Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 25

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

war unecht, es hopste so lächerlich.

      Und schließlich, als er auffuhr, schien es sein eigener Kopf zu sein, der da nickte, auf den Schultern rollte, oder im Takte auf und niederschlug …

      Endlich schwieg alles in Törleß. Vor seinen Augen war nur eine weite, schwarze Fläche, die sich kreisrund nach allen Seiten hin ausdehnte.

      Da kamen … weit vom Rande her … zwei kleine, wackelnde Figürchen – quer über den Tisch. Das waren offenbar seine Eltern. Aber so klein, daß er für sie nichts empfinden konnte.

      Auf der anderen Seite verschwanden sie wieder.

      Dann kamen wieder zwei; – doch halt, da lief einer von rückwärts an ihnen vorbei – mit Schritten, die doppelt so lang waren als sein Körper, – und schon war er hinter die Kante getaucht; war es nicht Beineberg gewesen? – Nun die zwei: der eine von ihnen war ja doch der Mathematikprofessor? Törleß erkannte ihn an dem Sacktüchlein, das kokett aus der Tasche schaute. Aber der andere? Der mit dem sehr, sehr dicken Buch unter dem Arm, das halb so hoch war wie er selbst? Der sich kaum damit schleppen konnte? … Bei jedem Schritte blieben sie stehen und legten das Buch auf die Erde. Und Törleß hörte die piepsige Stimme seines Lehrers sagen: Wenn dem so sein soll, finden wir das Richtige auf Seite zwölf, Seite zwölf verweist uns weiter an Seite zweiundfünfzig, dann gilt aber auch das, was auf Seite einunddreißig bemerkt wurde, und unter dieser Voraussetzung … Dabei standen sie über das Buch gebückt und griffen mit den Händen hinein, daß die Blätter stoben. Nach einer Weile richteten sie sich wieder auf, und der andere streichelte fünf-oder sechsmal die Wangen des Professors. Dann kamen abermals ein paar Schritte vorwärts, und Törleß hörte von neuem die Stimme, genau so, wie wenn sie im Mathematikunterricht einen Bandwurm von Beweis abfingerte. Solange, bis der andere wieder den Professor streichelte.

      Dieser andere …? Törleß zog die Brauen zusammen, um besser zu sehen. Trug er nicht einen Zopf? Und etwas altertümliche Kleidung? Sehr altertümliche? Seidene Kniehosen sogar? War das nicht …? Oh! Und Törleß wachte mit einem Schrei auf: Kant!

      Im nächsten Augenblick lächelte er; es war ganz still umher, die Atemzüge der Schlafenden waren leise geworden. Auch er hatte geschlafen. Und in seinem Bette war es einstweilen warm geworden. Er dehnte sich behaglich unter der Decke entlang.

      «Ich habe also von Kant geträumt,» dachte er, «warum nicht länger? Vielleicht hätte er mir doch etwas ausgeplaudert.» Er erinnerte sich nämlich, wie er einstens, in Geschichte nicht vorbereitet, während der ganzen Nacht so lebhaft von den betreffenden Personen und Ereignissen geträumt hatte, daß er am nächsten Tag davon erzählen konnte, als wäre er selbst mit dabei gewesen, und die Prüfung mit Auszeichnung bestand. Und nun fiel ihm auch Beineberg wieder ein, Beineberg und Kant – das gestrige Gespräch.

      Langsam zog sich der Traum von Törleß zurück, – langsam wie eine seidene Decke, die über die Haut eines nackten Körpers hinuntergleitet, ohne ein Ende zu nehmen.

      Aber doch wich sein Lächeln bald wieder einer sonderbaren Unruhe. War er denn in seinen Gedanken auch nur um einen Schritt wirklich weiter gekommen? Konnte er denn auch nur etwas aus diesem Buche ersehen, das die Lösung aller Rätsel enthalten sollte? Und sein Sieg? Gewiß, es war nur seine unerwartete Lebhaftigkeit gewesen, die Beineberg zum Schweigen gebracht hatte …

      Abermals bemächtigte sich eine tiefe Unlust und förmlich körperliche Übelkeit seiner. So lag er minutenlang, vom Ekel ganz ausgehöhlt.

      Dann aber trat plötzlich wieder die Empfindung in sein Bewußtsein, wie sein Körper an allen Stellen von der milden, lauwarmen Leinwand des Bettes berührt wurde. Behutsam, ganz langsam und behutsam drehte Törleß den Kopf. Richtig, dort lag noch das fahle Viereck auf dem Estrich, – mit ein wenig verschobenen Seiten zwar, aber noch kroch auch jener gewundene Schatten hindurch. Ihm war, als liege dort eine Gefahr gekettet, die er aus seinem Bette heraus, wie durch Gitterstäbe geschützt, mit der Ruhe der Sicherheit betrachten könne.

      In seiner Haut, rings um den ganzen Körper herum, erwachte dabei ein Gefühl, das plötzlich zu einem Erinnerungsbilde wurde. Als er ganz klein war, – ja, ja, da war’s, – als er noch Kleidchen trug und noch nicht in die Schule ging, hatte er Zeiten, da in ihm eine ganz unaussprechliche Sehnsucht war, ein Mäderl zu sein. Und auch diese Sehnsucht saß nicht im Kopfe, – oh nein, – auch nicht im Herzen, – sie kitzelte im ganzen Körper und jagte rings unter der Haut umher. Ja es gab Augenblicke, wo er sich so lebhaft als ein kleines Mädchen fühlte, daß er glaubte, es könne gar nicht anders sein. Denn er wußte damals nichts von der Bedeutung körperlicher Unterschiede, und er verstand es nicht, warum man ihm von allen Seiten sagte, er müsse nun wohl für immer ein Knabe bleiben. Und wenn man ihn fragte, warum er denn glaube, lieber ein Mäderl zu sein, so fühlte er, daß sich das gar nicht sagen lasse …

      Heute spürte er zum ersten Male wieder etwas Ähnliches. Wieder nur so rings unter der Haut umher.

      Etwas, das Körper und Seele zugleich zu sein schien. Ein Jagen und Hasten, das sich tausendfältig, wie mit samtenen Fühlfäden von Schmetterlingen an seinem Körper stieß. Und zugleich jenes Trotzen, mit dem kleine Mädchen flüchten, wenn sie fühlen, daß sie von den Erwachsenen ohnedies nicht verstanden werden, die Arroganz, mit der sie dann über die Erwachsenen kichern, diese furchtsame, stets wie zu schnellem Davonlaufen bereite Arroganz, die fühlt, daß sie sich jeden Augenblick in irgendein furchtbar tiefes Versteck in dem kleinen Körper zurückziehen könne. …

      Törleß lachte leise vor sich hin, und abermals dehnte er sich behaglich die Decke entlang.

      Dieses wutzlige kleine Männchen, von dem er geträumt hatte, wie gierig es die Seiten unter den Fingern jagte! Und das Viereck dort unten? Ha, ha. Ob so gescheite Männchen wohl je in ihrem Leben so etwas bemerkt haben? Er kam sich unendlich gesichert gegen diese gescheiten Menschen vor, und zum ersten Male fühlte er, daß er in seiner Sinnlichkeit – denn daß es diese sei, wußte er nun schon lange – etwas hatte, das ihm keiner zu nehmen vermochte, das auch keiner nachzumachen vermochte, etwas, das ihn wie eine höchste, versteckteste Mauer gegen alle fremde Klugheit schützte.

      Ob so gescheite Männchen wohl je in ihrem Leben, spann er dies weiter, unter einer einsamen Mauer gelegen und bei jedem Rieseln hinter dem Mörtel erschrocken sind, als ob etwas Totes da Worte suche, um zu ihnen zu sprechen? Ob sie wohl je so die Musik, die der Wind in den herbstlichen Blättern anfacht, gefühlt haben, – so durch und durch gefühlt haben, daß dahinter plötzlich ein Schreck stand, … der sich langsam, langsam in eine Sinnlichkeit verwandelte? Aber in eine so merkwürdige Sinnlichkeit, die mehr wie ein Flüchten und dann wie ein Auslachen ist. Oh, es ist leicht, gescheit zu sein, wenn man alle diese Fragen nicht kennt …

      Dazwischen aber schien immer wieder das kleine Männchen riesig zu wachsen, mit einem unerbittlich strengen Gesicht, und jedesmal zuckte es wie ein elektrischer Schlag schmerzhaft von Törleß’ Gehirn durch den Körper. Der ganze Schmerz darüber, daß er noch immer vor einem verschlossenen Tore stehen müsse, – das eben, was noch im Augenblick vorher die warmen Schläge seines Blutes weggedrängt hatten, – erwachte dann wieder, und eine wortlose Klage flutete durch Törleß’ Seele, wie das Heulen eines Hundes, das über die weiten, nächtlichen Felder zittert.

      So schlief er ein. Noch im Halbschlaf blickte er ein paarmal zu dem Fleck beim Fenster hinüber, so wie man mechanisch nach einem haltenden Seile greift, um zu fühlen, ob es noch gespannt sei. Dann tauchte unklar der Vorsatz auf, daß er morgen nochmals ganz genau über sich nachdenken werde, – am besten mit Feder und Papier, – dann, ganz zuletzt, war nur die angenehme, laue Wärme, – wie ein Bad und eine sinnliche Regung, – die ihm aber als solche gar nicht mehr zu Bewußtsein kam, sondern in irgendeiner durchaus unerkennbaren, aber sehr nachdrücklichen Weise mit Basini verknüpft war.

      Dann schlief er fest und traumlos.

      Und

Скачать книгу