Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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style="font-size:15px;">      Denkmale haben außer der Eigenschaft, daß man nicht weiß, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll, noch allerhand Eigenheiten. Die wichtigste davon ist ein wenig widerspruchsvoll; das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgend etwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Ölbezug-artig an ihnen ab, ohne auch nur einen Augenblick stehenzubleiben. Man kann monatelang eine Straße gehen, man wird jede Hausnummer, jede Auslagenscheibe, jeden Schutzmann am Weg kennen, und es wird einem nicht entgehen, wenn ein Zehnpfennigstück auf dem Gehsteig liegt; aber man ist bestimmt jedesmal sehr überrascht, wenn man eines Tages nach einem hübschen Stubenmädchen ins erste Stockwerk schielt und dabei eine metallene, gar nicht kleine, Tafel entdeckt, auf der in unauslöschlichen Lettern eingegraben steht, daß an dieser Stelle von achtzehnhundertsoundsoviel bis achtzehnhundertundeinigemehr der unvergeßliche Soodernichtso gelebt und geschaffen habe.

      Es geht vielen Menschen selbst mit überlebensgroßen Standbildern so. Man muß ihnen täglich ausweichen oder kann ihren Sockel als Schutzinsel benutzen, man bedient sich ihrer als Kompaß oder Distanzmesser, wenn man ihrem wohlbekannten Platz zustrebt, man empfindet sie gleich einem Baum als Teil der Straßenkulisse und würde augenblicklich verwirrt stehen bleiben, wenn sie eines Morgens fehlen sollten: aber man sieht sie nie an und besitzt gewöhnlich nicht die leiseste Ahnung davon, wen sie darstellen, außer daß man vielleicht weiß, ob es ein Mann oder eine Frau ist.

      Es wäre falsch, sich durch einige Ausnahmen täuschen zu lassen. Etwa durch jene paar Standbilder, die der Mensch mit dem Baedeker in der Hand suchen geht, wie den Gattamelata oder den Colleone, was eben ein ganz besonderes Verhalten ist; oder durch Gedenktürme, die eine ganze Landschaft versperren; oder durch Denkmäler, die einen Verein bilden, wie die über ganz Deutschland verbreiteten Bismarckdenkmäler.

      Solche energischen Denkmäler gibt es; und dann gibt es auch noch solche, die der Ausdruck eines lebendigen Gedankens und Gefühls sind: aber der Beruf der meisten gewöhnlichen Denkmale ist es wohl, ein Gedenken erst zu erzeugen, oder die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Gefühlen eine fromme Richtung zu geben, weil man annimmt, daß es dessen einigermaßen bedarf; und diesen ihren Hauptberuf verfehlen Denkmäler immer. Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerkten sie nicht; man müßte sagen, sie entmerken uns, sie entziehen sich unseren Sinnen: es ist eine durchaus positive, zur Tätlichkeit neigende Eigenschaft von ihnen!

      Nun, man kann das ohne Zweifel erklären. Alles Beständige büßt seine Eindruckskraft ein. Alles, was die Wände unseres Lebens bildet, sozusagen die Kulisse unseres Bewußtseins, verliert die Fähigkeit, in diesem Bewußtsein eine Rolle zu spielen. Ein lästiges dauerndes Geräusch hören wir nach einigen Stunden nicht mehr. Bilder, die wir an die Wand hängen, werden binnen wenigen Tagen von der Wand aufgesogen; es kommt äußerst selten vor, daß man sich vor sie hinstellt und sie betrachtet. Bücher, die man, halb gelesen, in die prächtigen Bändereihen der Bibliothek einstellt, liest man nie mehr zu Ende. Ja, es genügt bei empfindlichen Personen, daß sie ein Buch, dessen Anfang ihnen gefallen hat, kaufen, und sie werden es nie wieder in die Hand nehmen. In diesem Fall wird der Vorgang schon aggressiv; man kann seinen unerbittlichen Ablauf aber auch an höheren Gefühlen verfolgen, und dann ist er es immer, zum Beispiel im Familienleben. Dort scheidet sich mit dem Sätze: Muß ich dir denn in jeder Viertelstunde erneut sagen, daß ich dich liebe?! – unzähligemal der feste eheliche Besitz von der flatterhaften Lust. Und in welch erhöhtem Maße müssen sich diese psychologischen Nachteile, denen das Beständige ausgesetzt ist, bei Erscheinungen aus Erz und Marmor geltend machen!

      Wenn man es gut mit Monumenten meint, muß man daraus unerbittlich den Schluß ziehen, daß sie einen wider unsere Natur gerichteten Anspruch an uns stellen und zu seiner Erfüllung ganz besonderer Anstalten bedürfen. Wollte man die Warnungstafel für Kraftwagen so unauffällig einfarbig ausgestalten wie Denkmale, so wäre das ein Verbrechen. Auch die Lokomotiven pfeifen doch schrille und keine versonnenen Klänge, und selbst den Briefkasten gibt man eine anlockende Farbe. Mit einem Wort, auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehn und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen. Wenn man erst diesen Gedanken erfaßt hat – der sich dank gewisser Strömungen des Geistes langsam durchzusetzen beginnt – erkennt man, wie rückständig unsere Denkmalskunst ist, verglichen mit der zeitgenössischen Entwicklung des Anzeigenwesens. Warum greift der in Erz gegossene Held nicht wenigstens zu dem anderwärts längst überholten Mittel, mit dem Finger an eine Glasscheibe zu klopfen? Weshalb drehen sich die Figuren einer Marmorgruppe nicht umeinander, wie es bessere Figuren in den Geschäftsauslagen tun, oder klappen wenigstens die Augen auf und zu? Das mindeste, was man verlangen müßte, um die Aufmerksamkeit zu erregen, wären bewährte Aufschriften wie «Goethes Faust ist der beste!» oder «Die dramatischen Ideen des bekannten Dichters X. sind die billigsten!»

      Leider wollen das die Bildhauer nicht. Sie verstehen, wie es scheint, nicht unser Zeitalter des Lärms und der Bewegung. Wenn sie einen Herrn in Zivil darstellen, so sitzt er reglos auf einem Stuhl oder steht da, die Hand zwischen dem zweiten und dritten Knopf seines Rockes, auch hält er zuweilen eine Rolle in der Hand, und es zuckt keine Miene in seinem Gesicht. Er sieht gewöhnlich aus wie die schweren Melancholiker in den Nervenheilanstalten. Wenn die Menschen nicht für Denkmale seelenblind wären und bemerken könnten, was oben vorgeht, so müßten sie, wenn sie vorbeikommen, das Gruseln haben wie an den Mauern eines Irrenhauses. Noch gruseliger ist es, wenn die Bildhauer einen General oder einen Prinzen darstellen. Die Fahne flattert in der Hand, und es geht kein Wind. Das Schwert ist gezückt, und niemand fürchtet sich davor. Der Arm weist gebieterisch vorwärts, aber kein Mensch denkt daran, ihm zu folgen. Selbst das Pferd, das sich mit sprühenden Nüstern zum Sprung erhoben hat, bleibt auf den Hinterhufen stehen, starr vor Staunen darüber, daß die Menschen unten, statt zur Seite zu treten, ruhig ein Wurstbrot in den Mund stecken oder eine Zeitung kaufen. Bei Gott, Denkmalsfiguren machen keinen Schritt und machen doch immerwährend einen Faux pas. Es ist eine verzweifelte Lage.

      Ich glaube, daß ich mit diesen Ausführungen einiges zum Verständnis von Denkmalsfiguren, Gedenktafeln und dergleichen habe beitragen können. Vielleicht sieht einer oder der andere von nun an jene an, die an seinem Weg stehen. Was aber trotzdem immer unverständlicher wird, je länger man nachdenkt, ist die Frage, weshalb denn, wenn die Dinge so liegen, gerade großen Männern Denkmale gesetzt werden? Es scheint eine ganz ausgesuchte Bosheit zu sein. Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens.

      Der Malsteller

      Wenn man durch mehrere Jahre gezwungen ist, Gemäldeausstellungen zu durchwandern, so muß man eines Tages den Begriff Malsteller erfinden. Er verhält sich zum Maler wie der Schriftsteller zum Dichter. Das Wort bringt Ordnung in verwirrte Erscheinungen. Es leben die Schriftsteller seit Beginn unserer Zeitrechnung von der Umstellung der zehn Gebote Gottes und einigen Fabeln, die ihnen die Antike überliefert hat; die Annahme, daß auch die Malstellerei nur von einigen malerischen Grundeinfällen lebt, ist darum schon im voraus nicht unwahrscheinlich.

      Zehn wären nicht wenig. Denn wenn man zehn Einfälle richtig anwendet, das heißt in wechselnder Anordnung verbindet, so ergibt das, Rechenfehler vorbehalten, Dreimillionensechshundertachtundzwanzigtausendachthundert verschiedene Kombinationen. Jede dieser Kombinationen wäre anders und alles doch immer das gleiche. Der Kenner könnte ein Leben zurücklegen und zählen: Eins-zwei-drei-vier-fünf …, Zwei-eins-drei-vier-fünf …, Drei-zwei-eins-vier-fünf … und so weiter. Freilich wäre der Kenner empört und sähe sich in seinen bedeutenden Fähigkeiten geschädigt.

      Es scheint auch, daß es nach etlichen Hunderttausend den Malstellern selbst zu dumm wird, und sie wechseln dann die «Richtung». Was eine Richtung ist, sieht man auf den

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