Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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klein oder auffallend angestrichen, kurzum wenn etwas nicht etwas ist, sondern bloß schön, dann würgen sie wie an einem großen, glatten Bissen, der nicht hinauf-und nicht hinabgeht, der zu nachgiebig ist, an ihm zu ersticken, und zu unnachgiebig, als daß man ein Wort hervorbringen könnte. So entstehen eben jene Och! und Ach!, die peinliche Erstickungslaute sind. Man kann sich nicht gut mit den Fingern in den Hals greifen; und eine bessere Art, die nötigen Worte aus dem Mund zu bringen, hat man nicht gelernt. Es ist unrecht, sich darüber lustig zu machen. Diese Ausrufe drücken eine sehr schmerzliche Beklemmung aus.

      Geschulte Kunstbetrachter haben natürlich ganz besondere Handgriffe dafür, und über diese wäre nun freilich auch mancherlei zu sagen; aber das könnte wohl zu weit führen. Trotz aller Beklemmung fühlen übrigens auch die unverdorbenen Menschen eine ehrliche Freude, wenn sie etwas anerkannt Schönes betrachten dürfen. Diese Freude hat merkwürdige Abstufungen. Sie enthält zum Beispiel den gleichen Stolz, wie wenn man erzählen kann, man sei an einem Bankgebäude gerade zu der Stunde vorbeigekommen, wo der berühmte Defraudant X. daraus entflohen sein müsse; andere Leute beseligt es schon, die Stadt zu betreten, wo Goethe acht Tage geweilt hat, oder den angeheirateten Vetter der Dame zu kennen, die als erste den Ärmelkanal durchschwommen hat; ja, es gibt Menschen, die es bereits als etwas Besonderes empfinden, überhaupt in einer so großen Zeit zu leben. Es scheint sich immer um irgendein Dabeigewesensein zu handeln; aber zu leicht darf es im allgemeinen nicht sein, es muß einen Hauch von persönlicher Erlesenheit besitzen. Denn so sehr die Menschen es leugnen, indem sie behaupten, ganz von ihren Tätigkeiten ausgefüllt zu sein, haben sie eine kindische Freude an persönlichen Erlebnissen und jener nicht zu beschreibenden Bedeutung, die man durch sie erhält. Ihr «persönliches Schicksal» berührt sie dann, was eine ganz sonderbare Sache ist. «Eben hatte er noch mit mir gesprochen, und dann glitt er aus und brach sich das Bein …!«: wenn sie so etwas sagen können, fühlen sie, daß hinter dem großen blauen Fenster mit den Wolkengardinen jemand lange gestanden ist und sie angeschaut hat.

      Und man wird es vielleicht nicht glauben, aber wirklich meistens nur aus diesem Grund geschieht es, daß man selbst in die Orte reist, von denen man Ansichtskarten kauft, was ja an und für sich ganz unverständig wäre, da es doch viel einfacher ist, sich die Karten kommen zu lassen. Und darum müssen diese Karten auch unabweislich-und überlebensschön sein; wenn sie einmal natürlich werden sollten, wird die Menschheit etwas verloren haben. «So sieht es offenbar hier aus» – sagt man und betrachtet sie mißtrauisch; dann schreibt man darunter: Du machst dir keine Vorstellung, wie schön das ist …! Es ist die gleiche Wendung, mit der ein Mann einem anderen anvertraut: Du kannst dir keine Vorstellung machen, wie sehr sie mich liebt …

      Wer hat dich, du schöner Wald …?

      Wenn es sehr heiß ist und man einen Wald sieht, so singt man: «Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?» Das geschieht mit automatischer Sicherheit und gehört zu den Reflexbewegungen des deutschen Volkskörpers. Je ohnmächtiger die von Hitze aufgequollene Zunge schon überall im Munde anstößt und je ähnlicher einer Haifischhaut die Kehle bereits geworden ist, desto empfindungsvoller reißen sie die letzte Kraft zu einem musikalischen Finish zusammen und beteuern, daß sie den Meister loben wollen, solang’ noch die Stimm’ erschallt. – Dieses Lied wird mit der ganzen Unbeugsamkeit jenes Idealismus gesungen, den am Ende aller Leiden ein Getränk erwartet.

      Man braucht sich aber nur, wer immer es sei, einmal durch längere Zeit in der Gegend jenes hitzeschwangeren vierzigsten Fiebergrads befunden zu haben, wo der Grenzverkehr zwischen Tod und Leben beginnt, um allen Spott über dieses Lied fahren zu lassen. Man liegt dann – angenommen: nach einem schweren Unglücksfall, operiert und doch wieder ganz geworden – als Genesender in dem schönen Sanatorium eines Kurorts, in weiße Tücher und Decken gehüllt, auf einem luftüberströmten Balkon, und die Welt ist nur ein fernes Summen; jede Wette, wenn das Sanatorium diese Möglichkeit hat, wird man auch so gebettet, daß man wochenlang nichts vor Augen sieht als das steile, grüne Waldzelt eines Berges. Man wird so geduldig wie ein Kiesel in einem Bach, um den das Wasser spült. Das Gedächtnis ist noch voll Fieber und der überstandenen süßen Trockenheit nach der Narkose. Und man erinnert sich bescheiden, daß man in den Tagen und Nächten, wo Tod und Leben miteinander stritten und die tiefsten oder doch letzten Gedanken am Platz gewesen wären, rein nichts gedacht hat, als immer das gleiche: wie man auf einer Hochsommerwanderung sich dem kühlen Saum eines Waldes nähert. Immer von neuem taucht die Einbildung aus der galligen Glut der Sonne in das feuchte Dunkel, um sogleich wieder zwischen prallen Feldern von neuem heranwandern zu müssen. Wie wenig bedeuten Gemälde, Romane, Philosophien in solchen Augenblicken! In diesem Zustand der Schwäche schließt sich das, was einem an Körper geblieben ist, wie eine fiebernde Hand, und die geistigen Wünsche schmelzen darin weg, wie Körnchen Eis, die nicht zu kühlen vermögen. Man nimmt sich vor, fortab ein Leben zu führen, das so alltäglich wie nur möglich sein werde, von ernsten Bemühungen um Wohlhabenheit und ihre Genüsse erfüllt, die so einfach und unveränderlich sind wie der Geschmack der Kühle, des Behagens und der friedlichen Tätigkeit. Oh, man verabscheut alles Ungewöhnliche, Anstrengende und Geniale, solange man krank ist, und sehnt sich nach den ewigen, von Mensch zu Mensch gleichen, gesunden Mittelwerten. Steckt darin ein Problem? Mag es warten! Einstweilen ist es die wichtigere Frage, ob in einer Stunde Hühnerbouillon oder schon etwas Erquicklicheres auf den Tisch kommt, und man summt vor sich hin: «Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben …» Das Leben erscheint so sonderbar gerade gebogen; denn, nebenbei bemerkt, auch musikalisch ist man vordem nie gewesen.

      Aber allmählich schritt die Genesung fort, und mit ihr kehrte der böse Geist wieder. Man stellt Beobachtungen an. Gegenüber dem Balkon steht noch immer das grüne Waldzelt eines Berges, man brummt ihm noch immer das dankbare Lied zu, das nun einmal nicht abzuschütteln ist; aber eines Tages nimmt man Kenntnis davon, daß der Wald nicht bloß aus einer Notenfolge, sondern aus Bäumen besteht, die man vor Wald nicht bemerkt hat. Wenn man scharf hinsieht, kann man sogar erkennen, daß diese freundlichen Riesen sich Licht und Boden mit dem Futterneid von Pferden streitig machen. Still stehen sie beisammen, hier vielleicht eine Gruppe Fichten, dort eine Gruppe Buchen; es sieht so natürlich dunkel und hell aus wie gemalt und so moralisch erbaulich wie der schöne Zusammenhalt von Familien, aber in Wahrheit ist es der Abend einer tausendjährigen Schlacht. Gibt es denn nicht gelehrte Kenner der Natur, von denen wir erfahren können, daß die reckenhafte Eiche, heute fast schon ein Sinnbild der Einsamkeit, einst in unabsehbaren Heeren ganz Deutschland überzogen hat? Daß die Fichte, die jetzt alles andere verdrängt, ein später Eindringling ist? Daß irgendwann eine Zeit des Buchenreiches aufgerichtet worden ist, und ein anderes Mal ein Imperialismus der Erlen? Es gibt eine Baumwanderung, wie es eine Völkerwanderung gibt, und wo du einen einheitlichen urwüchsigen Wald siehst, ist es ein Heerhaufen, der sich auf dem erkämpften Schlachthügel befestigt hat; und wo dir gemischter Baumschlag das Bild friedlichen Beisammenseins vorzaubert, sind es versprengte Streiter, zusammengedrängte Reste feindlicher Scharen, die einander vor Erschöpfung nicht mehr vernichten können!

      Immerhin ist das noch Poesie, wenn es auch gerade nicht die des Friedens ist, den wir im Walde suchen; die wahre Natur ist auch darüber schon hinaus. Genese an ihrem Herzen, und du wirst – sofern man dir alle Vorzüge moderner Natur bietet – mit zunehmender Kräftigung eines Tages auch noch die zweite Beobachtung machen, daß ein Wald meistens aus Bretterreihen besteht, die oben mit Grün verputzt sind. Das ist keine Entdeckung, sondern nur ein Eingeständnis; ich vermute, man könnte den Blick gar nicht ins Grün tauchen, wenn es nicht schon mit schnurgeraden Spalten dafür angelegt wäre. Die schlauen Förster sorgen bloß für ein wenig Unregelmäßigkeit, für irgendeinen Baum, der hinten etwas aus der Reihe tritt, um den Blick abzufangen, einen querlaufenden Schlag oder einen gestürzten Stamm, den man sommersüber liegen läßt. Denn sie haben ein feines Gefühl für die Natur und wissen, daß man ihnen nicht mehr glauben möchte. Urwälder haben etwas höchst Unnatürliches und Entartetes. Die Unnatur, die der Natur zur zweiten Natur geworden ist, fällt in ihnen in Natur zurück. Ein deutscher Wald macht so etwas nicht.

      Ein deutscher Wald ist seiner Pflicht bewußt, daß man von ihm singen könne: Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben? Wohl den

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