Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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halb gedacht und halb geträumt hatte, aber er war nicht imstande, sich darauf noch zu besinnen.

      So blieb nur eine zärtliche Stimmung davon zurück, wie sie um die Weihnachtszeit in einem Hause herrscht, wo die Kinder wissen, daß die Geschenke schon da sind, aber noch dort hinter der geheimnisvollen Tür versperrt, durch deren Fugen man nur hie und da einen Strahl vom Lichterglanze dringen sieht.

      Am Abend blieb Törleß in der Klasse; Beineberg und Reiting waren irgendwohin verschwunden, wahrscheinlich in die Kammer am Dachboden; Basini saß vorne auf seinem Platze, den Kopf mit beiden Händen über ein Buch gestützt.

      Törleß hatte sich ein Heft gekauft und richtete sorgfältig Feder und Tinte zurecht. Dann schrieb er auf die erste Seite, nach einigem Zögern: De natura hominum; er glaubte den lateinischen Titel dem philosophischen Gegenstande schuldig zu sein. Dann zog er einen großen, kunstvollen Schnörkel um die Überschrift und lehnte sich in seinen Stuhl zurück, um zu warten, bis diese trockne.

      Aber dies war schon lange geschehen, und er hatte noch immer nicht wieder zur Feder gegriffen. Etwas hielt ihn unbeweglich fest. Es war die hypnotische Stimmung der großen, heißen Lampen, der tierischen Wärme, die von dieser Masse von Menschen ausging. Er war immer empfänglich für diesen Zustand gewesen, der sich bei ihm bis zu körperlichem Fiebergefühle steigern konnte, das stets mit einer außerordentlichen Empfindlichkeit des Geistes verbunden war. So auch heute. Er hatte sich längst schon untertags zurechtgelegt, was er eigentlich notieren wolle: die ganze Reihe jener gewissen Erfahrungen von dem Abend bei Božena an bis zu jener unbestimmten Sinnlichkeit, die sich die letzten Male bei ihm eingestellt hatte. Wenn das alles geordnet, Faktum für Faktum aufgezeichnet sein werde, hoffte er, werde sich auch die richtige, verstandesgesetzmäßige Fassung von selbst ergeben, wie die Form einer umhüllenden Linie aus dem wirren Bilde sich hundertfältig schneidender Kurven heraustritt. Und mehr wollte er nicht. Aber es war ihm bisher wie einem Fischer ergangen, der zwar am Zucken des Netzes fühlt, daß ihm eine schwere Beute ins Garn gegangen ist, aber trotz aller Anstrengungen nicht vermag, sie ans Licht zu heben.

      Und nun begann Törleß doch noch zu schreiben, – aber hastig und ohne mehr auf die Form zu achten. «Ich fühle», notierte er, «etwas in mir und weiß nicht recht, was es ist.» Rasch strich er aber die Zeile wieder durch und schrieb an ihrer Stelle: «Ich muß krank sein, – wahnsinnig!» Hier überlief ihn ein Schauer, denn dieses Wort empfindet sich angenehm pathetisch. «Wahnsinnig, – oder was ist es sonst, daß mich Dinge befremden, die den anderen alltäglich erscheinen? Daß mich dieses Befremden quält? Daß mir dieses Befremden unzüchtige Gefühle» – er wählte absichtlich dieses Wort voll biblischer Salbung, weil es ihn dunkler und voller dünkte – «erregt? Ich bin dem früher gegenübergestanden wie jeder junge Mann, wie alle meine Kameraden …» Da stockte er aber. «Ist das denn auch wahr?» dachte er sich; «bei Božena zum Beispiel war es doch schon so eigen; wann hat es also eigentlich angefangen? … Egal», dachte er, «einmal jedenfalls.» Aber er ließ doch den Satz unvollendet.

      «Welche Dinge sind es, die mich befremden? Die unscheinbarsten. Meistens leblose Sachen. Was befremdet mich an ihnen? Ein Etwas, das ich nicht kenne. Aber das ist es ja eben! Woher nehme ich denn dieses ‹Etwas›;! Ich empfinde sein Dasein; es wirkt auf mich; so, als ob es sprechen wollte. Ich bin in der Aufregung eines Menschen, der einem Gelähmten die Worte von den Verzerrungen des Mundes ablesen soll und es nicht zuwege bringt. So, als ob ich einen Sinn mehr hätte als die anderen, aber einen nicht fertig entwickelten, einen Sinn, der da ist, sich bemerkbar macht, aber nicht funktioniert. Die Welt ist für mich voll lautloser Stimmen: ich bin daher ein Seher oder ein Halluzinierter?

      Aber nicht nur das Leblose wirkt so auf mich; nein, was mich viel mehr in Zweifel stürzt, auch die Menschen. Vor einem gewissen Zeitpunkt sah ich sie, wie sie sich selbst sehen. Beineberg und Reiting zum Beispiel, – sie haben ihre Kammer, eine ganz gewöhnliche, verborgene Bodenkammer, weil es ihnen Spaß macht, einen solchen Rückzugsort zu besitzen. Das eine tun sie, weil sie auf den zornig sind, das andere, weil sie dem Einflusse jenes zweiten bei den Kameraden vorbeugen wollen. Lauter verständliche, klare Gründe. Heute aber erscheinen sie mir manchmal, als hätte ich einen Traum und sie seien Figuren darin. Nicht ihre Worte, nicht ihre Handlungen allein, nein, alles an ihnen, verbunden mit ihrer körperlichen Nähe, wirkt mitunter so auf mich, wie es die leblosen Dinge tuen. Und doch höre ich sie nebenbei immer wieder genau so sprechen wie früher, sehe, daß ihre Handlungen und ihre Worte sich noch immer genau nach denselben Formen aneinanderreihen, … das will mich unaufhörlich belehren, daß gar nichts Außerordentliches vorgehe, und ebenso unaufhörlich lehnt sich doch in mir etwas dagegen auf. Diese Veränderung begann, wenn ich mich genau erinnere, mit Basinis …»

      Hier sah Törleß unwillkürlich zu diesem hinüber.

      Basini saß noch immer über sein Buch gestützt und schien zu lernen. Wie er ihn so da sitzen sah, schwiegen in Törleß die Gedanken, und er hatte Gelegenheit, die reizvollen Qualen, die er eben beschrieb, wieder am Werke zu fühlen. Denn sowie ihm zu Bewußtsein kam, wie ruhig und harmlos Basini vor ihm sitze, durch gar nichts von den andern rechts und links unterschieden, wurden die Erniedrigungen in ihm lebendig, die Basini erlitten hatte. Wurden in ihm lebendig: – das heißt, daß er gar nicht daran dachte, mit jener gewissen Jovialität, die die moralische Überlegung im Gefolge hat, sich zu sagen, daß es in jedem Menschen liege, nach erduldeten Erniedrigungen möglichst schnell wenigstens nach der äußeren Haltung des Unbefangenen wieder zu trachten, sondern daß sich sofort in ihm etwas regte wie eine wahnsinnig kreiselnde Bewegung, die augenblicklich das Bild Basinis zu den unglaublichsten Verrenkungen zusammenbog, dann wieder in nie gesehenen Verzerrungen auseinanderriß, so daß ihm selbst davor schwindelte. Dies waren allerdings nur Vergleiche, die er nachher erfand. Im Augenblicke selbst hatte er nur das Gefühl, daß etwas in ihm wie ein toller Kreisel aus der zusammengeschnürten Brust zum Kopfe hinaufwirble, das Gefühl seines Schwindels. Dazwischen hinein sprangen wie stiebende Farbenpunkte Gefühle, die er zu den verschiedenen Zeiten von Basini empfangen hatte.

      Eigentlich war es ja immer nur ein und dasselbe Gefühl gewesen. Und ganz eigentlich überhaupt kein Gefühl, sondern mehr ein Erdbeben ganz tief am Grunde, das gar keine merklichen Wellen warf und vor dem doch die ganze Seele so verhalten mächtig erzitterte, daß die Wellen selbst der stürmischsten Gefühle daneben wie harmlose Kräuselungen der Oberfläche erscheinen.

      Wenn ihm dieses eine Gefühl zu verschiedenen Zeiten dennoch verschieden zu Bewußtsein gekommen war, so hatte dies darin seinen Grund, daß er zur Ausdeutung dieser Woge, die den ganzen Organismus überflutete, nur über die Bilder verfügte, welche davon in seine Sinne fielen, – so wie wenn von einer unendlich sich in die Finsternis hinein erstreckenden Dünung nur einzelne losgelöste Teilchen an den Felsen eines beleuchteten Ufers in die Höhe spritzen, um gleich darauf hilflos aus dem Kreise des Lichtes wieder zu versinken.

      Diese Eindrücke waren daher unbeständig, wechselnd, von einem Bewußtsein ihrer Zufälligkeit begleitet. Nie konnte Törleß sie festhalten, denn wie er genauer zusah, fühlte er, daß diese Repräsentanten an der Oberfläche in gar keinem Verhältnis zu der Wucht der dunklen, ungehobenen Masse standen, die zu vertreten sie vorgaben.

      Nie «sah» er Basini irgendwie in körperlicher Plastik und Lebendigkeit irgendeiner Pose, nie hatte er eine wirkliche Vision: immer nur die Illusion einer solchen, gewissermaßen nur die Vision seiner Visionen. Denn immer war es in ihm, als sei soeben ein Bild über die geheimnisvolle Fläche gehuscht, und nie gelang es ihm im Augenblicke des Vorganges selbst, diesen zu erhaschen. Daher war beständig eine rastlose Unruhe in ihm, wie man sie vor einem Kinematographen empfindet, wenn man neben der Illusion des Ganzen doch eine vage Wahrnehmung nicht loswerden kann, daß hinter dem Bilde, das man empfängt, hunderte von – für sich betrachtet ganz anderen – Bildern vorbeihuschen.

      Wo aber in ihm diese illusionierende – und doch stets um ein unmeßbar Kleines zu wenig illusionierende – Kraft eigentlich zu suchen sei, wußte er nicht. Er ahnte nur dunkel, daß sie mit jener rätselhaften Eigenschaft seiner Seele zusammenhänge, auch

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