Was liest du also gern? Gedichte?«

      »Ja, Schukowskij, und von Puschkin habe ich neulich ›Mazeppa‹ gelesen.«

      »Nun – hat’s dir gefallen?«

      Sie schüttelte verneinend den Kopf.

      Warum nicht?«

      »Die Marja tat mir so leid. Drüben, in Ihrer Bibliothek, habe ich einmal ›Gullivers Reisen‹ gefunden, ich habe das Buch an mich genommen und wohl siebenmal gelesen. Sowie ich’s ein bißchen vergessen habe, lese ich’s wieder. Auch den ›Kater Murr‹, die ›Serapionsbrüder‹ und den ›Sandmann‹ habe ich gelesen, die haben mir sehr gut gefallen.«

      »Was gefällt dir sonst noch? Hast du auch ernste Bücher gelesen?«

      »Ernste Bücher?« wiederholte sie, und ihr Gesicht nahm dabei selbst eine ernste Miene an. »Ja, ich habe da noch einige von Ihren Büchern liegen, aber ich kann sie nicht recht verdauen . . .«

      »Was denn zum Beispiel?«

      »Nun, da ist zum Beispiel ein Buch von Chateaubriand: ›Les martyrs‹ . . . Das ist für mich schon gar zu hoch!«

      »Nun, und historische Werke?«

      »Leontij Iwanowitsch gab mir einmal ein Buch von Michelet, ›Precis de l’histoire moderne‹. Dann die ›Römische Geschichte‹ von Gibbon, glaube ich . . .«

      »Nun, wie gefiel dir Gibbon?«

      »Ich habe das Werk nicht zu Ende gelesen, es war zu hoch für mich. Das ist etwas für Lehrer, die in diesem Fache unterrichten . . .«

      »Nun, und wie sieht’s mit Romanen – liest du die gern?«

      »Ja . . . aber nur solche, die mit einer Heirat enden.«

      Er lachte, und sie lachte mit ihm.

      »Das ist recht albern, nicht wahr?« fragte sie.

      »Nein, ich finde es reizend.

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