Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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-richtungen und -zeiten so deutlich wie Tapetenmuster unterscheiden. Hingegen wirkt es meistens undeutlich, wie sie theoretisch begründet werden. Ich will damit den Malstellern nicht nahetreten; sie geben rechtschaffene Arbeit, können viel, und persönlich sind sie meistens Individualitäten. Aber die Produktionsstatistik ebnet das ein.

      Eine Benachteiligung, die ihnen widerfährt, muß man übrigens dabei anführen: daß ihre Werke offen an der Wand hängen. Bücher haben den Vorteil, daß sie eingebunden sind, und oft unaufgeschnitten. Dadurch bleiben sie länger berühmt; sie halten sich frisch, und der Ruhm beginnt doch erst dort, wo man von einer Sache weiß, sie aber nicht kennt. Dafür haben die Malsteller freilich wieder den Vorteil, daß sie weit regelmäßiger «gefragt werden» und «notieren» als die Schriftsteller. Wenn es den Kunsthandel nicht gäbe, wie schwer wäre es zu unterscheiden, was einem besser gefällt! Christus hat seinerzeit die Händler aus dem Tempel vertrieben: ich bin aber überzeugt, wenn man den rechten Glauben besitzen könnte, dann könnte man ihn auch verkaufen, dann könnte man sich auch mit ihm schmücken, und dann gäbe es sehr viel mehr Glauben in der Welt als jetzt!

      Ein anderer Vorzug der Malerei ist es, daß sie eine Technik hat. Schreiben kann jedermann. Malen kann vielleicht auch jedermann, aber es ist nicht so bekannt. Man hat Techniken und Stile erfunden, um es zu verheimlichen. Denn so zu malen wie ein anderer: das kann nicht jedermann; das muß man studiert haben. Die mit Recht jetzt so bewunderten malenden Volksschulkinder fielen in der Kunstakademie durch; aber auch der umlernende Akademiker muß viel Mühe darauf verwenden, um sich an Stelle seiner Konvention das kindliche Zeichnen anzueignen. Alles in allem ist es ein historischer Irrtum zu glauben, daß die Meister Schule machen, die Schüler machen sie!

      Genau betrachtet, ist aber auch nicht wahr, daß jeder schreiben kann; im Gegenteil, niemand kann es, jeder schreibt bloß mit und ab. Es ist unmöglich, daß ein Gedicht von Goethe heute auf die Welt käme; und schriebe es durch ein Wunder Goethe selbst, so wäre es ein anachronistisches und vielfach zweifelhaftes neues Gedicht, obgleich es doch auch das herrliche alte wäre! Gibt es eine andere Erklärung für dieses Mysterium, als daß dieses Gedicht von keinem zeitgenössischen Gedicht abgeschrieben erschiene, es sei denn von solchen, die von ihm selbst abgeschrieben sind? Gleichzeitigkeit bedeutet immer Abschreiben. Unsere Ahnen schrieben Prosa in langen, schönen wie Locken gedrehten Sätzen; wir – obgleich auch wir es noch in der Schule so gelernt haben – tun es in kürzeren, die Sache rascher zu Boden setzenden; und niemand in aller Welt kann seine Gedanken von der Art befrein, in der seine Zeit das Sprachkleid trägt. Kein Mensch weiß darum, wieviel er von dem, was er schreibt, auch genau so meint, und beim Schreiben verdrehn die Menschen beiweitem nicht so die Worte wie die Worte den Menschen.

      Vielleicht kann also doch auch nicht jedermann malen? Offenbar, der Maler kann es nicht, nicht in dem Sinn, den der Malsteller damit verbindet. Der Maler und der Dichter sind nach Ansicht ihrer Zeitgenossen zunächst immer bloß die, die das nicht können, was die Mal-und Schriftsteller können. Darum halten sich doch sogar viele Schriftsteller für Dichter und Malsteller für Maler. Der Unterschied stellt sich gewöhnlich erst heraus, wenn es zu spät ist. Denn dann ist bereits eine neue Generation von Stellern da, die das schon kann, was der Maler und der Dichter eben erst gelernt haben.

      Damit hängt es wohl auch zusammen, daß der Maler und der Dichter immer der Vergangenheit oder der Zukunft anzugehören scheinen; sie werden immer erwartet oder als ausgestorben beklagt. Wenn aber einmal einer leibhaftig dafür gilt, muß es durchaus nicht immer der Richtige sein.

      Eine Kulturfrage

      Können Sie angeben, was ein Dichter ist?

      Man sollte einmal diese Frage ausschreiben wie eins der geistigen Turniere, wo um die Frage gekämpft wird: «Wer hat Herrn Stein ermordet? (In dem Roman, dessen Veröffentlichung morgen in unserer Unterhaltungsbeilage beginnt)» oder: «Was hat Römisch-drei zu tun, wenn Römisch-eins anders ausspielt, als es auf dem letzten Bridgekongreß empfohlen worden ist?»

      Es ist aber nicht zu erwarten, daß eine Zeitung ohneweiters auf diesen Vorschlag einginge, und wenn sie es täte, so würde sie ihm eine ansprechendere Form geben. Zumindest die: «Wer ist Ihr Lieblingsdichter?» Aber auch die Fragen: «Wen halten Sie gegenwärtig für den größten Dichter?» und «Welches ist das beste Buch dieses Jahres (auch: «Monats«) gewesen?» scheinen sich durch ihre anregende Wirkung zu empfehlen.

      Daraus erfährt der Mensch von Zeit zu Zeit, welche Arten von Dichtern es gibt, und es sind immer größte, bedeutendste, echteste, anerkannteste und gelesenste. Aber was der Dichter ohne Beiwaage sei, wann ein schlicht schreibendes Geschöpf Dichter sei, und nicht «der bekannte Autor von …», diese Frage ist seit Menschengedenken überhaupt nicht gestellt worden. Unverkennbar, die Welt schämt sich ihrer, als hätte sie einen Beiklang von Biedermeiers Posthorn! Und doch, so wird es kommen, daß der Mensch mit Bestimmtheit zu sagen vermag, was Kaffee Hag, was ein Rolls Royce, was ein Segelflugzeug ist, aber in Verlegenheit geraten wird, wenn seine Kindeskinder voll Spannung ihn fragen: «Urgroßvater, zu deiner Zeit soll es ja noch Dichter gegeben haben. Was ist das?»

      Er wird ihnen vielleicht zu erzählen versuchen, daß es Dichter so wenig gegeben zu haben brauche wie den Teufel. Denn man sage doch auch mit größter Bestimmtheit: «Pfui Teufel!» «Zum Teufel!» «Zankteufel!» «Armer Teufel!» und dergleichen mehr, ohne daß man darum schon an den Teufel glaubte. So etwas gehört zum Leben der Sprache, und auf das Leben der deutschen Sprache gäbe keine Unfallversicherungsgesellschaft auch nur das geringste. Aber diese Ausrede wird leicht zu widerlegen sein. Denn mag das Wort «Dichter» in der Geschichte des Geistes unserer Zeit auch noch so wenig bedeuten, unauslöschlich werden kommende Geschlechter seine unerwartete Spur in der Wirtschaftsgeschichte vorfinden! Eine Überlegung, wie viele Menschen heute von dem Wort Dichter leben, findet kaum ein Ende, auch wenn man ganz an der wunderlichen Lüge vorbeisieht, daß selbst der Staat behauptet, für nichts da zu sein, als die Künste und Wissenschaften zu göttlicher Blüte zu bringen. Da läßt sich etwa mit den literarischen Professuren und Seminaren beginnen, und man käme von ihnen auf den gesamten Universitätsbetrieb mit Quästoren, Pedellen, Sekretären und anderen, an deren Unterhalt sie teilhaben. Oder man beginnt mit den Verlegern, käme auf die Verlage mit ihren Angestellten, auf die Kommissionäre, die Sortimenter, die Druckereien, die Papier-und Maschinenfabriken, die Eisenbahn, Post, Steuerbehörde, die Zeitungen, die Ministerialdezernenten, die Intendanten: Kurz, je nach Geduld könnte sich jedermann einen Tag lang diese Zusammenhänge kreuz und quer ausmalen, und was sich immer gleich bliebe, wäre, daß alle diese tausende Menschen bald gut, bald schlecht, bald ganz, bald teilweise davon leben, daß es Dichter gibt: obwohl niemand weiß, was ein Dichter ist, niemand mit Bestimmtheit sagen kann, daß er einen Dichter gesehen habe, und alle Preisausschreibungen, Akademien, Honorar-und Honoratiorenempfänge nicht die Sicherheit geben, daß man einen lebend einfängt.

      Ich schätze, daß heute in der ganzen Welt wirklich einige Dutzend von ihnen noch vorhanden sind. Ob sie davon leben können, daß man von ihnen lebt, ist ungewiß: einige werden wohl dazu imstande sein, andere nicht: das ist alles im Dunkel. Wollte man ähnliche Verhältnisse zum Vergleich heranziehen, so ließe sich vielleicht sagen, daß unzählige Menschen davon leben, daß es Hühner oder davon, daß es Fische gibt; aber die Fische und Hühner leben nicht davon, sondern sterben daran. Auch wäre sogar zu bemerken, daß unsere Hühner und Fische selbst eine Weile davon leben, daß sie sterben müssen: Aber dieser ganze Vergleich scheitert daran, daß man von diesen Geschöpfen weiß, was sie sind, daß es sie wirklich gibt und daß sie keine Störung der Fisch-oder Hühnerzucht mitsichbringen, wogegen der Dichter ganz entschieden eine Störung der Geschäfte bedeutet, die sich auf der Dichtung aufbauen. Hat er Geld oder Glück, so wird man es mit ihm nicht so genau nehmen; sobald er sich aber vermäße, ohne diese beiden sein Erstgeburtsrecht zu beanspruchen, so müßte er, wohin er auch käme, nicht anders wirken als ein Gespenst, das den Einfall hat, uns an ein Darlehen zu erinnern, das unseren Urahnen zur Zeit der Griechen gewährt worden ist. Nach einigen belanglosen idealistischen Beteuerungen würde er in den Verlagen gefragt werden, ob er glaube, eine Dichtung verfertigen zu können, der ein Mindestabsatz

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