Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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war.

      Vielleicht auch ein wenig deshalb, weil sich hinter der Trauergesellschaft die Buben pufften. Oder weil der aufrechte junge Herr, dem der Hund gehörte, über aller Köpfe hinweg so regungslos nach den heiligen Handreichungen sah, daß man nicht wußte, warum. Einfach so ängstlich voll von Tatsachen, die nicht recht feststanden, war alles wie ein Porzellanschrank. Und wirklich konnte ich kaum noch an mich halten, wußte aber auch nicht, wohin ich mich wenden sollte, als ich, wohl durch Zufall, inmitten der Menge wieder gewahr wurde, daß der hochergriffene junge Mann eine Hand am Rücken hielt und sein großer brauner Hund mit ihr zu spielen begann. Scherzend biß er an ihr herum und suchte sie mit seiner warmen Zunge aufzuwecken. Mit Spannung wartete ich nun ab, was sich daraus entwickeln werde. Und endlich nach geraumer Zeit, während die ganze Gestalt des jungen Mannes in unbestimmter Erhebung erstarrt blieb, machte sich die Hand hinter dem Rücken los und selbständig und begann mit dem Maul des Hundes zu spielen, ohne daß es ihr Herr wußte.

      Das rückte mir die Seele wieder ins Lot, ohne daß es ein ausreichender Grund war. Sie geriet damals, in jener Umgebung, worin ich mich auszuharren zwang, leicht auch dann in Unordnung oder Ordnung, wenn kaum eine Ursache dazu vorhanden war. Angenehm-unangenehm durchströmte mich die Erwartung des Händedrucks, den mir nach dem Begräbnis meine Hausgenossinnen anbieten werden, zusammen mit einem Gläschen von ihrem verdächtigen Hausschnaps und einigen ordentlichen Worten, denen nicht zu widersprechen ist: – vielleicht, daß das Unglück die Menschen einander näherbringe, oder so ähnlich.

      Mädchen und Helden

      Wie schön seid ihr, Dienstmädchen mit den Bauernbeinen und den ruhigen Augen, von denen man nicht weiß, wundern sie sich über alles oder über nichts?! Ihr führt den Hund der Herrschaft an der Leine wie die Kuh am Strick. Denkt ihr daran, daß jetzt im Dorf die Glocken läuten, oder denkt ihr daran, daß jetzt das Kino beginnt? Sicher ist es nur, ihr fühlt auf eine geheimnisvolle Weise, daß mehr Männer zwischen zwei Ecken der Stadt leben als auf dem ganzen Land, und ihr geht in jedem Augenblick durch diese Männlichkeit, wenn sie euch auch nicht gehört, wie durch ein Kornfeld, das an die Röcke streift.

      Aber denkt ihr daran, während eure Augen tun, als wüßten sie nichts, daß es ein Mann ist, den ihr an der Leine führt? Oder bemerkt ihr in keiner Weise, daß Lux ein Mann ist, daß Wolf und Amri Männer sind? Tausend Pfeile durchbohren ihr Herz bei jedem Baum oder Lichtmast. Männer ihres Geschlechts haben als ihr Zeichen den messerscharfen Geruch des Ammoniaks hinterlassen, als hätte man Schwerter in einen Baum gestoßen; Kämpfe und Brüderschaften, Heldentum und Neigung, die ganze heroische Welt des Mannes entfaltet sich vor ihrer schnuppernden Vorstellungskraft! Wie heben sie das Bein mit der freien Gebärde eines kriegerischen Grußes oder dem heldischen Schwung eines mit dem Bierglas grüßenden Arms beim Kommers! Mit welchem Ernst verrichten sie ihren Dienst, der ein Trank-und Weiheopfer ist wie nur irgend eines! Und ihr, Mädchen? Verständnislos zieht ihr sie hinter euch drein. Zerrt an der Leine; gönnt ihnen nicht Zeit, ohne euch auch nur umzusehen nach ihnen; achtet ihrer nicht. Es ist ein Anblick, um Steine gegen euch zu erheben.

      Brüder! Auf drei Beinen hüpft hinter diesen Mädchen Lux oder Wolf; zu stolz, zu sehr im Stolzesten verletzt, um nach Hilfe zu heulen; keines anderen Protestes fähig, als das vierte Bein eigensinnig, hartnäckig, in verzweifeltem Abschied nicht sinken zu lassen, während ihn die Leine immer weiter reißt. Welche inneren Hundeerkrankungen mögen aus solchen Augenblicken entstehen, welche verzweifelten neurasthenischen Komplexe liegen in ihnen beschlossen! Und die Hauptsache: fühlt ihr seinen traurig kollegialen Blick, den er euch zusendet, wenn ihr an solcher Szene vorbeikommt? er liebt ja auch in seiner Weise die Seele dieser verständnislosen Mädchen. Sie sind nicht herzlos; ihr Herz möchte sich erbarmen, wenn sie wüßten, was vor sich geht. Aber sie wissen es eben nicht. Und sie sind nicht gerade darum so bezaubernd, diese Trägherzigen, weil sie gar nichts von uns wissen? So spricht der Hund. Sie werden niemals unsere Welt verstehn!

      Pension Nimmermehr

      Es gab einmal eine deutsche Pension in Rom. (Obwohl es außer ihr noch viele andere gegeben hat.) Deutsche Pension, das war damals ein bestimmter Begriff in Italien, der sehr verschiedene Sonderwesen umschloß. Mit Entsetzen denke ich noch heute an eine andere zurück, wo ich einmal gewohnt habe; alles war dort zum Weinen einwandfrei. Aber in der Pension, von der ich hier spreche, war es nicht so. Als ich ins Büro eintrat und zum erstenmal nach dem Herrn des Hauses fragte, antwortete mir seine Mutter: «Oh, der kann jetzt nit komme; der ischt grad über seine Hühnerauge!» Ich will ihn Herrn Nimmermehr nennen. Seine Mutter, Frau Nimmermehr also, war eine von einem gewaltigen Mieder umspannte Matrone, deren Fleisch mit den Jahren ein wenig zurückgegangen war, so daß ihr Korsett rings um sie einen unregelmäßigen Rand in die Luft zeichnete, der von einer Bluse überspannt wurde; irgendwie erinnerte das an einen umgekippten, verloren gegebenen Regenschirm, wie man solche zuweilen an verlassenen Orten findet. Ihr Haar wurde zwischen Ostern und Oktober, das heißt außerhalb der Reisezeit, soweit ich das beobachten konnte, nicht frisiert; während der Saison schien es weiß zu sein. Eine andere ihrer Eigentümlichkeiten bildete es, daß ihr Rock einen ungewöhnlich langen Schlitz besaß, der in der heißen Zeit immer von oben bis unten offen stand. Vielleicht war das kühler; vielleicht war es aber eine Besonderheit des Hauses. Denn auch Laura, das Stubenmädchen, das bei Tisch bediente, legte zu diesem Zweck zwar eine saubere Bluse an, die hinten zu schließen war, aber während der Zeit, die ich in Rom verbrachte, wurden von allen Haken immer nur die zwei untersten benützt, so daß darüber das Hemd und weiterhin Lauras schöner Rücken zu sehen war wie in einem Kelch. Trotzdem waren es vorzügliche Wirte, die Nimmermehr’s; ihre altmodisch luxuriösen Zimmer wurden gut gehalten, und was sie kochten, hatte Grazie. Während des Speisens stand Herr Nimmermehr persönlich als Maître d’hôtel neben der Anrichte und leitete die Bedienung, obgleich diese nur aus Laura bestand. Vorwurfsvoll hörte ich ihn einmal zu ihr sagen: «Herr Meier hat sich selbst einen Löffel und das Salz geholt!» – Laura tuschelte erschrocken: «Hat er etwas gesagt?» – Und Herr Nimmermehr legte die Würde eines königlichen Speisenchefs in die leise Zurückweisung: «Herr Meier sagt nie etwas!» – Zu solcher Höhe des Berufs konnte er sich erheben. Er war, soweit ich mich an ihn erinnere, groß, mager und kahl, hatte einen wässerigen Blick und stachlige Bartfäden, die sich langsam auf und nieder bewegten, wenn er sich mit der Schüssel zu einem Gast neigte, um diesen mit besonnenen Worten auf etwas besonders Schmackhaftes aufmerksam zu machen. Sie hatten einfach ihre Eigenheiten, die Nimmermehr’s.

      Und ich habe mir alle diese Kleinigkeiten aufgeschrieben, weil ich schon damals das Gefühl hatte: es kehrt nicht wieder. Ich will damit beileibe nicht behaupten, daß es besonders selten und kostbar gewesen sei; es hatte nur etwas Besonderes mit Gleichzeitigkeit zu tun, das sich schwer beschreiben läßt. Wenn zwanzig Uhren an einer Wand hängen, und man blickt sie plötzlich an, so hat jedes Pendel eine andere Lage; sie alle sind gleichzeitig und nicht, und die wirkliche Zeit rinnt irgendwo zwischen ihnen durch. Das kann unheimlich wirken. Alle, die wir damals in der Pension Nimmermehr wohnten, hatten dazu unsere besonderen Gründe; wir hatten alle irgendetwas außer der Zeit in Rom zu tun, und da man in der Sommerhitze täglich nur ein kleines Maß davon ausführen konnte, so kamen wir immer wieder in unserem Heim zusammen. Da war zum Beispiel der kleine alte Schweizer Herr, er war da, um die Angelegenheit einer nicht viel größeren protestantischen Sekte zu betreiben, die durchaus gerade im papistischen Rom ein evangelisches Gotteshaus erbauen wollte. Er trug trotz der brennenden Sonne immer einen schwarzen Anzug, und am zweiten Westenknopf von oben war die Uhrkette befestigt, an der, nur wenig tiefer, ein schwarzes Medaillon hing, in das ein goldenes Kreuz eingelassen war. Sein Bart saß richtig links und rechts von ihm; so dünn sproß er aus dem Kinn, daß man seiner erst in einiger Entfernung davon gewahr wurde. Und gegen die Backen zu verlor sich dieser Bart ganz, wie auch die Oberlippe von Natur bartlos war. Die Kopfhaare dieses alten Herrn waren blondgrau und unheimlich weich; und seine Gesichtsfarbe hätte wohl rosig sein können, aber da sie weiß war, war sie gleich so weiß wie frisch gefallener Schnee, in dem eine goldene Brille liegt. Dieser alte Herr sagte einmal, als wir uns alle im Salon unterhielten, zu Mme. Gervais: «Wissen Sie, was Ihnen fehlt? Es fehlt Ihnen ein König in Frankreich!»

      – Ich

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