Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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in die Bedürfnisse einer Zeitung zu schicken hätten. Er aber müßte erwidern, daß er sich darauf nicht verstehe; und ebenso könnte er in Bühnenvertrieben, Buchgemeinderäten und anderen Kulturgenossenschaften nur eine berechtigte Mißstimmung erregen. Denn man will ihm überall wohl und hat, da er sich weder für Kassenstücke, noch Unterhaltungsromane, noch Tonfilme eignet, das dunkle Gefühl, wenn man all das zusammentue, was dieser Mann nicht könne, so bleibe vielleicht wirklich nur übrig, daß er eine ungewöhnliche Begabung sei. Aber dann kann man ihm eben auch nicht helfen, und man müßte kein Mensch sein, wenn man ihm das schließlich nicht übelnähme, um Ruhe vor ihm zu haben.

      Als einmal ein solches Gespenst verdurstet um die Einnahmequellen Berlins strich, gab dem ein junger, behender, prangender Schriftsteller, der die entlegensten Verdienstmöglichkeiten bemeisterte und darum das Gefühl hatte, daß er es auch nicht leicht habe, erschüttert mit den Worten Ausdruck: Herrgott, wenn ich so viel Talent hätte wie dieser Esel, was würde ich damit anfangen! Er irrte sich.

      Unter lauter Dichtern und Denkern

      Es heißt, die Bücher hätten heute keine Größe und die Schriftsteller vermöchten große nicht mehr zu schreiben. Das mag unbestritten bleiben; aber wie wäre es, den Satz einmal umzukehren und die Annahme zu erproben, die deutschen Leser vermöchten nicht mehr zu lesen? Wächst nicht mit der Länge des Gelesenen, vornehmlich wenn dieses wirklich eine Dichtung ist, in steigenden Potenzen ein bis dahin unaufgeklärter Widerstand, der nicht das gleiche wie Mißfallen ist? Es geschieht nicht anders, als ob die Pforte, durch die ein Buch eintreten soll, krankhaft gereizt wäre und sich eng verschlösse. Viele Menschen befinden sich heute, wenn sie ein Buch lesen, in keinem natürlichen Zustand, sondern fühlen sich einer Operation unterworfen, in die sie kein Vertrauen haben.

      Forscht man der Quelle nach und lauscht den Gesprächen darüber, so erfährt man, daß der Leser – der gute Leser, der kein Buch von Bedeutung ausläßt und der die Genies des Tages und des Zeitalters ernennt! – man erfährt, daß selbst dieser Leser meistens treulos bereit zu dem Zugeständnis ist, sofern er nur auf starken Widerstand stößt, daß, wirklich ernst genommen, das von ihm begünstigte Genie vielleicht kein Genie sei und daß es wirkliches Genie heute wohl überhaupt nicht gebe. Diese Erfahrung ist aber keineswegs nur auf die Schöne Literatur beschränkt. Auch daß die Medizin sich verfahren, die Mathematik sich verstiegen habe, der Philosophie der Begriff ihres Tuns verloren gegangen sei: an allen Ecken und Enden läßt sich der Laie heute so über den Fachmann vernehmen. Und da auch jeder Fachmann in Hunderten anderer Fächer Laie ist, ergibt das eine sehr große Summe übler Meinung.

      Nun ist es natürlich schwer, auf den Zentimeter genau zu sagen, wie groß die vorhandenen Dichter, Denker und Forscher sind; aber darum handelt es sich auch gar nicht bei dieser Erscheinung, denn es stellt sich alsbald heraus, daß sie in ihrem Aufbau dem des bekannten alten Kinderspiels «Schwarzer Peter» gleicht. Die Dichter finden nicht etwa sich selbst, sondern die Forscher, Denker, Techniker und anderen Lichtspender ungenügend, und ebenso verhält es sich mit diesen. Mit einem Wort, dieser Kulturpessimismus, der jeden zu bedrücken scheint, geht grundsätzlich immer «auf Rechnung der andern»; und, trocken zusammengefaßt: der Mensch als Kulturkonsument ist mit dem Menschen als Kulturproduzenten auf eine heimtückische Weise unzufrieden.

      Das verträgt sich aber auf wundersame Art mit seinem Gegenteil; denn nicht seltener, als sich die Klage vernehmen läßt, daß es wahres Genie nicht mehr gebe, läßt sich unter uns die Beobachtung anstellen, daß es nur noch Genie gibt. Man darf, wenn man die Nachrichten und Kritiken unserer Zeitschriften und Zeitungen eine Weile durchblättert, wahrhaft staunen, wieviel erschütternde Seelenverkünder, größte, tiefste und ganz große Meister binnen wenigen Monaten erscheinen; und wie oft im Lauf solcher kurzer Zeit «endlich einmal wieder ein wahrer Dichter» der Nation geschenkt wird; und wie oft die schönste Tiergeschichte und der beste Roman der letzten zehn Jahre geschrieben werden. Einige Wochen später kann sich kaum noch jemand an diesen unvergeßlichen Eindruck erinnern.

      Es läßt sich damit die zweite Beobachtung verbinden, daß die Ursprünge fast aller solchen Urteile in Kreisen liegen, die hermetisch gegeneinander abgedichtet sind. Sie werden gebildet von zusammengehörenden Verlagen, Autoren, Kritikern, Blättern, Lesern und Erfolgen, die darüber nicht hinausreichen; und alle diese Kreislein und Kreise, deren Größe einer Liebhaberei oder einer politischen Partei entsprechen kann, haben ihre Genies oder zumindest ihren Niemand mit dem Prädikat Ist-sonst-da. Um die erfolgreichsten Personen bildet sich allerdings ein Kreis aus allen Kreisen, aber das darf eigentlich nicht täuschen; es sieht wohl aus, als ob das wahrhaft Bedeutende doch nicht verkannt werden könnte und eine Nation vorfände, es aufzunehmen, aber in Wahrheit hat der viele versammelnde Erfolg ein sehr zwieträchtiges Elternpaar: denn nicht sowohl, was allen etwas mitteilt, wird bewundert, als vielmehr was jedem das Seine läßt. Und wie der Ruhm eine Mischung ist, sind denn auch die Berühmten eine gemischte Gesellschaft.

      Beschränkt man sie nicht nur auf die Schöne Literatur, so wird ihr als Gruppe aufgenommenes Bild überwältigend. Denn nichts bedeutet der Kreis, der Ring, die Schule oder der ausgebreitete Erfolg um den und jenen, der eine anerkannte geistige Beschäftigung ausübt, vergleicht man es mit der Unzahl von Sekten, welche die Läuterung des Geistes vom Einfluß des Kirschenessens, vom Theater der Freilandsiedlung, von der musikalischen Gymnastik, von der Eubiotik oder einer von tausend anderen Sonderlichkeiten erwarten. Es ist gar nicht zu sagen, wie viele solche Rom es gibt, von denen jedes einen Papst hat, dessen Namen Uneingeweihte nie gehört haben, von dem sich aber Eingeweihte die Erlösung der Welt versprechen. Ganz Deutschland ist voll von solchen geistigen Landsmannschaften: und aus dem großen Deutschland, wo berühmte Forscher nur von einer Lehrtätigkeit leben können und auserlesene Dichter gar nur vom Hausierhandel mit Feuilletons, aus diesem Deutschland strömen ungezählten Halbnarren Mittel und Teilnahme zur Entfaltung ihrer Schrullen, zum Druck von Büchern und zur Gründung von Zeitschriften zu. Darum sind zuletzt in Deutschland, vor seiner Verarmung, jährlich mehr als tausend neue Zeitschriften entstanden und über dreißigtausend Bücher erschienen, und es ist für ein weithin ragendes Zeichen geistiger Bedeutung gehalten worden.

      Es ist leider mit weitaus größerer Sicherheit anzunehmen, daß es ein nicht rechtzeitig beachtetes Zeichen eines sich ausbreitenden Beziehungswahns gewesen ist; von dem betroffen, tausende Grüppchen jedes für sich das Leben an einer fixen Idee befestigten, so daß es bald nicht mehr wundernehmen kann, wenn sich ein echter Paranoiker kaum noch des Wettbewerbs der Amateure wird erwehren können.

      Kunstjubiläum

      «Es ist leichter vorauszusagen, was die Welt in hundert Jahren tun wird, als wie sie in hundert Jahren schreiben wird. Warum? Die ganze Antwort eignet sich nicht für eine Tischrede.»

      (Aus einem unfertigen Buch, das die Frage ernster beantworten wird.)

      Wenn einer, wie es zuweilen vorkommt, ein Theaterstück oder einen Roman wiedersieht, die vor zwanzig Jahren seine Seele im Verein mit anderen Seelen hingerissen haben, so erlebt er etwas, das eigentlich noch nie erklärt worden ist, weil es scheinbar jeder für natürlich hält: der Glanz ist weg, die Wichtigkeit ist weg, Staub und Motten fliegen bei der Berührung auf. Aber warum dieses Altern sein muß und was sich dabei eigentlich verändert, weiß man nicht. Die Komik aller Kunstjubiläen besteht darin, daß die alten Bewunderer so feierlich beunruhigte Gesichter machen, als ob ihnen der Kragenknopf hinter die Hemdbrust gerutscht wäre.

      Es ist nicht das gleiche, wie einer alten Jugendgeliebten wieder zu begegnen, die mit den Jahren nicht schöner geworden ist. Denn dann begreift man zwar auch nicht mehr, was man einstens gestammelt hat, aber das hängt doch wenigstens mit der rührenden Vergänglichkeit alles Irdischen und dem bekannt unbeständigen Charakter der Liebe zusammen. Aber eine Dichtung, die man wiedersieht, ist wie eine Jugendgeliebte, die zwanzig Jahre in Spiritus gelegen hat: Nicht ein Härchen ist anders, und nicht ein Schüppchen der rosigen Epidermis hat sich verändert. Ein Schauer faßt dich an! Nun sollst du wieder sein, der du warst, der Schein besteht auf seinem Schein: das ist eine Streckfolter,

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