Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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dem Druck des seelischen Eigengewichts entlastet, noch ein irgendwo schwebendes Leben führte.

      Draußen tobte lautlos die Landschaft. Ihre Gedanken fühlten die Menschen so groß und laut und sicher werden, und sie schlüpfte davor in sich hinein und hatte nichts als ihr Nichtssein, ihre Schwerlosigkeit, ein Treiben auf irgend etwas. Und allmählich begann der Zug ganz still, in weichen, langen Schwingungen durch eine Gegend zu fahren, die noch in tiefem Schnee lag, der Himmel wurde immer niedriger und es dauerte nicht lange, so fing er schon auf wenige Schritte an, in dunklen, grauen Vorhängen von langsam dahintreibenden Flocken auf der Erde zu schleifen. In den Wagen wurde es dämmrig und gelb, die Umrisse ihrer Mitreisenden hoben sich nur mehr ungewiß vor Claudine ab, sie schwankten langsam und unwirklich hin und her. Sie wußte nicht mehr, was sie dachte, nur ganz still faßte sie eine Lust am Alleinsein mit fremden Erlebnissen; es war wie ein Spiel leichtester, unfaßbarster Trübungen und großer, danach tastender, schattenhafter Bewegungen der Seele. Sie suchte sich ihres Mannes zu erinnern, aber sie fand von ihrer fast vergangenen Liebe nur eine wunderliche Vorstellung wie von einem Zimmer mit lange geschlossenen Fenstern. Sie mühte sich, das abzuschütteln, aber es wich nur ganz wenig und blieb irgendwo in der Nähe wieder liegen. Und die Welt war so angenehm kühl wie ein Bett, in dem man allein zurückbleibt … Da war ihr, als stünde ihr eine Entscheidung bevor, und sie wußte nicht, warum sie es so empfand, und sie war nicht glücklich und nicht entrüstet, sie fühlte bloß, daß sie nichts tun und nichts hindern wollte, und ihre Gedanken wanderten langsam draußen in den Schnee hinein, ohne zurückzusehen, immer weiter und weiter, wie wenn man zu müd ist um umzukehren und geht und geht.

      Gegen Ende der Fahrt hatte der Herr gesagt: «Ein Idyll, eine verzauberte Insel, eine schöne Frau im Mittelpunkt eines Märchens von weißen Dessous und Spitzen …» und er machte eine Bewegung gegen die Landschaft. «Wie albern,» dachte Claudine, aber sie fand nicht gleich die rechte Antwort.

      Es war, wie wenn einer angepocht hat und ein dunkles, großes Gesicht hinter blassen Scheiben schwimmt. Sie wußte nicht, wer dieser Mensch war; es war ihr gleichgültig, wer dieser Mensch war; sie fühlte nur, daß er dastand und etwas wollte. Und daß jetzt etwas begann wirklich zu werden.

      Wie wenn zwischen Wolken sich ein leiser Wind erhebt und sie in eine Reihe ordnet und langsam davonzieht, spürte sie in das reglos weiche Gewölk ihrer Gefühle die Bewegung dieses Wirklichwerdens geraten, ohne Grund in ihr, an ihr vorbei … Und sie liebte wie manche empfindsame Menschen in dem unverständlichen Ziehen von Tatsachen das Nichtgeistige, das Nicht sie sein, die Ohnmacht und die Schande und das Leid ihres Geistes, wie man ein Schwaches aus Zärtlichkeit schlägt, ein Kind, eine Frau, und dann das Kleid sein möchte, das im Dunkeln allein um seine Schmerzen ist.

      So kamen sie an, am späten Nachmittag, in einem entleerten Zug, einzeln sickerten die Menschen aus den Wagen; Station um Station, hatte sie aus den andern herausgesiebt und nun fegte sie etwas mit raschen Griffen zusammen, denn zu der einstündigen Fahrt von der Bahn in den Ort standen nur drei Schlitten bereit, und man mußte teilen. Als Claudine wieder zu überlegen begann, fand sie sich schon mit vier anderen Menschen in einem der kleinen Gefährte. Von vorn kam der fremde Geruch der in der Kälte dampfenden Tiere und Wellen verstreuten Lichts, das aus den Laternen zurückfiel, zuweilen aber flutete die Finsternis bis an den Schlitten heran und durch ihn hindurch; dann sah Claudine, daß sie zwischen zwei Reihen hoher Bäume fuhren wie in einem dunklen Gang, der gegen ein Ziel zu immer enger wurde.

      Sie saß wegen der Kälte mit dem Rücken dagegen, vor ihr war jener Mensch, groß, breit und in seinen Pelz gehüllt. Er versperrte ihren Gedanken den Weg, die zurück wollten. Wie wenn ein Tor zugefallen wäre, fand plötzlich jeder Blick seine dunkle Figur vor sich. Es fiel ihr auf, daß sie ihn einige Male anblickte, um zu wissen, wie er aussah, in einer Weise, als handelte es sich nur mehr darum und alles andere sei schon bestimmt. Aber sie fühlte mit Lust, daß er ganz ungewiß blieb, ein Beliebiger, nur eine dunkle Breite von Fremdheit. Und manchmal schien die ihr näherzukommen, wie ein wandernder Wald mit einem Gewirr von Stämmen. Und auf ihr zu lasten.

      Wie ein Netz spannte sich inzwischen das Gespräch um die Menschen in dem kleinen Schlitten. Auch er beteiligte sich daran und gab alltäglich kluge Antworten, wie sie manche geben, mit etwas jener Würze, die wie ein scharfer, sicherer Geruch den Mann vor der Frau umkleidet. Sie wurde in diesen Augenblicken wie selbstverständlichen männlichen Herrschaftsanspruchs verlegen und erinnerte sich mit Scham, daß sie seine Anspielungen nicht strenger zurückgewiesen hatte. Und wenn sie dann sprechen mußte, schien ihr, daß es zu bereitwillig geschah, und sie hatte plötzlich von sich ein kraftloses, abgebrochenes, wie ein Armstumpf fuchtelndes Gefühl.

      Dann bemerkte sie wohl, wie sie willenlos hin und her geschleudert wurde und bei jeder Krümmung des Wegs bald an den Armen berührt, bald an den Knien, manchmal mit dem ganzen Oberkörper an einem fremden lehnend, und sie empfand es durch irgendeine entfernte Ähnlichkeit, wie wenn dieser kleine Schlitten ein verfinstertes Zimmer wäre und diese Menschen heiß und drängend um sie säßen und sie ängstlich Schamlosigkeiten ertrüge, lächelnd, als ob sie es nicht merke, und die Augen gradaus von sich weggerichtet.

      Aber alles das war, wie wenn man im Halbschlaf einen schweren Traum empfindet, dessen Unwirklichkeit man stets ein wenig bewußt bleibt, und sie wunderte sich nur, ihn so stark zu fühlen, bis der Mensch sich einmal hinausbeugte, zum Himmel hinaufsah und sagte: «Wir werden eingeschneit werden.»

      Da sprangen ihre Gedanken wie mit einem Schlage ins ganz Wache hinüber. Sie sah auf, die Leute scherzten heiter und harmlos, wie wenn man am Ende einer Dunkelheit Licht und kleine Gestalten sieht. Und sie hatte mit einemmal ein merkwürdig gleichgültiges, nüchternes Bewußtsein von Wirklichkeit. Sie merkte mit Verwunderung, daß sie sich trotzdem berührt empfand und es stark fühlte. Es ängstigte sie beinahe, denn es war eine bleiche, fast überklare Bewußtseinshelle, in der nichts in das bloß Ungefähre von Träumen versinken konnte, durch die sich kein Gedanke bewegte und in der doch die Menschen zuweilen zackig und maßlos groß wie Hügel wurden, als glitten sie plötzlich durch einen unsichtbaren Nebel, in dem das Wirkliche zu einem riesigen schattenhaften zweiten Umriß wuchs. Sie fühlte dann beinahe Demut und Furcht vor ihnen und verlor doch nie vollkommen die Empfindung, daß diese Schwäche nur ein seltsames Vermögen sei; es war, als hätten sich die Grenzen ihres Seins unsichtbar und empfindsam über sie hinausgeschoben, und alles stieß leis daran und machte sie zittern. Und sie erschrak zum erstenmal vor diesem sonderbaren Tag, dessen Einsamkeit mit ihr wie ein unterirdischer Weg allmählich in das wirre Flüstern innerer Dämmerungen versunken war und nun in ferner Gegend sich plötzlich in unnachgiebig wahrhaftes Geschehen emporhob und sie mit einer weiten, fremden, ungewollten Wirklichkeit allein ließ.

      Sie sah heimlich zu dem Fremden hinüber. Er zündete in diesem Augenblick ein Streichholz an; sein Bart, ein Auge leuchteten auf: sie fühlte auch dieses nichtssagende Handeln mit einemmal so merkwürdig, sie empfand plötzlich die Festigkeit in diesem Geschehen, wie selbstverständlich sich eins ans andere schloß und da war, dumm und ruhig und doch wie eine einfache, ungeheure, steinern gefügte Gewalt. Sie dachte daran, daß es gewiß nur ein alltäglicher Mensch sei. Und da befiel sie allmählich ein leises, verwehtes, ungreifbares Gefühl von sich; aufgelöst und zerfetzt, wie blasser, flockender Schaum glaubte sie in der Dunkelheit vor ihm zu schwimmen. Es bereitete ihr jetzt einen wunderlichen Reiz, ihm freundlich zu antworten; sie sah dabei machtlos, mit regloser Seele ihren eigenen Handlungen nach und fühlte einen zwischen Lust und Erleiden zerspaltenen Genuß an sich, wie in dem plötzlich vertieften Innenraum einer großen Erschöpfung kauernd.

      Einmal aber fiel ihr ein, daß es früher manchmal in solcher Weise begonnen hatte. Da streifte sie, bei dem Gedanken solcher Wiederkehr, einen Augenblick lang ein schwirrendes, willenlos begehrliches Entsetzen wie vor einer noch namenlosen Sünde; sie dachte plötzlich, ob er bemerkt haben mochte, daß sie ihn ansah, und es füllte sich ihr Körper mit einer leisen, fast unterwürfigen Sinnlichkeit wie ein dunkles Versteck um die Heimlichkeit seiner Seele. Der Fremde jedoch saß groß und ruhig in der Finsternis und lächelte bloß manchmal oder auch das schien ihr nur so.

      So

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