Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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gehabt haben? Es ist keineswegs anzunehmen. Denn wir mögen uns wohl gerne vorstellen, daß es früher dunkel gewesen ist, weil es dadurch jetzt umso heller ausschaut; aber daß an den Grundlagen des humanistischen Unterrichts etwas dermaßen in Unordnung sein sollte, vermögen wir nicht zu glauben. Sind sie scherzhaft gewesen, die alten Griechen? Oder haben sie in der Art aller Levantiner ungeheuerlich übertrieben? Oder liegt ihrer Ur-Perversität eine Ur-Harmlosigkeit zugrunde, die erst viel später die kranken Reiser getrieben hat?

      Dunkel sind die Anfänge der Zivilisation.

1927

      Was haben zwei Jahrhunderte «moderner Zeit» aus dieser Geschichte gemacht?

      Ein Mann besiegt in offener Feldschlacht das Amazonenheer, und die Amazone verliebt sich in ihren Bezwinger. So ist es nun in Ordnung! Die Widerspenstigkeit wird gezähmt, sie läßt Schild und Speer fallen, und die Männer kichern geschmeichelt in der Runde. Das ist von der alten Sage übrig geblieben. Das Zeitalter des gebildeten Bürgers bewahrte von der wilden jungen Raubfrau, die darauf brennt, ihre Pfeilspitze hinter Mannesrippen zu landen, bloß das moralische Beispiel, wie sich unnatürliche Triebe wieder in natürliche verkehren; und außerdem höchstens noch kümmerliche Reste in den Theatern, Kinos und den Köpfen sechzehnjähriger Lebemänner, wo das dämonische Weib, die Salonschlange und der Vamp von fern an ihre männermordenden Vorgängerinnen erinnern.

      Aber die Zeiten bleiben in Fluß. Es soll nicht von weiblichen Bureauvorstehern gesprochen werden, um die sich der männliche Untergebene rankt wie der bescheidene Efeu um die starke Eiche; es gibt Geschichten, die dem Mittelpunkt der männlichen Eitelkeit näher liegen, und eine solche ereignete sich, als vor einiger Zeit der berühmte Forscher Quantus Negatus einer Versammlung beiwohnte, wo die Opposition unter weiblicher Führung stand. Es war nicht gerade eine politische Versammlung, aber immerhin eine von jenen, wo der neue geistige Weltzug seinen Zusammenstoß mit dem alten hat. Quantus, als verdienstreicher Mann, saß bequem in den Polstern des alten. Er war nicht im geringsten gesonnen, sich um Weltanschauungen zu streiten, und begrüßte das Auftreten der Damen zunächst nur als eine Abwechslung. Während sie oben redeten, sah er unten ihre Füße in den Halbschuhen an. Aber plötzlich fesselte ihn eine Einzelheit: er hörte sie sagen, die Herren von der Mehrheit seien Esel. Sie sagten es in einer reizenderen Weise, und nicht gerade mit diesem Wort, immerhin aber ungefähr mit diesem Grad von Achtung. Und wenn die eine sich niedersetzte, stand ausgeruht die andere auf und wiederholte die Anklage in einer nur wenig anderen Weise. Auf ihren Stirnen bildeten sich vor Ärger und Anstrengung kleine lotrechte Falten; ihre Handbewegungen waren pädagogisch, wie wenn man Kindern auseinandersetzen muß, wie denkfaul sie seien; und die Sätze wurden sorgfältig vom Mund gegliedert, wie von einem geschulten Koch, der Fasanen zerlegt.

      Der berühmte Forscher Negatus lächelte; er war kein Esel, er stand über der Situation, er durfte sich ihrem Reiz vorurteilslos hingeben; bei der Abstimmung würde sich schon zeigen, was er für richtig halte. Zufällig warf er aber einen Blick zur Unzeit auf die anderen Herren der Mehrheit. Und es kam ihm mit einemmal vor, sie säßen alle bocksteif da wie die Weibchen, denen ein Mann den überwältigenden Zauber der Logik beibringen will, wogegen sie keine andere Waffe haben, als nach jedem neuen Schluß zu erwidern: ich will aber nicht! Da bemerkte er erst, daß es ihm auch nicht anders ergehe. Tändelnden Sinnes betrachtete er Beine und Fingerspitzen, Mundfalten und Körperwendungen, obzwar er währenddessen anhören mußte, daß sein Wille eingeschlafen und seine Intelligenz die eines dicken Bürgers sei, der sie nicht gern bewege. Und nun geschah das, was allerdings nicht immer geschieht, Quantus fühlte sich halb überzeugt. Wenn er an seinen Forscherruhm dachte, so kam er sich wie eine brave Hausfrau vor, die daheim mit Fläschchen und Töpfchen am Herd hantiert, während diese Damen auf schäumendem Roß durch die offene Welt sprengten. Gewiß, es gab eine Menge besonderer Dinge, über die wenig Menschen so gut Bescheid wußten wie er; aber was nützte ihm das in solchen allgemeinen Fragen, deren Unsicherheit einen – beinahe hätte er gesagt, einen ganzen Mann brauchte?! Schon fand er, daß die Einwände, die sein Verstand gegen den Unfug dieser jungen Frauen erhob, eigentlich ängstlich wären, und seine Gedanken folgten mit einer fast käthchenhaften Begeisterung den wilden Taten ihres Geistes.

      Was ihn noch im Gleichgewicht hielt, war der Umstand, daß auf der Gegenseite auch Männer aufstanden, die zusammenhangloses Zeug redeten. Die Versammlung wurde dadurch manchmal recht bewegt, und keiner ließ den anderen ausreden. Quantus Negatus beobachtete, was seine Rednerinnen täten. In diesem wirren Männergeschrei schwiegen sie lächelnd, und es schien ihm, daß sie ein bittendes Zeichen gäben. Dann erhob sich jedesmal ein fett-kräftiger junger Mann mit großem Gesicht und dichtem Haarwuchs und entfaltete ein wahres Phänomen von Stimme, deren Zwischenrufe wenig Vernunft hatten, aber mit einem Satz zwanzig feindliche Stimmen über den Haufen fegten, so daß man in der zurückbleibenden Stille die unterbrochenen Rednerinnen auf einmal wieder hörte. – «Ah, ein Mann!» dachte Negatus zuerst geschmeichelt. Aber wie er sich das, in der Stimmung, worin er sich nun einmal befand, genauer überlegte, fand er, daß eine starke Stimme doch auch nur etwas Sinnliches sei, wie in seiner Jugendzeit ein langer Zopf oder eine üppige Brust. Er fühlte sich von diesen Gedanken, die auf einem ihm recht fremden Gebiet lagen, ermüdet. Er hatte nicht übel Lust, seine Partei im Stich zu lassen und sich aus der Versammlung zu schleichen. Dunkel Gymnasialerinnerungen bewegten ihn: die Amazonen? – «Verkehrte Welt!» dachte er. Aber dann dachte er auch: «Ganz eigentümlich ist es, sich einmal eine verkehrte Welt vorzustellen. Es bereitet eine gewisse Abwechslung.» Er richtete an diesen Gedanken gleichsam seine Stacheln wieder auf; eine gewisse Kühnheit lag in ihnen, eine freimütige, männliche Neugierde. «Wie dunkel ist die Zukunft der Zivilisation!» dachte er. «Ich bin ein Mann, aber am Ende wird das nur noch etwas sehr Weibliches bedeuten, wenn nicht bald eine Zeit echter Männer wiederkommt!» Aber als die Abstimmung kam, stimmte er trotzdem für die Reaktion.

      Die Opposition unterlag; die Versammlung war zu Ende. Quantus erwachte, und mit ritterlich beschwertem, schlechtem Gewissen suchte sein Blick den seiner ausdauernden Gegnerinnen. Aber diese legten soeben frischen Puder auf und hatten ihre kleinen silbernen Spiegel hervorgezogen. Mit der gleichen unbeirrbaren Sachlichkeit, wie sie vorhin mörderische Worte gesprochen hatten, taten sie nun das. Quantus staunte. Und seine letzte, doch noch recht befangene Überlegung im Hinausgehen war diese: «Warum machen sich bloß niedliche Männerköpfe ganz unnütze Gedanken?!»

      Kindergeschichte

      Herr Piff, Herr Paff und Herr Puff sind miteinander auf die Jagd gegangen. Und weil es Herbst war, wuchs nichts auf den Äckern; außer Erde, die der Pflug so aufgelockert hatte, daß die Stiefel hoch über die Schäfte davon braun wurden. Es war sehr viel Erde da, und so weit das Auge reichte, sah man stille braune Wellen; manchmal trug eine davon ein Steinkreuz auf ihrem Rücken oder einen Heiligen oder einen leeren Weg; es war sehr einsam.

      Da gewahrten die Herren, als sie wieder in eine Mulde hinabstiegen, vor sich einen Hasen, und weil es das erste Tier war, das sie an diesem Tag antrafen, rissen alle drei ihre Schießrohre rasch an die Backe und drückten ab. Herr Piff zielte über seine rechte Stiefelspitze, Herr Puff über seine linke, und Herr Paff zwischen beiden Stiefeln geradeaus, denn der Hase saß ungefähr gleichweit von jedem und sah ihnen entgegen. Nun erhob sich ein fürchterlicher Donner von den drei Schüssen, die Schrotkörner prasselten in der Luft wie drei Hagelwolken gegeneinander, und der Boden staubte wild getroffen auf; aber als sich die Natur von diesem Schrecken erholt hatte, lag auch der Hase im Pfeffer und rührte sich nicht mehr. Bloß wußte jetzt keiner, wem er gehöre, weil alle drei geschossen hatten. Herr Piff hatte schon von weitem ausgerufen, wenn der Hase rechts getroffen sei, so gehöre er ihm, denn er habe von links geschossen; das Gleiche behauptete Herr Puff über die andere Hand; aber Herr Paff meinte, daß der Hase sich doch auch im letzten Augenblick umgedreht haben könne, was nur zu entscheiden wäre, wenn er den Schuß in der Brust oder im Rücken habe: dann aber, und somit unter allen Umständen, gehöre er ihm! Als sie nun hinkamen, zeigte sich jedoch, daß sie durchaus nicht herausfinden konnten, wo der Hase getroffen sei, und natürlich stritten sie jetzt erst recht um die Frage, wem er zukomme.

      Da erhob sich der Hase höflich

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