Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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böse wäre, wenn man darin seine sachkundige Hand nicht sofort bemerken wollte. Er hat für Licht, Luft, Auswahl der Bäume, für Zufahrtswege, Lage der Schlagplätze und Entfernung des Unterholzes gesorgt und hat den Bäumen jene schöne, reihenförmige, gekämmte Anordnung gegeben, die uns so entzückt, wenn wir aus der wilden Unregelmäßigkeit der Großstädte kommen. Hinter diesem Forstmissionar, der einfältigen Herzens den Bäumen das Evangelium des Holzhandels predigt, steht eine Güterdirektion, Domänenverwaltung oder fürstliche Kammer und schreibt es vor. Nach ihren Anordnungen entstehen soundso viel tausend Holzmeter freier Aussicht oder jungen Grüns alljährlich, sie verteilt die herrlichen Blicke und den kühlen Schatten. Aber nicht in ihrer Hand ruht das letzte Geschick. Noch höher als sie thronen in der Reihe der Waldgötter der Holzhändler und seine Abnehmer, die Sägewerke, Holzstoffabriken, Bauunternehmer, Schiffswerften, Pappwaren-und Papiererzeuger … Hier verliert sich der Zusammenhang in jenes namenlose Geschling, jenen gespenstischen Güter-und Geldkreislauf, welcher selbst einem Menschen, der vor Armut aus dem Fenster springt, die Gewißheit gibt, daß er durch die Folgen einen wirtschaftlichen Einfluß ausübt, und der auch dich, wenn du im verzweifelten Sommer der Großstadt deine Hose auf einer Holzbank und eine Holzbank an deiner Hose abwetzt, zum Geburtenregler von Wollschafen und Wäldern macht, die alle der Teufel holen möge.

      Soll man nun singen: Wer hat dich, du schönes Magazin der Technik und des Handels, aufgebaut so hoch da droben? Wohl die Ameisensäuregewinnung (aus der Holzfaser; aber je nach den Umständen auch andre Verwertungsarten) will ich loben, solang’ noch meine Stimm’ erschallt!–? Die Frage wird allgemein verneint werden. Noch ist der Ozon des Waldes da, noch seine sanfte grüne Masse, seine Kühle, seine Stille, seine Tiefe und Einsamkeit. Es sind unausgenutzte Nebenprodukte der Forsttechnik und so herrlich überflüssig, wie es der Mensch auf Urlaub ist, wenn er nichts ist als er selbst. Darin besteht noch immer eine tiefe Verwandtschaft. Der Busen der Natur ist zwar künstlich, aber auch der Mensch auf Urlaub ist ein künstlicher Mensch. Er hat sich vorgenommen, nicht an Geschäfte zu denken; das bedeutet nahezu ein inneres Schweigegebot, nach kurzer Zeit wird alles unsäglich still und öd vor Glück in ihm. Wie dankbar ist er dann für die kleinen Zeichen, leisen Worte, welche die Natur für ihn bereit hat! Wie schön sind Wegmarkierungen, Inschriften, die verraten, daß es noch eine Viertelstunde bis zum Wirtshaus Waldruhe dauert, Bänke und verwitterte Tafeln, welche die zehn Verbote der Forstverwaltung verkünden; die Natur wird beredt! Wie glücklich ist er, wenn er Teilnehmer findet, um auf einer Landpartie gemeinsam der Natur entgegenzutreten; Genossen für ein Kartenspiel im Grünen oder eine Bowle bei Sonnenuntergang! Durch solche kleinen Hilfen gewinnt die Natur die Vorzüge eines Öldrucks, und es gibt dann gleich nicht mehr so viel des Verwirrenden. Ein Berg ist dann ein Berg, ein Bach ein Bach, Grün und Blau stehen mit großer Deutlichkeit nebeneinander, und keinerlei Schwierigkeiten des Verstehens hindern den Betrachter, auf dem kürzesten Weg zu der Überzeugung zu gelangen, daß es etwas Schönes ist, was er besitzt. Sobald man aber so weit gelangt ist, stellen sich auch die sogenannten ewigen Empfindungen mit Leichtigkeit ein. Frage einen Menschen von heute, der noch durch keinerlei Gerede verwirrt ist, was ihm besser gefalle, eine Landschaftsmalerei oder ein Öldruck, so wird er ohne Zögern antworten müssen, daß er einen guten Öldruck vorziehe. Denn der unverdorbene Mensch liebt die Deutlichkeit und den Idealismus, und zu beiden ist die Industrie weitaus geschickter als die Kunst.

      In solchen Fragen deutete sich die fortschreitende Besserung unseres Kranken an. Der Arzt sagt zu ihm: «Kritisieren Sie so viel Sie wollen; üble Laune ist ein Zeichen der Genesung.» – «Das kann man wohl verstehen!» erwiderte der ins Leben Zurückkehrende bekümmert.

      Der bedrohte Ödipus

      Obwohl boshaft und einseitig, erhebt diese Kritik keinen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität.

      Hatte der antike Mensch seine Szylla und seine Charybdis, so hat der moderne Mensch den Wassermann und den Ödipus; denn wenn es ihm gelungen ist, ersteren zu vermeiden und mit Erfolg einen Nachkommen auf die Beine zu stellen, kann er desto sicherer damit rechnen, daß diesen der zweite holt. Man darf wohl sagen, daß ohne Ödipus heute so gut wie nichts möglich ist, nicht das Familienleben und nicht die Baukunst.

      Da ich selbst noch ohne Ödipus aufgewachsen bin, kann ich mich natürlich nur mit großer Vorsicht über diese Fragen äußern, aber ich bewundere die Methoden der Psychoanalyse. Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit an das Folgende: Wenn einer von uns Knaben von einem anderen mit Beschimpfungen so überhäuft wurde, daß ihm beim besten Willen nichts einfiel, den Angriff mit gleicher Kraft zu erwidern, so gebrauchte er einfach das Wörtchen «selbst», das, in die Atempausen des anderen eingeschaltet, auf kurzem Wege alle Beleidigungen umkehrte und zurückschickte. Und ich habe mich sehr gefreut, als ich beim Studium der psychoanalytischen Literatur wahrnehmen konnte, daß man allen Personen, die vorgeben, daß sie nicht an die Unfehlbarkeit der Psychoanalyse glauben, sofort nachweist, daß sie ihre Ursachen dazu hätten, die natürlich wieder nur psychoanalytischer Natur seien. Es ist das ein schöner Beweis dafür, daß auch die wissenschaftlichen Methoden schon vor der Pubertät erworben werden.

      Erinnert die Heilkunde aber durch diesen Gebrauch der «Retourkutsche» an die herrliche alte Zeit der Postreisen, so tut sie das zwar unbewußt, doch beileibe nicht ohne tiefenpsychologischen Zusammenhang. Denn es ist eine ihrer größten Leistungen, daß sie inmitten des Zeitmangels der Gegenwart zu einer gemächlichen Verwendung der Zeit erzieht, geradezu einer sanften Verschwendung dieses flüchtigen Naturprodukts. Man weiß, sobald man sich in die Hände des Seelenverbesserers begeben hat, bloß, daß die Behandlung sicher einmal ein Ende haben wird, begnügt sich aber ganz und gar mit den Fortschritten. Ungeduldige Patienten lassen sich zwar schnell von ihrer Neurose befreien und beginnen dann sofort mit einer neuen, doch wer auf den rechten Genuß der Psychoanalyse gekommen ist, der hat es nicht so eilig. Aus der Hast des Tages tritt er in das Zimmer seines Freundes, und möge außen die Welt an ihren mechanischen Energien zerplatzen, hier gibt es noch gute alte Zeit. Teilnahmsvoll wird man gefragt, wie man geschlafen und was man geträumt habe. Dem Familiensinn, den das heutige Leben sonst schon arg vernachlässigt, wird seine natürliche Bedeutung wieder zurückgegeben, und man erfährt, daß es gar nicht lächerlich erscheint, was Tante Guste gesagt hat, als das Dienstmädchen den Teller zerbrach, sondern, richtig betrachtet, aufschlußreicher ist als ein Ausspruch von Goethe. Und wir können ganz davon absehn, daß es auch nicht unangenehm sein soll, von dem Vogel, den man im Kopf hat, zu sprechen, namentlich wenn dieser ein Vogel Storch ist. Denn wichtiger als alles einzelne und schlechthin das Wichtigste ist es, daß sich der Mensch, sanft magnetisch gestreichelt, bei solcher Behandlung wieder als das Maß aller Dinge fühlen lernt. Man hat ihm durch Jahrhunderte erzählt, daß er sein Verhalten einer Kultur schuldig sei, die viel mehr bedeute als er selbst; und als wir die Kultur im letzten Menschenalter zum größten Teil doch endlich losgeworden sind, war es wieder das Überhandnehmen der Neuerungen und Erfindungen, neben dem sich der Einzelne als ein Nichts vorkam: Nun aber faßt die Psychoanalyse diesen verkümmerten Einzelnen bei der Hand und beweist ihm, daß er nur Mut haben müsse und Keimdrüsen. Möge sie nie ein Ende finden! Das ist mein Wunsch als Laie; aber ich glaube, er deckt sich mit dem der Sachverständigen.

      Ich werde darum von einer Vermutung beunruhigt, die ja möglicherweise nur meiner Laienhaftigkeit entspringt, vielleicht aber doch richtig ist. Denn soviel ich weiß, steht heute der vorhin erwähnte Ödipuskomplex mehr denn je im Mittelpunkt der Theorie; fast alle Erscheinungen werden auf ihn zurückgeführt, und ich befürchte, daß es nach ein bis zwei Menschenfolgen keinen Ödipus mehr geben wird! Man mache sich klar, daß er der Natur des kleinen Menschen entspringt, der im Schoß der Mutter sein Vergnügen finden und auf den Vater, der ihn von dort verdrängt, eifersüchtig sein soll. Was nun, wenn die Mutter keinen Schoß mehr hat?! Schon versteht man, wohin das zielt: Schoß ist ja nicht nur jene Körpergegend, für die das Wort im engsten Sinne geschaffen ist; sondern dieses bedeutet psychologisch das ganze brütend Mütterliche der Frau, den Busen, das wärmende Fett, die beruhigende und hegende Weichheit, ja es bedeutet nicht mit Unrecht sogar auch den Rock, dessen breite Falten ein geheimnisvolles Nest bilden. In diesem Sinn stammen die grundlegenden Erlebnisse der Psychoanalyse bestimmt von der Kleidung der siebziger und achtziger Jahre ab, und nicht vom Skikostüm.

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