Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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– unbestimmt, – als ob sich eben etwas Unsagbares in dir vollzogen hätte?»

      «Gott, ich verstehe dich nicht; ich weiß nicht, was du willst; ich kann dir nichts, gar nichts sagen.»

      «So paß auf; ich werde dir jetzt befehlen, dich wieder auszukleiden.»

      Basini lächelte.

      «Dich platt da vor mir auf die Erde zu legen. Lach nicht! Ich befehle es dir wirklich! Hörst du?! Wenn du nicht augenblicklich folgst, so wirst du sehen, was dir bevorsteht, wenn Reiting zurückkommt! … So. Siehst du, jetzt liegst du nackt vor mir auf der Erde. Du zitterst sogar; es friert dich? Ich könnte jetzt auf deinen nackten Leib speien, wenn ich wollte. Drücke nur den Kopf fest auf die Erde; sieht der Staub am Boden nicht merkwürdig aus? Wie eine Landschaft voll Wolken und Felsblöcken so groß wie Häuser? Ich könnte dich mit Nadeln stechen. Da in der Nische, bei der Lampe liegen noch welche. Fühlst du sie schon auf der Haut? … Aber ich will nicht … Ich könnte dich bellen lassen, wie es Beineberg getan hat, den Staub auffressen lassen wie ein Schwein, ich könnte dich Bewegungen machen lassen – du weißt schon –, und du müßtest dazu seufzen: Oh meine liebe Mut…» Doch Törleß hielt jäh in dieser Lästerung inne. «Aber ich will nicht, will nicht, verstehst du?!»

      Basini weinte. «Du quälst mich …»

      «Ja, ich quäle dich. Aber nicht darum ist es mir; ich will nur eines wissen: Wenn ich all das wie Messer in dich hineinstoße, was ist in dir? Was vollzieht sich in dir? Zerspringt etwas in dir? Sag! Jäh wie ein Glas, das plötzlich in tausend Splitter geht, bevor sich noch ein Sprung gezeigt hat? Das Bild, das du dir von dir gemacht hast, verlöscht es nicht mit einem Hauche; springt nicht ein anderes an seine Stelle, wie die Bilder der Zauberlaternen aus dem Dunkel springen? Verstehst du mich denn gar nicht? Näher erklären kann ich’s dir nicht; du mußt mir selbst sagen …!»

      Basini weinte ohne aufzuhören. Seine mädchenhaften Schultern zuckten; er brachte immer nur dasselbe hervor: «Ich weiß nicht, was du willst; ich kann dir nichts erklären; es geschieht im Augenblicke; es kann dann gar nicht anders geschehen; du würdest ebenso handeln wie ich.»

      Törleß schwieg. Er blieb erschöpft, reglos an der Wand lehnen und starrte vor sich hin, geradeaus ins Leere.

      «Wenn du in meiner Situation wärest, würdest du geradeso handeln», hatte Basini gesagt. Da war das Geschehene als eine einfache Notwendigkeit, ruhig und ohne Verzerrung.

      Törleß’ Selbstbewußtsein lehnte sich in heller Verachtung selbst gegen die bloße Zumutung auf. Und doch schien ihm diese Auflehnung seines ganzen Wesens keine befriedigende Gewähr zu bieten. «… ja, ich würde mehr Charakter haben als er, ich würde solche Zumutungen nicht ertragen, – aber ist dies auch von Belang? Ist es von Belang, daß ich aus Festigkeit, aus Anständigkeit, aus lauter Gründen, die mir jetzt ganz nebensächlich sind, anders handeln würde? Nein, nicht daran liegt’s, wie ich handeln würde, sondern daran, daß ich, wenn ich einmal wirklich so handelte wie Basini, ebensowenig Außergewöhnliches dabei empfinden würde wie er. Dies ist das Eigentliche: mein Gefühl meiner selbst würde genau so einfach und von allem Fragwürdigen entfernt sein wie das seine …»

      Dieser Gedanke, welcher – in abgerissenen, übereinander greifenden, immer wieder von vorne anfangenden Sätzen gedacht – der Verachtung für Basini einen ganz intimen, leisen, aber weit tiefer als Moral an das innerste Gleichgewicht rührenden Schmerz hinzufügte, kam von der Erinnerung an eine kurz vorher gehabte Empfindung, die Törleß nicht losließ. Als ihm nämlich durch Basini die möglicherweise von Reiting und Beineberg drohende Gefahr zur Kenntnis kam, war er einfach erschrocken. Einfach erschrocken wie bei einem Überfall, und hatte ohne Überlegen blitzschnell nach Paraden und Deckungen gesucht. Das war nun im Augenblicke einer wirklichen Gefahr gewesen; und die Empfindung, die er dabei gehabt hatte, reizte ihn. Diese raschen, gedankenlosen Impulse. Er versuchte ganz vergebens sie wieder in sich auszulösen. Aber er wußte, daß sie der Gefahr augenblicks alles Sonderbare und Zweideutige genommen hatten.

      Und doch war es dieselbe Gefahr gewesen, die er vor einigen Wochen erst an derselben Stelle geahnt hatte. Damals, als er so eigen wegen der Kammer erschrocken war, die wie ein vergessenes Mittelalter abseits von dem warmen und hellen Leben der Lehrsäle lag, und über Beineberg und Reiting, weil sie aus den Menschen, die sie dort waren, plötzlich etwas anderes, Düsteres, Blutgieriges, Personen in einem ganz anderen Leben geworden zu sein schienen. Damals war dies eine Verwandlung, ein Sprung für Törleß, als ob das Bild seiner Umgebung plötzlich in andere, aus hundertjährigem Schlafe erwachte Augen fiele.

      Und doch war es dieselbe Gefahr gewesen … Unaufhörlich wiederholte er sich dies. Und immer wieder versuchte er, die Erinnerungen der beiden verschiedenen Empfindungen miteinander zu vergleichen –

      Basini hatte sich mittlerweile längst aufgerichtet; er bemerkte den stieren, geistesabwesenden Blick seines Gefährten, leise nahm er seine Kleider auf und schlich sich davon.

      Törleß sah es, – wie durch einen Nebel hindurch, – aber er ließ es wortlos geschehen.

      Seine Aufmerksamkeit war ganz durch das Bestreben gefesselt, jenen Punkt in ihm wieder aufzufinden, wo plötzlich jener Wechsel in der innerlichen Perspektive stattgefunden hatte.

      Aber sooft er in dessen Nähe kam, erging es ihm wie einem, der Nahes mit Fernem vergleichen will: er erhaschte nie die Erinnerungsbilder beider Gefühle zugleich, sondern jedesmal ging wie ein leiser Knacks zwischendurch ein Gefühl, wie es im Körperlichen etwa den kaum merkbaren Muskelempfindungen entspricht, die das Einstellen des Blickes begleiten. Und jedesmal beanspruchte dies gerade im entscheidenden Momente die Aufmerksamkeit für sich, die Tätigkeit des Vergleichens drängte sich vor den Gegenstand des Vergleiches, es gab einen kaum fühlbaren Ruck, – und alles stand still.

      Und immer wieder begann Törleß von neuem.

      Dieser Prozeß von mechanischer Gleichmäßigkeit schläferte ihn in einen starren, wachen, eiskalten Schlaf, der ihn reglos an seinem Platze festhielt. Unbestimmt lange.

      Erst ein Gedanke weckte Törleß auf wie die leise Berührung einer warmen Hand. Ein anscheinend so selbstverständlicher Gedanke, daß sich Törleß wunderte, nicht schon längst auf ihn verfallen zu sein.

      Ein Gedanke, der gar nichts tat als die eben gemachte Erfahrung registrieren: es kommt immer einfach, unverzerrt, in natürlichen, alltäglichen Proportionen, was von ferne so groß und geheimnisvoll aussieht. So als ob eine unsichtbare Grenze um den Menschen gezogen wäre. Was sich außerhalb vorbereitet und von ferne herannaht, ist wie ein nebliges Meer voll riesenhafter, wechselnder Gestalten; was an ihn herantritt, Handlung wird, an seinem Leben sich stößt, ist klar und klein, von menschlichen Dimensionen und menschlichen Linien. Und zwischen dem Leben, das man lebt, und dem Leben, das man fühlt, ahnt, von ferne sieht, liegt wie ein enges Tor die unsichtbare Grenze, in dem sich die Bilder der Ereignisse zusammendrücken müssen, um in den Menschen einzugehen.

      Und doch, so sehr dies seiner Erfahrung entsprach, beugte Törleß nachdenklich den Kopf.

      «Ein sonderbarer Gedanke –» fühlte er.

      Endlich lag er in seinem Bett. Er dachte an gar nichts mehr, denn das Denken fiel so schwer und war so fruchtlos. Was er über die Heimlichkeiten seiner Freunde erfahren hatte, zog ihm zwar durch den Sinn, aber so gleichgültig und leblos wie eine Nachricht, die man in einer fremden Zeitung liest.

      Von Basini war nichts mehr zu hoffen. Freilich, sein Problem! – Aber es war so fraglich und er so müde und so zerschlagen. Eine Täuschung vielleicht – das Ganze.

      Nur der Anblick Basinis, seiner nackten, leuchtenden Haut, duftete wie ein Fliederstrauch in das Dämmern der Empfindungen, das dem Schlafe vorausging.

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