Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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style="font-size:15px;">      Die Maus

      Diese winzige Geschichte, die eigentlich nur eine Pointe, eine einzige kleine Spitze ist, und gar keine Geschichte, ereignete sich im Weltkrieg. Auf der ladinischen Alpe Fodara Vedla, tausend und mehr Meter über bewohnter Gegend und noch viel weiter abseits von ihr: Dort hatte jemand im Frieden eine Bank hingestellt.

      Diese Bank stand auch im Krieg unversehrt. In einer weiten, hellen Mulde. Die Schüsse zogen über sie hin. Ruhig wie Schiffe, wie Scharen von Fischen. Sie schlugen weit hinten ein, wo nichts und niemand war, und verwüsteten dort mit eiserner Beharrlichkeit seit Monaten einen unschuldigen Abhang. Niemand wußte mehr warum. Ein Irrtum der Kriegskunst? Eine Laune der Kriegsgötter? Diese Bank war dem Krieg in Verlust geraten. Und die Sonne schickte den ganzen Tag Licht aus unendlichen Höhen ihr zur Gesellschaft.

      Wer auf dieser Bank saß, saß fest. Der Mund ging nicht mehr auf. Die Glieder schliefen einen getrennten Schlaf wie Männer, die sich eng beisammen niedergeworfen und einander im gleichen Augenblick todmüd vergessen haben. Selbst das Atmen ward fremd; wurde ein Vorgang der Natur; nein, wurde nicht «Atem der Natur», sondern: wenn man bemerkte, daß man atme, – diese gleichmäßige, willenlose Bewegung der Brust! – etwas der Ohnmacht des Menschen vom blauen Ungeheuer Luft Angetanes wie eine Schwangerschaft.

      Das Gras ringsum war noch vom Jahr vorher; schneebleich und häßlich; so blutleer, als ob man einen großen Stein davon weggewälzt hätte. In Nähe und Ferne gab es Buckel und Mulden ohne Sinn und Zahl, Knieholz und Alpe. Aus dieser bewegungslosen Unruhe, von dieser zu gelbgrünem Schaum zerfallenen Brandung des Bodens wurde der Blick immer wieder an dem hohen, roten Felsenriff emporgeworfen, das die Landschaft vorne abschloß, und rann, in hundert Blicke zersplittert, davon wieder ab. Es war nicht übermäßig hoch, dieses Felsstück, aber darüber war nur noch das leere Licht. So wüst war das und so unmenschlich herrlich wie in den Schöpfungszeitaltern.

      Eine kleine Maus hatte sich nahe der Bank, die selten besucht wurde, ein System von Laufgräben angelegt. Maustief, mit Löchern zum Verschwinden und anderswo wieder aufzutauchen. Sie huschte darin im Kreise, stand, huschte im Kreis weiter. Aus dem Grollen der Luft tauchte eine ungeheure Stille auf. Die Menschenhand sank von der Lehne der Bank. Ein Auge, so klein und schwarz wie ein Spennadelknopf richtete sich dahin. Und man hatte einen Augenblick lang ein so sonderbar verkehrtes Gefühl, daß man wirklich nicht mehr recht wußte, ob sich dieses kleine, lebendige, schwarze Auge drehe oder ob sich die ungeheure Unbeweglichkeit der Berge rühre. Man wußte nicht mehr: vollzog sich an einem der Wille der Welt oder der dieser Maus, der aus einem winzigen, einsamen Auge leuchtete. Man wußte nicht mehr: war Kampf oder herrschte schon Ewigkeit.

      So hätte sich mit dem, was man nicht zu kennen fühlte, lange und nach Belieben fortfahren lassen; aber das ist schon die ganze kleine Geschichte, denn sie war inzwischen jedesmal schon zu Ende gegangen, ehe man noch genau sagen konnte, wo sie aufhörte.

      Hellhörigkeit

      Ich habe mich vorzeitig zu Bett gelegt, ich fühle mich ein wenig erkältet, ja vielleicht habe ich Fieber. Ich sehe die Zimmerdecke an, oder vielleicht ist es der rötliche Vorhang über der Balkontür des Hotelzimmers, was ich sehe; es ist schwer zu unterscheiden.

      Als ich gerade damit fertig war, hast auch du angefangen, dich auszukleiden. Ich warte. Ich höre dich nur.

      Unverständliches Auf-und Abgehn; in diesem Teil des Zimmers, in jenem. Du kommst, um etwas auf dein Bett zu legen; ich sehe nicht hin, aber was könnte es sein? Du öffnest inzwischen den Schrank, tust etwas hinein oder nimmst etwas heraus; ich höre ihn wieder schließen. Du legst harte, schwere Gegenstände auf den Tisch, andre auf die Marmorplatte der Kommode. Du bist unablässig in Bewegung. Dann erkenne ich die bekannten Geräusche des Öffnens der Haare und des Bürstens. Dann Wasserschwälle in das Waschbecken. Vorher schon das Abstreifen von Kleidern; jetzt wieder; es ist mir unverständlich, wieviel Kleider du ausziehst. Nun bist du aus den Schuhen geschlüpft. Danach aber gehn deine Strümpfe auf dem weichen Teppich ebenso unablässig hin und her wie vordem die Schuhe. Du schenkst Wasser in Gläser; drei-, viermal hintereinander, ich kann mir gar nicht zurechtlegen, wofür. Ich bin in meiner Vorstellung längst mit allem Vorstellbaren zu Ende, während du offenbar in der Wirklichkeit immer noch etwas Neues zu tun findest. Ich höre dich das Nachthemd anziehn. Aber damit ist noch lange nicht alles vorbei. Wieder gibt es hundert kleine Handlungen. Ich weiß, daß du dich meinethalben beeilst; offenbar ist das alles also notwendig, gehört zu deinem engsten Ich, und wie das stumme Gebaren der Tiere vom Morgen bis zum Abend ragst du breit, mit unzähligen Griffen, von denen du nichts weißt, in etwas hinein, wo du nie einen Hauch von mir gehört hast!

      Zufällig fühle ich es, weil ich Fieber habe und auf dich warte.

      Slowenisches Dorfbegräbnis

      Mein Zimmer war sonderbar. Pompejanisch rot mit türkischen Vorhängen; die Möbel hatten Risse und Fugen, in denen sich der Staub wie kleine Geröllrinnen und -bänder hinzog. Es war feiner Staub, unwirkliche Verkleinerung von Geröll; aber er war so ungeheuer einfach da, und in kein Geschehen mehr verflochten, daß er an die große Einsamkeit des Hochgebirges erinnerte, die nur vom Steigen und Sinken der Flut des Lichts und der Dunkelheit bespült wird. Von solchen Erlebnissen hatte ich damals viele.

      Als ich das Haus zum erstenmal betrat, war es ganz vom Gestank toter Mäuse erfüllt. In das gemeinsame Vorzimmer, das mein Zimmer von dem der Lehrerinnen trennte, warfen diese alles, was sie nicht mehr liebten oder des Aufhebens nicht mehr für wert hielten: künstliche Blumen, Speisereste, Fruchtschalen und zerrissene schmutzige Wäsche, die das Reinigen nicht mehr lohnte. Sogar mein Diener beklagte sich, als ich ihn Ordnung schaffen hieß; und doch war die eine von ihnen schöner als ein Engel, und ihre ältere Schwester war zärtlicher als eine Mutter und malte ihr die Wangen täglich mit naiven Rosenfarben, damit ihr Antlitz auch noch so schön sei wie das der Bauernmuttergottes in der kleinen Kirche. Von den kleinen Schulmädchen, die oft zu uns kamen, wurden beide geliebt; und ich lernte das verstehen, als ich einmal erkrankt war und selbst ihrer beider Güte wie warme Kräuterkissen zu fühlen bekam. Als ich aber einmal ihr Zimmer untertags betrat, um etwas zu verlangen, denn sie waren die Vermieter, lagen sie beide im Bett, und als ich mich zurückziehen wollte, sprangen sie hilfsbereit aus den Decken hervor und waren völlig bekleidet; sogar die schmutzigen Straßenschuhe hatten sie im Bett an den Füßen behalten.

      Das also war die Wohnung, worin ich stand, als ich dem Begräbnis zusah; eine dicke Frau war gestorben, die schräg meinen Fenstern gegenüber auf der anderen Seite der breiten, hier etwas ausgebuchteten Reichsstraße gelebt hatte. Am Vormittag brachten die Schreinerjungen den Sarg; es war Winter, und sie brachten ihn auf einem kleinen Handschlitten, und weil es ein schöner Vormittag war, schlitterten sie mit ihren Nagelschuhen auf der Straße daher, und die große schwarze Schachtel hinter ihnen sprang von einer Seite zur anderen. Jeder, der es sah, hatte das Gefühl, was für hübsche Jungen das wären, und wartete neugierig ab, ob der Schlitten umwerfen werde oder nicht.

      Nachmittags aber stand schon das letzte Geleite vor dem Haus: Zylinder und Pelzmützen, modische Hüte und winterliche Kopftücher dunkel gegen das lichte Schneegrau des Himmels. Und die Geistlichkeit kam, schwarz und rot, und gezackte weiße Hemdchen darüber, quer über den Schnee. Und ein junger, großer, zottiger, brauner Hund sprang ihr entgegen und bellte sie an wie einen Wagen. Und wenn man so sagen darf, hatte er damit keine ganz falsche Beobachtung ausgedrückt; denn wirklich war in diesem Augenblick nicht sowohl Heiliges, noch selbst Menschliches, in den Nahenden, als vielmehr nur die schwierige Bewegung der mechanischen Seite ihrer Existenz auf dem glatten Straßenbelag.

      Dann aber wurde es überirdisch. Ein ruhiger Baß stimmte ein wunderholdes, trauriges Lied an, in dem ich nur die fremden Worte für Süße Maria verstand, ein hellbraun wie Kastanien schimmernder Bariton fiel ein, und noch eine Stimme, und ein Tenor schwang sich über alle hinweg, während zu gleicher Zeit aus dem Haus ohne Ende Frauen mit schwarzen Tüchern quollen,

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