Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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noch bei jenem versunkenen Traumgefühl … irgendwo … eine Wohnung tauchte auf … Menschen … eine gräßliche, verstrickte Angst … Und dann ein Erröten, ein Weichwerden der Lippen … und plötzlich das Bewußtsein, es wird wieder einer kommen, und ein anderes, vergangenes Gefühl von ihrem gelösten Haar, von ihren Armen, als wäre sie noch mit all dem untreu … Und da, mit einemmal, – mitten in dem ängstlich sich festklammernden Wunsch, sich dem Geliebten zu wahren, ihre bittend gehobenen Hände langsam ermüdend, – der Gedanke: wir waren einander untreu, bevor wir einander kannten … Es war nur ein in stillem Halbsein leuchtender Gedanke, fast nur ein Gefühl; eine wundersam liebliche Bitterkeit, wie im Wind, der sich vom Meer hebt, manchmal ein verwehender herber Atem säumt; fast nur der Gedanke, wir liebten einander, bevor wir einander kannten, – als dehnte sich plötzlich in ihr die unendliche Spannung ihrer Liebe weit über das Gegenwärtige in die Untreue hinaus, aus der sie einst zu ihnen beiden gekommen war wie aus einer früheren Form ihres ewigen Zwischenihnenseins.

      Und sie ließ sich sinken und fühlte wie betäubt lange nichts, als daß sie auf einem kahlen Stuhl vor einem kahlen Tisch saß. Und dann war es wohl jener G. der ihr einfiel, und das Gespräch vor der Reise mit seinen verhüllten Worten; und niemals gesprochene Worte. Und dann, irgendeinmal, kam von einem Spalt des Fensters die feuchte, milde Luft der verschneiten Nacht und strich schweigsam und zärtlich an ihren nackten Schultern herab. Und da begann sie, ganz weh und ferne, wie ein Wind über regenschwarze Felder kommt, begann sie zu denken, daß es eine regenleise, wie ein Himmel eine Landschaft überspannende Lust sein müßte, untreu zu sein, eine geheimnisvoll das Leben schließende Lust …

      Vom nächsten Morgen ab lag eine eigentümliche Luft von Vergangenheit über allem.

      Claudine wollte ins Institut gehen; ihr Erwachen war früh und wie aus klarem, schwerem Wasser; sie erinnerte nichts mehr von dem, was sie während der Nacht bewegt hatte; sie hatte den Spiegel vors Fenster gerückt und steckte ihr Haar auf; im Zimmer war es noch dunkel. Aber als sie sich so – mit angestrengtem Schauen vor einem blinden kleinen Spiegel – frisierte, kam ihr ein Gefühl von sich wie von einem Landmädchen, das sich für den Sonntagsausgang schön macht, und sie empfand ganz stark, daß das für die Lehrer geschah, die sie sehen würde, oder vielleicht für den Fremden, und konnte von da an diese sinnlose Vorstellung nicht wieder los werden. Sie hatte innerlich wohl nichts mit ihr zu tun, aber sie haftete an allem, was Claudine tat, und jede Bewegung erhielt etwas von einer dummsinnlichen, breitbeinigen Geziertheit, die langsam, widerwärtig und unaufhaltsam von der Oberfläche in die Tiefe sickerte. Nach einer Weile ließ sie wirklich die Arme ruhn; aber schließlich war all das zu unvernünftig, um das, was notwendig geschehen mußte, länger zu hindern, und während es bloß so blieb und schwang und mit einem ungreifbaren Gefühl von Nichttunsollen und Gewolltem und Ungewolltem in einer anderen, nebelhafteren, unfesteren Kette als der der wirklichen Entscheidungen das Geschehen begleitete und während Claudinens Hände in ihr weiches Haar griffen und die Ärmel ihres Morgenkleides an den weißen Armen hinaufglitten, schien ihr das nun wieder irgendwann – einstens, immer – so gewesen zu sein und es wurde ihr mit einemmal sonderbar, daß jetzt im Wachen, in der Leere des Morgens, ihre Hände auf und nieder gingen, als gehörten sie nicht zu ihrem Willen, sondern zu irgendeiner gleichgültigen fremden Macht. Und da begann sich langsam die Stimmung der Nacht um sie zu heben, Erinnerungen stiegen bis zu halber Höhe und sanken wieder, eine Spannung war vor diesen kaum vergessenen Erlebnissen wie ein zitternder Vorhang. Vor den Fenstern wurde es hell und ängstlich, Claudine fühlte, wenn sie in dieses gleichmäßige, blinde Licht sah, eine Bewegung wie ein freiwilliges Lösen der Hand und ein langsames, lockendes Abwärtsgleiten zwischen silbern leuchtenden Blasen und fremden, mit großen Augen stehenden Fischen; der Tag begann.

      Sie nahm ein Blatt Papier und schrieb Worte an ihren Mann: «… Alles ist sonderbar. Es wird nur wenige Tage dauern, aber mir ist, als sei ich hoch über mir verschlungen in etwas. Unsere Liebe, sag mir, was sie ist? Hilf mir, ich muß dich hören. Ich weiß, sie ist wie ein Turm, aber mir ist, als fühlte ich nur das Zittern rings um eine schlanke Höhe …»

      Als sie diesen Brief aufgeben wollte, sagte ihr jedoch der Beamte, daß die Verbindung unterbrochen sei.

      Sie ging darauf vor den Ort. Weit, weiß wie ein Meer lag es um die kleine Stadt. Manchmal flog eine Krähe hindurch, manchmal hob sich schwarz ein Strauch heraus. Erst tief unten am Rand, in kleinen, dunklen, zusammenhanglosen Pünktchen, begann wieder das Leben.

      Sie kehrte zurück und ging durch die Straßen des Orts, unruhig, vielleicht eine Stunde lang. Sie bog in alle Gassen, kam nach einiger Zeit das gleiche Stück Wegs in entgegengesetzter Richtung, verließ es dann wieder – nun nach der anderen Seite – kreuzte Plätze, wo sie noch fühlte, wie sie vor wenigen Minuten geschritten war; überall glitt das weiße Schattenspiel der fieberhaft leeren Weite durch diese kleine von der Wirklichkeit abgeschnittene Stadt. Vor den Häusern lagen hohe Wälle aus Schnee; die Luft war klar und trocken; es schneite zwar noch immer, aber nur mehr spärlich und in flachen, fast verdorrten, glitzernden Plättchen, als ob es bald enden wollte. Zuweilen schauten über verschlossenen Türen die Fenster der Häuser ganz hellblau und gläsern auf die Straße und auch unter den Füßen klang es wie Glas. Manchmal aber polterte ein Stück hartgefrornen Schnees eine Traufe hinunter; dann war es noch minutenlang, als starrte ein zackiges Loch, das es in die Stille gerissen hatte. Und plötzlich begann irgendwo eine Hauswand rosarot aufzuleuchten oder zartgelb wie ein Kanarienvogel … Was sie tat, erschien ihr dann seltsam, in überlebendiger Stärke; in der lautlosen Stille schien für einen Augenblick alles Sichtbare in irgendeinem andern Sichtbaren sich wie ein Echo zu wiederholen. Danach sank alles wieder ringsum in sich zusammen; die Häuser standen in unverständlichen Gassen um sie, wie Pilze im Wald beieinanderstehn oder eine Gruppe Sträucher geduckt auf einer weiten Fläche, und ihr war noch ganz groß und schwindlig. Es war etwas wie ein Feuer in ihr, wie eine brennend bittere Flüssigkeit, und während sie ging und dachte, kam sie sich wie ein ungeheures, geheimnisvolles Gefäß durch die Straßen getragen vor, ganz dünnwandig und flammend.

      Da zerriß sie den Brief und sprach bis Mittag im Institut mit den Lehrern.

      In den Zimmern war es still; wenn sie irgendwo von ihrem Platz aus durch die düstern, tiefen Wölbungen ins Freie blickte, erschien es ihr weit, gedämpft, wie mit grauem Schneelicht verhangen. Dann sahen die Menschen sonderbar körperhaft aus, wuchtig und lastend auf betonten Konturen. Sie sprach mit ihnen nur die unpersönlichsten Dinge und hörte nur solche, aber zuweilen war selbst das fast wie eine Hingabe. Sie wunderte sich, denn diese Menschen gefielen ihr nicht, an keinem bemerkte sie auch nur eine Einzelheit, die sie anzog, jeder stieß sie eigentlich durch die Eigenschaften seiner geringeren Lebensschicht bloß ab, und trotzdem fühlte sie das Männliche, Andersgeschlechtliche an ihnen mit einer, wie ihr schien, niemals zuvor erlebten oder doch seit langen Zeiten vergessenen Deutlichkeit. Sie gewahrte, daß es das im Halblicht Gesteigerte des Gesichtseindrucks war, dieses dumpf Gewöhnliche und doch durch seine Häßlichkeit kaum begreifbar Überhöhte, was wie Witterung riesiger, plumper Höhlentiere ungewiß um diese Menschen floß. Und allmählich begann sie jenes alte Gefühl von Schutzlosigkeit auch hier zu erkennen, das sie seit ihrem Alleinsein immer wieder empfand, und es fing ein eigentümliches Empfinden von Unterwürfigkeit an, sie in allen Einzelheiten zu verfolgen, in kleinen Wendungen des Gesprächs, in der Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören mußte, allein schon darin, daß sie überhaupt dasaß und sprach.

      Da wurde Claudine unwillig, fand, daß sie schon zu lange hier säumte, und empfand die Luft und das Halbdunkel der Zimmer eng und verwirrend. Es kam ihr plötzlich und zum erstenmal der Gedanke, daß sie, die sich bloß noch nie von ihrem Manne getrennt hatte, kaum da sie allein war, vielleicht schon wirklich begonnen haben könnte, wieder in ihre Vergangenheit zurückzusinken.

      Was sie jetzt empfand, war nicht mehr bloß unbestimmt streifend, sondern an wirkliche Menschen geknüpft. Und dennoch war es nicht Angst vor ihnen, sondern davor, daß sie sie empfinden konnte, als ob sich, während die Reden dieser Menschen sie einhüllten, heimlich in ihr etwas bewegt und leise gerüttelt hätte; kein einzelnes Gefühl, sondern irgendein Grund, in dem die alle ruhen, –

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