Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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hörte, daß sie schliefen. Nun riß er hastig ein Blatt aus seinem Notizbuche und schrieb bei dem ungewissen Lichte der Nachtlampe in großen, schwankenden Buchstaben darauf:

      «Sie werden dich morgen der Klasse ausliefern, und es steht dir Fürchterliches bevor. Der einzige Ausweg ist, daß du dich selbst dem Direktor anzeigst. Zu Ohren würde es ihm ja auch ohnedies kommen, nur daß man dich vorher noch halbtot prügeln würde.

      Schiebe alles auf R. und B. und schweige von mir.

      Du siehst, daß ich dich retten will.»

      Diesen Zettel steckte er dem Schlafenden in die Hand.

      Dann schlief auch er, von der Aufregung erschöpft, ein.

      Den nächsten Tag schienen Beineberg und Reiting noch als Frist Törleß gewähren zu wollen.

      Mit Basini wurde es jedoch Ernst.

      Törleß sah, wie Beineberg und Reiting zu einzelnen hingingen, und wie sich dort um sie herum Gruppen bildeten, in denen eifrig geflüstert wurde.

      Dabei wußte er nicht, ob Basini seinen Zettel gefunden habe, denn ihn zu sprechen fand sich keine Gelegenheit, da sich Törleß beobachtet fühlte.

      Anfangs hatte er überhaupt Angst, daß es sich auch schon um ihn handle. Aber er war nunmehr im Angesichte der Gefahr von ihrer Widerwärtigkeit so gelähmt, daß er alles an sich hätte herankommen lassen.

      Später erst mischte er sich zaghaft, gefaßt, daß sich augenblicks alle gegen ihn kehren würden, unter eine der Gruppen.

      Aber man bemerkte ihn gar nicht. Es galt vorläufig erst Basini.

      Die Aufregung wuchs. Törleß konnte es beobachten. Reiting und Beineberg mochten wohl noch Lügen hinzugetan haben. …

      Erst lächelte man, dann wurden einige ernst, und böse Blicke glitten an Basini vorbei, endlich brütete es wie ein dunkles, heißes, von finsteren Gelüsten schwangeres Schweigen über der Klasse.

      Zufällig war ein freier Nachmittag.

      Alle versammelten sich hinten bei den Kästen; dann wurde Basini vorgerufen.

      Beineberg und Reiting standen wie zwei Bändiger zu seinen Seiten.

      Das probate Mittel des Entkleidens machte, nachdem man die Türen verschlossen und Posten ausgestellt hatte, allgemeinen Spaß.

      Reiting hielt ein Päckchen Briefe von Basinis Mutter an diesen in seiner Hand und begann vorzulesen.

      «Mein gutes Kind …»

      Allgemeines Gebrülle.

      «Du weißt, daß ich von dem wenigen Gelde, über das ich als Witwe verfüge …»

      Unflätiges Lachen, zügellose Scherze flattern aus der Masse auf. Reiting will weiterlesen. Plötzlich stößt einer Basini. Ein anderer, auf den er dabei fällt, stößt ihn halb im Scherze, halb in Entrüstung zurück. Ein dritter gibt ihn weiter. Und plötzlich fliegt Basini, nackt, mit von der Angst aufgerissenem Munde, wie ein wirbelnder Ball, unter Lachen, Jubelrufen, Zugreifen aller im Saale umher, – von einer Seite zur andern, – stößt sich Wunden an den scharfen Ecken der Bänke, fällt in die Knie, die er sich blutig reißt, – und stürzt endlich blutig, bestaubt, mit tierischen, verglasten Augen zusammen, während augenblicklich Schweigen eintritt und alles vordrängt, um ihn am Boden liegen zu sehen.

      Törleß schauderte. Er hatte die Macht der fürchterlichen Drohung vor sich gesehen.

      Und immer noch wußte er nicht, was Basini tun werde.

      In der nächsten Nacht sollte Basini an ein Bett gebunden werden, und man hatte beschlossen, ihn mit Florettklingen durchzupeitschen.

      Aber zur allgemeinen Verwunderung erschien schon am frühen Morgen der Direktor in der Klasse. In seiner Begleitung der Klassenvorstand und zwei Lehrer. Basini wurde von der Klasse entfernt und in ein eigenes Zimmer gebracht.

      Der Direktor aber hielt eine zornige Ansprache wegen der zutage getretenen Roheiten und ordnete eine strenge Untersuchung an.

      Basini hatte sich selbst gestellt.

      Jemand mußte ihn von dem ihm Bevorstehenden verständigt haben.

      Gegen Törleß schöpfte niemand Verdacht. Er saß still und in sich gekehrt, als ginge ihn das Ganze gar nichts an.

      Nicht einmal Reiting und Beineberg suchten in ihm den Verräter. Ihre Drohungen gegen ihn hatten sie selbst nicht ernst genommen; sie hatten sie, um ihn einzuschüchtern, um ihre Überlegenheit fühlbar zu machen, vielleicht auch aus Ärger hervorgestoßen; jetzt, wo ihr Zorn vorüber war, dachten sie kaum mehr daran. Schon die Verbindlichkeiten gegen seine Eltern würden sie von einem Vorgehen gegen Törleß zurückgehalten haben. Das war ihnen so selbstverständlich, daß sie sich auch von seiner Seite nicht des geringsten versahen.

      Törleß empfand über seinen Schritt keine Reue. Das Heimliche, Feige, das diesem anhaftete, kam gegenüber dem Gefühle einer gänzlichen Befreiung nicht zur Geltung. Nach all den Aufregungen war es in ihm wundersam klar und weit geworden.

      Er beteiligte sich nicht an den erregten Gesprächen über das zu Erwartende, die allenthalben gepflogen wurden; er lebte den ganzen Tag ruhig vor sich hin.

      Als es Abend wurde und die Lampen brannten, setzte er sich auf seinen Platz, und das Heft, in dem jene flüchtigen Aufzeichnungen eingetragen waren, hatte er vor sich hingelegt.

      Aber er las lange nicht darin. Er strich mit der Hand über die Seiten und ihm war, daß ein feiner Duft aus ihnen aufsteige, wie Lavendel aus alten Briefen. Es war die mit Wehmut gemischte Zärtlichkeit, die wir einer abgeschlossenen Vergangenheit entgegenbringen, wenn wir in dem zarten, blassen Schatten, der mit Totenblumen in den Händen aus ihr aufsteigt, vergessene Ähnlichkeiten mit uns wiederentdecken.

      Und dieser wehmütige feine Schatten, dieser bleiche Duft schien sich in einem breiten, vollen, warmen Strom zu verlieren, – dem Leben, das nun offen vor Törleß lag.

      Eine Entwicklung war abgeschlossen, die Seele hatte einen neuen Jahresring angesetzt wie ein junger Baum, – dieses noch wortlose, überwältigende Gefühl entschuldigte alles, was geschehen war.

      Nun begann Törleß seine Erinnerungen zu durchblättern. Die Sätze, in denen er hilflos das Geschehene – dieses vielfältige Staunen und Betroffensein vom Leben – konstatiert hatte, wurden wieder lebendig, schienen sich zu regen und gewannen Zusammenhang. Wie ein heller Weg lagen sie vor ihm, in den sich die Spuren seiner tastenden Schritte geprägt hatten. Aber noch schien ihnen etwas zu fehlen; kein neuer Gedanke, oh nein; aber sie packten Törleß noch nicht mit voller Lebendigkeit.

      Er fühlte sich unsicher. Und nun kam ihm die Angst, morgen vor seinen Lehrern zu stehen und sich rechtfertigen zu müssen. Womit?! Wie sollte er ihnen das auseinandersetzen? Diesen dunklen, geheimnisvollen Weg, den er gegangen. Wenn sie ihn fragen würden: warum hast du Basini mißhandelt? – so könnte er ihnen doch nicht antworten: weil mich dabei ein Vorgang in meinem Gehirn interessierte, ein Etwas, von dem ich heute trotz allem noch wenig weiß und vor dem alles, was ich darüber denke, mir belanglos erscheint.

      Dieser kleine Schritt, der ihn noch von dem Endpunkte des geistigen Prozesses trennte, den er durchzumachen hatte, schreckte ihn wie ein ungeheurer Abgrund.

      Und ehe es noch Nacht wurde, befand sich Törleß

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