Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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gewisse Gefühl nicht hätten, würden wir uns aus Verzweiflung über unseren armen Verstand töten. Dieses Gefühl begleitet uns beständig, es hält uns zusammen, es nimmt unseren Verstand in jedem zweiten Augenblick schützend in den Arm wie ein kleines Kind. So wie wir uns dessen einmal bewußt geworden sind, können wir das Dasein einer Seele nicht mehr leugnen. So wie wir unser geistiges Leben zergliedern und das Unzureichende des Verstandes erkennen, fühlen wir es förmlich. Fühlen es, – verstehst du, – denn wenn dieses Gefühl nicht wäre, würden wir zusammenklappen wie leere Säcke.

      Wir haben nur verlernt, auf dieses Gefühl zu achten, aber es ist eines der ältesten. Vor tausenden von Jahren haben schon Völker, die tausende Meilen voneinander wohnten, darum gewußt. Wie man sich einmal damit befaßt, kann man diese Dinge gar nicht leugnen. Doch ich will dich nicht mit Worten überreden; ich werde dir nur das nötigste sagen, damit du nicht ganz unvorbereitet bist. Den Beweis werden die Tatsachen erbringen.

      Nimm also an, die Seele existiere, dann ist es doch ganz selbstverständlich, daß wir kein heißeres Bestreben haben können, als den verloren gegangenen Kontakt mit ihr wieder herzustellen, mit ihr wieder vertraut zu werden, ihre Kräfte wieder besser ausnützen zu lernen, Teile der übersinnlichen Kräfte, die in ihrer Tiefe schlummern, für uns zu gewinnen.

      Denn das alles ist möglich, es ist schon mehr als einmal gelungen, die Wunder, die Heiligen, die indischen Gottesschauer sind lauter Beglaubigungen für solche Geschehnisse.»

      «Hör einmal,» warf Törleß ein, «du redest dich jetzt ein wenig in diesen Glauben hinein. Du hast dazu eigens die Lampe auslöschen müssen. Würdest du aber auch so sprechen, wenn wir jetzt unten zwischen den andern säßen, die Geographie, Geschichte lernen, Briefe nach Hause schreiben, wo die Lampen hell brennen und vielleicht der Präfekt um die Bänke geht? Kämen dir da nicht doch deine Worte etwas abenteuerlich vor, etwas anmaßend, als ob wir gar nicht zu denen gehörten, in einer anderen Welt lebten, achthundert Jahre vorher?»

      «Nein, mein lieber Törleß, ich würde dasselbe behaupten. Übrigens ist es ein Fehler von dir, daß du immer nach den andern schielst; du bist zu wenig selbständig. Briefe nach Hause schreiben! Bei solchen Sachen denkst du an deine Eltern! Wer sagt dir, daß sie uns hier überhaupt nur zu folgen vermögen? Wir sind jung, eine Generation später, vielleicht sind uns Dinge vorbehalten, die sie nie in ihrem Leben geahnt haben. Ich wenigstens fühlte es in mir.

      Doch wozu lange reden; ich werde es euch ja beweisen.»

      Nachdem sie einige Zeit geschwiegen hatten, sagte Törleß: «Wie willst du es denn eigentlich anpacken, deiner Seele habhaft zu werden?»

      «Das will ich dir jetzt nicht auseinandersetzen, da ich es ohnedies vor Basini werde tun müssen.»

      «Aber beiläufig kannst du es wenigstens sagen.»

      «Nun ja. Die Geschichte lehrt, daß es hiezu nur einen Weg gibt: die Versenkung in sich selbst. Nur ist das eben das Schwierige. Die alten Heiligen zum Beispiel, zu der Zeit, wo die Seele sich noch in Wundern äußerte, konnten dieses Ziel durch inbrünstiges Gebet erreichen. Zu jener Zeit war eben die Seele von anderer Art, denn heute versagt dieser Weg. Heute wissen wir nicht, was wir tun sollen; die Seele hat sich verändert, und es liegen leider Zeiten dazwischen, wo man dem nicht die richtige Aufmerksamkeit gewidmet hat und der Zusammenhang unwiederbringlich verloren ging. Einen neuen Weg können wir nur durch sorgfältigste Überlegung finden. Hiemit habe ich mich während der letzten Zeit intensiv beschäftigt. Am nächsten dürfte man wohl mit Hilfe der Hypnose gelangen. Nur ist es noch nie versucht worden. Man macht da immer nur so alltägliche Kunststückchen, weswegen die Methoden noch nicht darauf erprobt sind, ob sie auch zu Höherem führen. Das letzte, was ich hierüber jetzt schon sage, ist, daß ich Basini nicht nach dieser landläufigen Art hypnotisieren werde, sondern nach meiner eigenen, die, wenn ich nicht irre, einer schon im Mittelalter angewandten ähnlich ist.»

      «Ist dieser Beineberg nicht kostbar?» lachte Reiting. «Nur hätte er zur Zeit der Weltuntergangsprophezeiungen leben sollen, dann hätte er am Ende wirklich geglaubt, daß es seine Seelenmagie gewesen sei, deretwegen die Welt bestehen blieb.»

      Als Törleß auf diesen Spott hin Beineberg ansah, bemerkte er, daß dessen Gesicht ganz starr wie in krampfhafter Aufmerksamkeit verzerrt war. Sm nächsten Augenblick fühlte er sich von eiskalten Fingern gefaßt. Törleß erschrak über diese hochgradige Aufregung; dann löste sich die Spannung der ihn umklammernden Hand. «Oh, es war nichts. Nur ein Gedanke. Mir war, als sollte mir etwas Besonderes einfallen, ein Fingerzeig, wie es zu machen sei. …»

      «Hörst du, du bist wirklich ein wenig angegriffen,» sagte Reiting in jovialer Weise, «sonst warst du doch ein eiserner Kerl und betriebst so etwas nur als Sport; jetzt aber bist du wie ein Frauenzimmer.»

      «Ach was – du hast eben keine Ahnung, was das heißt, solche Dinge in der Nähe zu wissen, jeden Tag schon vor ihrem Besitze zu stehen!»

      «Streitet nicht,» sagte Törleß – er war im Laufe der wenigen Wochen weit fester und energischer geworden – «meinetwegen kann jeder machen, was er will; ich glaube an gar nichts. Weder deinen geriebenen Quälereien, Reiting, noch Beinebergs Hoffnungen. Und selbst weiß ich nichts zu sagen. Ich warte ab, was ihr herausbringt.»

      «Wann also?»

      Es wurde die zweitnächste Nacht bestimmt.

      Törleß ließ sie widerstandslos an sich herankommen. In dieser neu entstandenen Situation war auch sein Gefühl für Basini völlig erkaltet. Das war sogar eine ganz glückliche Lösung, weil sie wenigstens mit einem Schlage von dem Schwanken zwischen Beschämung und Begierde befreite, aus dem Törleß durch eigene Kraft nicht herauskam. Jetzt hatte er wenigstens einen geraden, klaren Widerwillen gegen Basini, als ob die diesem zugedachten Demütigungen auch ihn beschmutzen könnten.

      Im übrigen war er zerstreut und mochte an nichts ernst denken; am allerwenigsten an das, was ihn einst so beschäftigte.

      Erst als er mit Reiting die Treppe zum Boden hinaufstieg, während Beineberg mit Basini schon vorausgegangen war, wurde die Erinnerung an das einst in ihm Gewesene lebhafter. Die selbstbewußten Worte wollten ihm nicht aus dem Kopfe, die er in dieser Angelegenheit Beineberg vorgeworfen hatte, und er sehnte sich, diese Zuversicht wieder zu gewinnen. Zögernd hielt er auf jeder Stufe den Fuß zurück. Aber die alte Gewißheit kehrte nicht wieder. Er erinnerte sich zwar aller Gedanken, die er damals gehabt hatte, aber sie schienen ferne an ihm vorüberzugehen, als seien sie nur die Schattenbilder des einst Gedachten.

      Schließlich, da er in sich nichts fand, richtete sich seine Neugierde wieder auf die Ereignisse, die von außen kommen sollten, und trieb ihn vorwärts.

      Mit raschen Schritten eilte er hinter Reiting die übrigen Stufen hinauf.

      Während sich die eiserne Tür knarrend hinter ihnen schloß, fühlte er seufzend, daß Beinebergs Vorhaben zwar nur ein lächerlicher Hokuspokus sei, aber doch wenigstens etwas Festes und Überlegtes, während in ihm alles in undurchsichtiger Verwirrung lag.

      Auf einem querlaufenden Balken nahmen sie Platz, – in erwartungsvoller Spannung wie in einem Theater.

      Beineberg war mit Basini schon da.

      Die Situation schien seinem Vorhaben günstig. Das Dunkel, die abgestandene Luft, der faule, süßliche Geruch, der den Wasserbottichen entströmte, schufen ein Gefühl des Einschlafens, Nichtmehraufwachenkönnens, eine müde, lässige Trägheit.

      Beineberg hieß Basini sich zu entkleiden. Die Nacktheit hatte jetzt in dem Dunkel einen bläulichen, faulen Schimmer und wirkte durchaus nicht erregend.

      Plötzlich zog Beineberg den Revolver aus der Tasche und hielt

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