Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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– schließlich lehrt’s doch auch der Erfolg, – mir war vielmehr nur das sonderbar, daß die Sache mitunter so gegen den Verstand geht; und möglich wäre es immerhin, daß das nur scheinbar ist.»

      «Nun, du kannst ja die zehn Jahre abwarten, vielleicht hast du dann den richtig präparierten Verstand … Aber ich habe auch darüber nachgedacht, seit wir letzthin davon sprachen, und ich bin ganz fest davon überzeugt, daß die Sache einen Haken hat. Übrigens hast du damals auch ganz anders gesprochen als heute.»

      «O nein. Mir ist es ja auch heute noch bedenklich, nur will ich es nicht gleich so übertreiben wie du. Sonderbar finde ich das Ganze auch. Die Vorstellung des Irrationalen, des Imaginären, der Linien, die parallel sind und sich im Unendlichen – also doch irgendwo – schneiden, regt mich auf. Wenn ich darüber nachdenke, bin ich betäubt, wie vor den Kopf geschlagen.» Törleß lehnte sich vor, ganz in den Schatten hinein, und seine Stimme umschleierte sich leise beim Sprechen. «In meinem Kopfe war vordem alles so klar und deutlich geordnet; nun aber ist mir, als seien meine Gedanken wie Wolken, und wenn ich an die bestimmten Stellen komme, so ist es wie eine Lücke dazwischen, durch die man in eine unendliche, unbestimmbare Weite sieht. Die Mathematik wird schon recht haben; aber was ist es mit meinem Kopfe und was mit all den anderen? Fühlen die das gar nicht? Wie malt es sich in ihnen ab? Gar nicht?»

      «Ich denke, du konntest es an deinem Professor sehen. Du, – wenn du auf so etwas kommst, schaust dich sofort um und fragst, wie stimmt das jetzt zu allem übrigen in mir? Die haben sich einen Weg in tausend Schneckengängen durch ihr Gehirn gebohrt, und sie sehen bloß bis zur nächsten Ecke zurück, ob der Faden noch hält, den sie hinter sich herspinnen. Deswegen bringst du sie mit deiner Art zu fragen in Verlegenheit. Von denen findet keiner den Weg zurück. Wie kannst du übrigens behaupten, daß ich übertreibe? Diese Erwachsenen und ganz Gescheiten haben sich da vollständig in ein Netz eingesponnen, eine Masche stützt die andere, so daß das Ganze Wunder wie natürlich aussieht; wo aber die erste Masche steckt, durch die alles gehalten wird, weiß kein Mensch.

      Wir zwei haben noch nie so ernst darüber gesprochen, schließlich macht man über solche Dinge nicht gern viel Worte, aber du kannst jetzt sehen, wie schwach die Ansicht ist, mit der sich die Leute über die Welt begnügen. Täuschung ist sie, Schwindel ist sie, Schwachköpfigkeit! Blutarmut! Denn ihr Verstand reicht gerade so weit, um ihre wissenschaftliche Erklärung aus dem Kopf herauszudenken, draußen erfriert sie aber, verstehst du? Ha ha! Alle diese Spitzen, diese äußersten, von denen uns die Professoren erzählen, sie seien so fein, daß wir sie jetzt noch nicht anzurühren vermögen, sind tot, – erfroren, – verstehst du? Nach allen Seiten starren diese bewunderten Eisspitzen, und kein Mensch vermag mit ihnen etwas anzufangen, so leblos sind sie!»

      Törleß hatte sich längst wieder zurückgelehnt. Beinebergs heißer Atem fing sich in den Mänteln und erhitzte den Winkel. Und wie immer in der Erregung, wirkte Beineberg peinlich auf Törleß. Jetzt gar, wo er sich vorschob, so nahe heran, daß seine Augen unbeweglich, wie zwei grünliche Steine vor Törleß standen, während die Hände mit einer eigentümlich häßlichen Behendigkeit im Halbdunkel hin und her zuckten.

      «Alles ist unsicher, was sie behaupten. Alles geht natürlich zu, sagen sie; – wenn ein Stein fällt, so sei das die Schwerkraft, warum soll es aber nicht ein Wille Gottes sein, und warum soll derjenige, der ihm wohlgefällig ist, nicht einmal davon entbunden sein, das Los des Steines zu teilen? Doch wozu erzähle ich dir solches?! Du wirst doch immer halb bleiben! Ein wenig Sonderbares ausfindig machen, ein wenig den Kopf schütteln, ein wenig sich entsetzen, – das liegt dir; darüber traust du dich aber nicht hinaus. Übrigens ist das nicht mein Schade.»

      «Der meine etwa? So sicher sind denn doch wohl auch deine Behauptungen nicht.»

      «Wie kannst du das sagen! Sie sind überhaupt das einzig Sichere. Wozu soll ich mich übrigens mit dir darüber zanken?! Du wirst es schon noch sehen, mein lieber Törleß; ich möchte sogar wetten, daß du dich noch einmal ganz verflucht dafür interessieren wirst, was es damit für Bewandtnis hat. Beispielsweise, wenn es mit Basini so kommt, wie ich …»

      «Laß das, bitte», unterbrach ihn Törleß, «ich möchte das gerade jetzt nicht da hineinmengen.»

      «Oh, warum nicht?»

      «Nun so. Seh will einfach nicht. Es ist mir unangenehm. Basini und dies sind für mich zweierlei; und zweierlei pflege ich nicht im selben Topf zu kochen.»

      Beineberg verzog es bei dieser ungewohnten Entschiedenheit, ja Grobheit seines jüngeren Kameraden vor Ärger den Mund. Aber Törleß fühlte, daß die bloße Nennung Basinis seine ganze Sicherheit untergraben hatte, und um dies zu verbergen, redete er sich in Ärger. «Überhaupt behauptest du Dinge mit einer Sicherheit, die geradezu verrückt ist. Glaubst du denn nicht, daß deine Theorien geradeso auf Sand gebaut sein können, wie die anderen? Das sind ja noch viel verbohrtere Schneckengänge, die noch weit mehr guten Willen voraussetzen.»

      Merkwürdigerweise wurde Beineberg nicht böse; er lächelte nur – zwar ein wenig verzerrt, und seine Augen funkelten doppelt so unruhig – und sagte in einem fort: «Du wirst schon sehen, du wirst schon sehen. …»

      «Was werde ich denn sehen? Und meinetwegen, so werde ich es halt sehen; aber es interessiert mich blutwenig, Beineberg! Du verstehst mich nicht. Du weißt gar nicht, was mich interessiert. Wenn mich die Mathematik quält und wenn mich –» doch er überlegte sich’s noch schnell und sagte nichts von Basini, «wenn mich die Mathematik quält, so suche ich dahinter ganz etwas anderes als du, gar nichts Übernatürliches, gerade das Natürliche suche ich, – verstehst du? gar nichts außer mir, – in mir suche ich etwas; in mir! etwas Natürliches! Das ich aber trotzdem nicht verstehe! Das empfindest du aber geradeso wenig wie der von der Mathematik … ach, laß mich mit deiner Spekulation für jetzt in Ruhe!»

      Törleß zitterte vor Aufregung, als er aufstand.

      Und Beineberg wiederholte in einem fort: «nun, wir werden ja sehen, werden ja sehen. …»

      Als Törleß abends im Bette lag, fand er keinen Schlaf. Die Viertelstunden schlichen wie Krankenschwestern von seinem Lager, seine Füße waren eiskalt, und die Decke drückte ihn, anstatt ihn zu wärmen.

      In dem Schlafsaale hörte man nur das ruhige und gleichmäßige Atmen der Zöglinge, die nach der Arbeit des Unterrichtes, des Turnens und des Laufens im Freien ihren gesunden, tierischen Schlaf gefunden hatten.

      Törleß horchte auf die Atemzüge der Schlafenden. Das war Beinebergs, das Reitings, das Basinis Atem; welcher? Er wußte es nicht; aber einer von den vielen, gleichmäßigen, gleichruhigen, gleichsicheren, die sich wie ein mechanisches Werk hoben und senkten.

      Einer der leinenen Vorhänge hatte sich nur bis zur halben Höhe herunterrollen lassen; darunter leuchtete die helle Nacht herein und zeichnete ein fahles, unbewegliches Viereck auf den Fußboden. Die Schnur hatte sich oben gespießt oder war ausgesprungen und hing in häßlichen Windungen herunter, während ihr Schatten auf dem Boden wie ein Wurm durch das helle Viereck kroch.

      Dies alles war von einer beängstigenden, grotesken Häßlichkeit.

      Törleß versuchte an etwas Angenehmes zu denken. Beineberg fiel ihm ein. Hatte er ihn nicht heute übertrumpft? Seiner Überlegenheit einen Stoß versetzt? War es ihm nicht heute zum erstenmal gelungen, seine Besonderheit gegen den anderen zu wahren? So hervorzuheben, daß dieser den unendlichen Unterschied an Feinheit der Empfindlichkeit fühlen konnte, der ihrer beiden Auffassungen voneinander trennte? Hat er denn noch etwas zu erwidern gewußt? Ja oder nein? …

      Aber dieses: ja oder nein? schwoll in seinem Kopfe an wie aufsteigende Blasen und zerplatzte, und ja oder nein? … ja oder nein? schwoll es immer und immer wieder an, unaufhörlich, in einem stampfenden Rhythmus, wie das Rollen eines Eisenbahnzuges, wie

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