Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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aber nur die Folge davon, daß er nicht an erlebten Vorstellungen denken gelernt hat, sondern schon an den von ihnen abgezogenen Begriffen.

      Der Kitsch erweist sich in diesen beiden Fällen als etwas, was das Leben von den Begriffen abblättert. Schichtenweise legt er sie bloß. Je abstrakter er wird, desto kitschiger wird er. Der Geist ist gut, soweit er noch dem Leben standhält.

      Aber was ist Leben?

IV

      Leben ist leben: wer es nicht kennt, dem ist es nicht zu beschreiben. Es ist Freundschaft und Feindschaft, Begeisterung und Ernüchterung, Peristaltik und Ideologie. Das Denken hat neben anderen Zwecken den, geistige Ordnungen darin zu schaffen. Auch zu zerstören. Aus vielen Erscheinungen des Lebens macht der Begriff eine, und ebenso oft macht eine Erscheinung des Lebens aus einem Begriff viele neue. Bekanntlich wollen unsere Dichter nicht mehr denken, seit sie von der Philosophie gehört zu haben glauben, daß man Gedanken nicht denken darf, sondern sie leben muß.

      Das Leben ist an allem schuld.

      Aber um Gottes willen: was ist leben?

V

      Es ergeben sich zwei Syllogismen:

      Die Kunst blättert den Kitsch vom Leben.

      Der Kitsch blättert das Leben von den Begriffen.

      Und: Je abstrakter die Kunst wird, desto mehr wird sie Kunst.

      Je abstrakter der Kitsch wird, desto mehr wird er Kitsch.

      Das sind zwei herrliche Syllogismen. Wer sie auflösen könnte!

      Nach dem zweiten scheint es, daß Kitsch = Kunst ist. Nach dem ersten aber ist Kitsch = Begriff – Leben, Kunst = Leben – Kitsch = Leben – Begriff + Leben zwei = Leben – Begriff. Nun ist aber, nach II, Leben = 3 x Kitsch und daher Kunst = 6 x Kitsch – Begriff.

      Also was ist Kunst?

VI

      Wie gut hat es ein schwarzer Husar. Die schwarzen Husaren haben geschworen, zu siegen oder zu sterben, und gehen in dieser Uniform einstweilen zur Freude aller Frauen spazieren. Das ist keine Kunst. Das ist das Leben!

      Warum behauptet man aber dann, es sei nur ein lebendes Bild?

      Türen und Tore

      Türen gehören der Vergangenheit an, wenngleich bei Bauwettbewerben Hintertüren noch vorkommen sollen.

      Eine Türe besteht aus einem rechteckigen, in die Mauer eingelassenen Holzrahmen, an dem ein drehbares Brett befestigt ist. Dieses Brett läßt sich gerade noch zur Not verstehen. Denn es soll leicht sein, damit man es gut bewegen kann, und es paßt zu dem Eichen-oder Nußgehölz, das bis vor kurzem in jedem ordentlichen Familienzimmer angepflanzt worden ist. Dennoch hat auch dieses Brett schon das meiste von seiner Bedeutung eingebüßt. Noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man an ihm horchen, und welche Geheimnisse erfuhr man bisweilen! Der Graf hatte seine Stieftochter enterbt, und der Held, der sie heiraten sollte, hörte gerade noch rechtzeitig, daß man ihn vergiften wolle. Das sollte einer in einem zeitgenössischen Haus versuchen! Ehe er dazu käme, an der Tür zu horchen, hätte er alles schon längst durch die Wände erfahren. Ja, nicht nur das: schon der leiseste Gedanke wäre ihm nicht entgangen. Warum hat sich noch kein Rundfunkdichter des modernen Betonbaus bemächtigt?! Er ist die Schicksalsbühne für das Hörspiel!

      Noch viel unzeitgemäßer als die Tür selbst ist ihr Rahmen. Blickt man bei geöffneten Türen durch eine Zimmerflucht, so glaubt man den Angsttraum eines Fußballstürmers zu erleben, dem ein Tor hinter dem andern entgegentritt. Es gibt auch eine Sorte von Galgen, an die es erinnert. Warum macht man so etwas? Technisch ließe sich ein gutes Schließen auch ohne diese Pfähle erreichen; sie sind wahrhaftig nur da, um das Auge zu erfreuen. Dem Auge erschiene es, wie man annimmt, kahl, wenn die Tür an die Mauer oder an ein unsichtbares Metallband schlösse. Das wäre für das gebildete Auge nicht anders, als wenn zwischen Hand und Ärmel keine Stulpe hervorguckte. Und wirklich haben diese Türrahmen auch eine ähnliche Geschichte wie die Röllchen. Als die Zimmer noch gewölbt wurden, kannte man sie nicht; die Türe drehte sich um zwei schöne, schmiedeeiserne Mauerhaken. Später lernte man flache Decken bauen, und sie wurden von schweren Holzbalken getragen; mit Stolz auf das Neue zeigte man diese Balken, verkleidete die Felder zwischen ihnen auch noch mit Holz, und es entstanden die schönen getäfelten Decken. Noch später versteckte man die Balken unter einer Stuckdecke, aber an den Türen ließ man ein Rändchen von Holz hervorschauen. Schließlich baut man heute Eisenbeton-statt Ziegelwände, aber das hölzerne Rändchen, von nirgendwo kommend, angeklebt, einsam, sinnlos, nur mit dem Fensterrahmen verschwistert, muß die Sitte wahren. Ist das nicht aufs Haar genau die Geschichte des Hemdes, das zuerst in einem breit dem Auge geöffneten Ausschnitt der Kleidung und mit Hals-und Handkrause begann? Dann verschwand es unter dem Rock, aber Kragen und Stulpe ragten noch aus dem Anzug. Dann trennten sich Kragen und Stulpe vom Hemde ab, und zum Schluß, ehe wieder ein Wandel zum Besseren eintrat, wurden Kragen und Röllchen einsame Symbole der Kultur, die man, um zu zeigen, was sich gehöre, an irgendeine geheime Unterlage knöpfte.

      Es sei diese Entdeckung, daß Holztüren Röllchen sind, dem berühmten Architekten gewidmet, der herausgefunden hat, daß der Mensch, da er auf der Klinik geboren wird und im Spitale stirbt, auch seine Lebensräume mit aseptischer Nüchternheit ausfüllen müsse. Man nennt so etwas ungezwungene Entwicklung des Bauens aus dem Geist der Zeit; aber offenbar ist es in der Gegenwart etwas schwierig. Der Mensch früherer Zeiten, Schloßherr wie Städter, lebte in seinem Haus; seine Stellung im Leben zeigte sich darin an, speicherte sich dort auf. Man empfing noch in der Biedermeierzeit bei sich; heute macht man das bloß nach. Das Haus hat dem gedient, was man scheinen wollte, und dafür ist immer Geld übrig; heute sind aber andere Dinge da, die diesen Zweck erfüllen: Reisen, Automobile, Sport, Winteraufenthalte, Appartements in Luxushotels. Die Phantasie des Zeigens, was man ist, geht in dieser Richtung, und wenn ein reicher Mann sich nun trotzdem ein Haus baut, so bleibt etwas Künstliches daran, etwas Privates, das keine Erfüllung einer allgemeinen Sehnsucht mehr ist. Und wie soll es erst Türen geben, wenn es kein «Haus» gibt?! Die einzig originelle Tür, die unsere Zeit hervorgebracht hat, ist die gläserne Drehtür des Hotels und des Warenhauses.

      Die Tür hat früher als Teil für das Ganze das Haus vertreten, so wie das Haus, das man besaß, und das Haus, das man machte, die Stellung des Besitzers zeigen sollten. Die Tür war ein Eingang zu einer Gesellschaft von Bevorzugten, die sich dem Ankömmling, je nachdem, wer er war, öffnete oder verschloß, was gewöhnlich schon sein Schicksal entschied. Ebenso gut eignete sie sich aber auch für den kleinen Mann, der außen nicht viel zu bestellen hatte, jedoch hinter seiner Tür sofort den Gottvaterbart umhängte. Sie war darum allgemein beliebt und erfüllte eine lebendige Aufgabe im allgemeinen Denken. Die vornehmen Leute öffneten oder verschlossen ihre Türen, und der Bürger konnte mit ihnen außerdem ins Haus fallen. Er konnte sie auch offen einrennen. Er konnte zwischen Tür und Angel seine Geschäfte erledigen. Konnte vor seiner oder einer fremden Tür kehren. Er konnte jemand die Tür vor der Nase zuschlagen, konnte ihm die Tür weisen, ja, er konnte ihn sogar bei der Tür hinauswerfen: das war eine Fülle von Beziehungen zum Leben, und sie zeigen jene treffliche Mischung von Realistik und Symbolik, welche die Sprache nur aufbringt, wenn uns etwas sehr wichtig ist.

      Diese großen Zeiten der Türen sind vorbei! Es ist sehr empfindungsvoll, jemand zuzurufen, daß man ihn zur Türe hinauswerfen werde, aber wer hat je wirklich einen hinaus«fliegen» gesehen? Wenn es selbst manchmal versucht wird, so hat der Vorgang doch selten mehr die großartige Einseitigkeit, die seinen Reiz ausmacht, denn die Kompetenzen und Kräfte sind heute verworren. Man schlägt auch niemand mehr die Tür vor der Nase zu, sondern nimmt schon die telephonische Anmeldung seines Besuches nicht entgegen; und vor seiner eigenen Tür zu kehren, ist eine unverständliche Zumutung geworden. Das sind längst undurchführbare Redensarten, sind nur noch freundliche Einbildungen, die uns mit Wehmut beschleichen, wenn wir alte

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