Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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sie durchs Zimmer ging, die Arme mit den Handrücken nach vorn hängen, hatte den breiten Buckel und Bauch einer Matrone und beschönigte das Leben nicht mehr. Wenn man sie, vom Forschungstrieb geplagt, fragte, ob ihre große schwarze Katze Michette denn eigentlich ein Kater oder ein Weib sei, sah sie einen nachdenklich an und meinte philosophisch: «Oh je, das kanma gar nicht sage; die is ein Kaschtrath!» – In jüngeren Jahren hatte Frau Nimmermehr’s Herz einen einheimischen Freund besessen, Sor Carlo, und wo immer man sich in Frau Nimmermehr’s Bereich bewegte, konnte man am Ende einer Perspektive von Türrahmen Sor Carlo sitzen sehen. Zwischen Ostern und Oktober, versteht es sich; denn er war ein Wrack, und selbst jetzt, außer der Saison, war sein Dasein das eines allen Mitbewohnern zwar bekannten, aber öffentlich nicht zugegebenen Gespenstes. Er saß immer an irgendeiner Wand, reglos, in einem schmutzigen hellen Anzug, die Beine wie Säulen gleich dick von oben bis unten, das edle Gesicht mit dem schwarz gefärbten Cavour-Bart von Fett und Leiden entstellt. Nur wenn ich nachts nach Haus kam, sah ich ihn in Bewegung. Wenn alle Augen, die ihn beaufsichtigten, schliefen, schleppte er sich stöhnend durch die Gänge, von Bank zu Bank, und kämpfte mit Atemkrämpfen. Da lebte er sich aus. Ich versäumte nie, ihn zu grüßen, und er dankte mir mit Würde. Ich weiß nicht, ob er für das Gnadenbrot dankbar war, das ihm Frau Nimmermehr gab, oder ob er gegen ihren Undank protestierte und aus gekränkter Würde tagsüber mit offenen Augen zu schlafen schien. Es verriet auch nichts, wie Frau Nimmermehr für ihren alten Sor Carlo empfand. Man darf wahrscheinlich annehmen, daß sie die schöne Ausgeglichenheit des Alters schon längst der Wichtigkeit überhoben hatte, die ein jüngerer Mensch solchen Dingen beimißt. Wenigstens traf ich sie einmal in ihrem Büro mit Sor Carlo an: Sor Carlo saß an der Wand und hatte seinen schlafenden Blick durch die gegenüber befindliche Wand ins Unendliche gerichtet, und Frau Nimmermehr saß am Tisch und hatte ihren Blick durch die offene Tür ins Dunkle gerichtet. Diese beiden Blicke gingen, von ungefähr einem Meter Raum getrennt, parallel aneinander vorbei, und unter diesem Blickstreifen saß neben dem Tischbein Michette, die Katze, mit den beiden Hunden des Hauses. Der blonde Spitz Maik, mit dem zarten, ausfallenden Haar, und der beginnenden Altersdarre im Rücken, versuchte an Michette etwas, das Hunde sonst nur an Hunden tun, und der dicke rotblonde Spitz Ali kaute indessen gutmütig an ihrem Ohr; niemand verwehrte es, Michette nicht, und die beiden alten Menschen nicht.

      Wer dem bestimmt gewehrt hätte, wäre Miß Frazer gewesen; aber es ist anzunehmen, daß sich Maik in ihrer Gegenwart so etwas gar nicht erlaubt hätte. Miß Frazer saß jeden Abend in unserem Salon auf der Kante eines Fauteuils; den Oberkörper hatte sie brettgerade zurückgelehnt, so daß er die Stuhllehne nur am obersten Rand berührte, und die Beine ungebogen so von sich gestreckt, daß sie die Erde nur mit den Hacken berührten; in dieser Stellung häkelte sie. Wenn sie damit fertig war, setzte sie sich an den ovalen Tisch, mitten in unsere Gespräche hinein, und schrieb ihre tägliche Lektion. Wenn diese beendet war, legte Miß Frazer mit schnellen Fingern zwei Patiencen. Und wenn die Patiencen aufgegangen waren, sagte sie Good Night und verschwand. Dann war es zehn Uhr. Eine Abweichung davon gab es nur, wenn einer von uns in dem tropisch glühenden Salon ein Fenster öffnete; dann stand Miß Frazer auf und schloß es wieder. Wahrscheinlich vertrug sie den Luftzug nicht. Wir erfuhren ebenso wenig den Grund, wie wir den Inhalt ihrer täglichen Lektion kannten oder den Gegenstand ihrer Handarbeit. Miß Frazer war ein altes englisches Fräulein; ihr Profil war ritterlich und scharf wie das eines Edelmannes, ihr Anblick von vorn dagegen rund und rot wie der eines Apfels, mit einer liebenswürdigen Beimischung von Mädchenhaftigkeit unter ihren weißen Haaren. Ob sie auch liebenswürdig gesinnt war, wußte niemand. Außer den unvermeidlichen Höflichkeiten wechselte sie mit uns kein Wort. Vielleicht verachtete sie unser Nichtstun, unsere Geschwätzigkeit und unsere Unmoral. Nicht einmal den Schweizer, der schon seit sechshundert Jahren Republikaner war, würdigte sie einer Vertraulichkeit. Sie wußte alles von uns, weil sie immer in der Mitte saß, und war der einzige Mensch, von dem wir nicht wußten, warum er da war. Alles in allem, mit ihrer Häkelarbeit, ihrer Lektion und dem Lächeln eines roten Apfels, wäre sie sogar imstande gewesen, nur zum Vergnügen da zu sein und unsere Gesellschaft zu teilen.

      II. Unfreundliche Betrachtungen

      Schwarze Magie

I

      Da die russischen Kleinkunsttheaterchen sie uns vorgeführt haben, scheint es diese schwarzen Husaren, diese Totenkopfhusaren, diese Arditi und Kopaljäger in allen Armeen der Erde zu geben. Sie haben einen Schwur getan, zu siegen oder zu sterben, und lassen sich eine schwarze Uniform machen, mit weißen Verschnürungen darauf, die wie die Rippen des Todes aussehen; in welcher Verkleidung sie zur Freude aller Frauen bis an ihr friedliches Ende spazieren gehen, falls kein Krieg kommt. Sie leben von gewissen Liedern mit düsterer Begleitung, die ihnen einen dunklen Glanz leihen, der sich vorzüglich zur Schlafzimmerbeleuchtung eignet.

      Als der Vorhang aufging, saßen sieben solcher Husaren auf der kleinen Bühne; es war ziemlich dunkel, und bei den Fenstern schien der helle Schnee herein. Sie waren mit ihren schwärzlichen Uniformen und ihren schmerzlich aufgestützten Köpfen hypnotisch in dem ungewissen Licht verteilt und begleiteten in einem kohlschwarzen, leuchtenden Pianissimo einen laut singenden Kameraden. «Hört die Pferde, unsre Erde, stampfen mit den Hufen», sangen sie bis zum unvermeidlichen «kehrt dein Glück, nicht zurück, wenn die Schwalben wandern –»

II

      Eine rätselvolle Seele fragte sich: Wenn das ein gemaltes Bild wäre, so hätte man ein Schulbeispiel von Kitsch vor sich. Wenn das ein «lebendes Bild» wäre, so würde man die versunkene Sentimentalität eines einst beliebt gewesenen Gesellschaftsspiels vor sich haben, also etwas, das zur Hälfte Kitsch, zur andern Hälfte aber traurig wie ein eben verklungenes Glockenspiel ist. Doch da es nun ein singendes lebendes Bild ist, was ist es da? Es liegt wohl über diesen Spielereien der trefflichen russischen Emigranten ein Glanz wie von Zuckerfluß, aber man lächelt bloß nachsichtig, während man gewiß vor einem Ölbild gleicher Art raste: Sollte es möglich sein, daß der Kitsch, wenn ihm eine und dann zwei Dimensionen des Kitsches zuwachsen, erträglicher und immer weniger kitschig wird?

      Es ist nicht anzunehmen und nicht zu leugnen.

      Wie aber ist es dann, wenn dem Kitschigen noch eine Dimension mehr zuwächst und es volle Wirklichkeit wird? Sind wir nicht in Unterständen gesessen, für morgen lag etwas in der Luft, und ein Kamerad begann zu singen? Ach, es war schwermütig. Und es war Kitsch. Aber es war ein Kitsch, der nur noch als eine Traurigkeit mehr mit in der Traurigkeit lag, als eine uneingestandene Unlust an dieser aufgezwungenen Kameraderie. Im Grunde hätte man manches fühlen können in dieser jahrelangen letzten Stunde, und der Druck der Todesvorstellung mußte nicht gerade ein Öldruck sein.

      Ist also die Kunst nicht ein Mittel, um den Kitsch vom Leben abzublättern? Schichtenweise legt sie ihn bloß. Je abstrakter sie wird, desto durchsichtiger wird die Luft. Je weiter sie sich vom Leben entfernt, desto klarer wird sie? Welche Verkehrtheit ist es zu behaupten, das Leben sei wichtiger als die Kunst! Das Leben ist gut, soweit es der Kunst standhält: was nicht kunstfähig am Leben ist, ist Kitsch!

      Aber was ist Kitsch?

III

      Der Dichter X. wäre in einer noch etwas schlechteren Zeit ein beliebter Familienblatterzähler geworden. Er hätte dann vorausgesetzt, daß das Herz auf bestimmte Situationen immer mit den gleichen bestimmten Gefühlen antwortet. Der Edelmut wäre in der bekannten Weise edel, das verlassene Kind beweinenswert und die Sommerlandschaft herzstärkend gewesen. Es ist zu bemerken, daß sich damit zwischen den Gefühlen und den Worten eine feste, eindeutige, gleichbleibende Beziehung eingestellt hätte, wie sie das Wesen des Begriffs ausmacht. Der Kitsch, der sich so viel auf das Gefühl zugute tut, macht also aus Gefühlen Begriffe.

      Nun ist aber X. infolge der Zeitumstände statt guter Familienblatterzähler schlechter Expressionist geworden. Als solcher stellt er geistige Kurzschlüsse her. Er ruft Mensch, Gott, Geist, Güte, Chaos und spritzt aus solchen Vokabeln gebildete Sätze aus. Wenn er die volle Vorstellung oder wenigstens die volle Unvorstellbarkeit mit ihnen verbände, so könnte er das gar nicht tun. Aber die Worte sind lang vor ihm in Büchern und Zeitungen schon sinnvolle und

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