Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Beineberg lächelte. Eigentümlich verzerrt; so als ob er es gar nicht wollte, sondern nur das Heraufdrängen irgendwelcher fanatischer Worte seine Lippen zur Seite geschoben hätte.

      Basini war wie gelähmt in die Knie gesunken und starrte mit angstvoll aufgerissenen Augen die Waffe an.

      «Steh auf,» sagte Beineberg, «wenn du alles genau befolgst, was ich dir sage, soll dir kein Leid geschehen; wie du mich aber durch den geringsten Widerspruch störst, schieße ich dich nieder. Merk dir das!

      Ich werde dich allerdings auch so töten, aber du wirst wieder zum Leben zurückkommen. Das Sterben ist uns nicht so fremd, wie du meinst; wir sterben täglich – im tiefen, traumlosen Schlafe.»

      Wieder verzog das wirre Lächeln Beinebergs Mund.

      «Knie dich jetzt da oben hin,» – in halber Höhe lief ein breiter, wagrechter Balken, – «so – ganz aufrecht – halte dich völlig gerade – das Kreuz mußt du einziehen. Und jetzt schau fort da drauf; aber ohne zu blinzeln, die Augen mußt du so weit öffnen, als du nur kannst!»

      Beineberg stellte eine kleine Spiritusflamme so vor ihn hin, daß er den Kopf ein wenig zurückbeugen mußte, um voll hineinzusehen.

      Man konnte nicht viel wahrnehmen, aber nach einiger Zeit schien Basinis Körper zu beginnen, wie ein Pendel hin und her zu schwingen. Die bläulichen Reflexe bewegten sich auf seiner Haut auf und ab. Hie und da glaubte Törleß, Basinis Gesicht mit einem ängstlich verzerrten Ausdrucke wahrzunehmen.

      Nach einiger Zeit fragte Beineberg: «Bist du müde?»

      Diese Frage war in der gewöhnlichen Weise der Hypnotiseure gestellt.

      Dann begann er mit leiser, verschleierter Stimme zu erklären:

      «Das Sterben ist nur eine Folge unserer Art zu leben. Wir leben von einem Gedanken zum andern, von einem Gefühl zum nächsten. Denn unsere Gedanken und Gefühle fließen nicht ruhig wie ein Strom, sondern sie ‹fallen uns ein›;, fallen in uns hinein wie Steine. Wenn du dich genau beobachtest, fühlst du es, daß die Seele nicht etwas ist, das in allmählichen Übergängen seine Farben wechselt, sondern daß die Gedanken wie Ziffern aus einem schwarzen Loch daraus hervorspringen. Jetzt hast du einen Gedanken oder ein Gefühl, und mit einem Male steht ein anderes da wie aus dem Nichts gesprungen. Wenn du aufmerkst, kannst du sogar zwischen zwei Gedanken den Augenblick spüren, wo alles schwarz ist. Dieser Augenblick ist, – einmal erfaßt, für uns geradezu der Tod.

      Denn unser Leben ist nichts anderes als Marksteine setzen und von einem zum anderen hüpfen, täglich über tausend Sterbesekunden hinweg. Wir leben nur gewissermaßen in den Ruhepunkten. Deswegen haben wir auch eine so lächerliche Furcht vor dem unwiderruflichen Sterben, denn es ist das schlechthin Marksteinlose, der unermeßliche Abgrund, in den wir hineinfallen. Für diese Art zu leben ist es wirklich die völlige Verneinung.

      Aber auch nur unter der Perspektive dieses Lebens, nur für den, der nicht anders gelernt hat sich zu fühlen als von Augenblick zu Augenblick.

      Ich nenne dies das hüpfende Übel, und das Geheimnis besteht darin, es zu überwinden. Man muß das Gefühl seines Lebens als eines ruhig Gleitenden in sich erwecken. In dem Momente, wo dies gelingt, ist man dem Tode ebenso nah wie dem Leben. Man lebt nicht mehr, – nach unseren irdischen Begriffen, – aber man kann auch nicht mehr sterben, denn mit dem Leben hat man auch den Tod aufgehoben. Es ist der Augenblick der Unsterblichkeit, der Augenblick, wo die Seele aus unserem engen Gehirn in die wunderbaren Gärten ihres Lebens tritt.

      Folge mir also jetzt genau.

      Schläfere alle Gedanken ein, starre in diese kleine Flamme; … denke nicht von einem zum andern. … Konzentriere alle Aufmerksamkeit nach innen. … Starre die Flamme an … dein Denken wird wie eine Maschine, die immer langsamer geht … immer … langsamer … geht. … Starre nach innen … so lange, bis du den Punkt findest, wo du dich fühlst, ohne einen Gedanken oder eine Empfindung zu fühlen. …

      Dein Schweigen wird mir die Antwort sein. Wende den Blick nicht von innen weg …!» Minuten verstrichen. …

      «Fühlst du den Punkt …?»

      Keine Antwort.

      «Höre, Basini, ist es dir gelungen?»

      Schweigen.

      Beineberg stand auf, und sein hagerer Schatten richtete sich neben dem Balken in die Höhe. Oben schwang Basinis Körper, von der Dunkelheit trunken, merkbar hin und her.

      «Dreh dich zur Seite,» befahl Beineberg. «Was jetzt gehorcht, ist nur mehr das Gehirn,» murmelte er, «das mechanisch noch eine Weile funktioniert, bis die letzten Spuren verzehrt sind, die ihm die Seele aufdrückte. Sie selbst ist irgendwo – in ihrem nächsten Dasein. Sie trägt nicht mehr die Fesseln der Naturgesetze …,» er wandte sich jetzt an Törleß, «sie ist nicht mehr zur Strafe verurteilt, einen Körper schwer zu machen, zusammenzuhalten. Neige dich vor, Basini, – so – ganz allmählich … immer weiter mit dem Körper hinaus. … Sowie die letzte Spur im Gehirn erloschen sein wird, werden die Muskeln nachlassen und der leere Körper in sich zusammenbrechen. Oder er wird schweben bleiben; ich weiß es nicht; die Seele hat eigenmächtig den Körper verlassen, es ist nicht der gewöhnliche Tod, vielleicht bleibt der Körper in der Luft schweben, weil nichts, keine Kraft des Lebens noch des Todes mehr, sich seiner annimmt. … Neige dich vor … mehr noch.»

      In diesem Augenblick polterte Basinis Körper, der aus Angst allen Befehlen gefolgt war, schwer aufschlagend Beineberg zu Füßen.

      Vor Schmerz schrie Basini auf. Reiting begann laut zu lachen. Beineberg aber, der einen Schritt zurückgewichen war, stieß einen gurgelnden Wutschrei aus, als er den Betrug erfaßt hatte. Mit einer blitzschnellen Bewegung riß er seinen Ledergurt vom Leibe, faßte Basini bei den Haaren und peitschte wie rasend auf ihn ein. Die ganze ungeheure Spannung, unter der er gestanden war, strömte in diesen wütenden Schlägen aus. Und Basini heulte unter ihnen vor Schmerz, daß es wie die Klage eines Hundes in allen Winkeln zitterte.

      Törleß war während des ganzen vorangegangenen Auftrittes ruhig geblieben. Er hatte im stillen gehofft, daß sich vielleicht doch etwas ereignen werde, das ihn wieder mitten in seinen verlorenen Empfindungskreis versetzen würde. Es war eine törichte Hoffnung, dessen blieb er sich stets bewußt, aber sie hatte ihn doch festgehalten. Nun schien ihm jedoch, daß alles vorbei sei. Die Szene widerte ihn an. Ganz gedankenlos; stummer, toter Widerwille.

      Er erhob sich leise und ging ohne ein Wort zu sagen fort. Ganz mechanisch.

      Beineberg schlug sich noch immer an Basini müde.

      Als Törleß im Bette lag, fühlte er: ein Abschluß. Etwas ist vorbei.

      Während der nächsten Tage oblag er ruhig seinen Arbeiten in der Schule; er kümmerte sich um nichts; Reiting und Beineberg mochten wohl einstweilen ihr Programm Punkt für Punkt in Szene setzen, Törleß ging ihnen aus dem Wege.

      Da trat am vierten Tage, als gerade niemand zugegen war, Basini auf ihn zu. Er sah elend aus, sein Gesicht war bleich und abgemagert, in seinen Augen flackerte das Fieber einer beständigen Angst. Mit scheuen Seitenblicken, in hastigen Worten stieß er hervor: «Du mußt mir helfen! Nur du kannst es tun! Ich halte es nicht mehr länger aus, wie sie mich quälen. Alles Frühere habe ich ertragen, … jetzt aber werden sie mich noch totschlagen!»

      Törleß war es unangenehm, hierauf eine Antwort zu geben. Endlich sagte er: «Ich kann dir nicht helfen; du selbst bist an allem schuld, was mit dir geschieht.»

      «Aber du warst

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