Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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da befiel es sie im geheimen: irgendwo unter diesen lebt ein Mensch, ein unpassender, ein anderer, aber man hätte sich ihm noch anpassen können und man würde nie etwas von dem Ich wissen, das man heute ist. Denn Gefühle leben nur in einer langen Kette anderer, einander haltend, und es kommt bloß darauf an, daß ein Punkt des Lebens sich ohne Lücke an den andern reiht, und es gibt hundert Weisen. Und da durchfuhr sie zum erstenmal seit ihrer Liebe der Gedanke: es ist Zufall; durch irgendeinen Zufall wurde es wirklich und dann hält man es fest. Und sie fühlte sich zum erstenmal undeutlich bis auf den Grund und spürte dieses letzte, die Wurzel, die Unbedingtheit zerstörende, antlitzlose Gefühl von sich in ihrer Liebe, das sie auch sonst immer wieder zu ihr selbst gemacht hätte und sie von niemandem unterschied. Und da war ihr, als müßte sie sich sinken lassen, wieder ins Treibende, ins Unverwirklichte, ins Nirgendzuhause, und sie lief durch die Traurigkeit der leeren Straßen und sah in die Häuser und wollte keine andere Gesellschaft als den Laut ihrer Absätze auf den Steinen, in dem sie sich, bis auf das bloß Lebendige eingeschränkt, laufen hörte, bald vor sich, bald hinter sich.

      Aber während sie damals nur das Zerfallende begriff, den unaufhörlich bewegten Hintergrund unverwirklichter Gefühlsschatten, vor dem jede Kraft sich aneinander zu halten abglitt, die Entwertung, das Unbeweisbare, vom Verstand nicht zu Fassende des eigenen Lebens, und fast weinte, verwirrt und ermüdet von der Verschlossenheit, in die sie eintrat, – hatte sie jetzt, in dem Augenblick, wo es ihr wieder einfiel, was an Vereinigung darin war bis zu Ende erlitten, in dieser durchscheinend, schimmernd dünnen Verletzlichkeit der lebensnotwendigen Einbildungen: das traumdunkelenge Nur durch den andern sein, das Inseleinsame des Nichterwachendürfens, dieses wie zwischen zwei Spiegeln Gleitende der Liebe, hinter denen man das Nichts weiß, und sie fühlte hier in diesem Zimmer, von ihrem falschen Geständnis wie von einer Maske bedeckt, auf das Abenteuer eines andern Menschen in ihr wartend, das wunderbare, gefahrvolle, steigernde Wesen der Lüge und des Betrugs in der Liebe, – heimlich aus sich heraustreten, ins nicht mehr dem andern Erreichbare, ins Gemiedene, in die Auflösung des Alleinseins, um der großen Wahrhaftigkeit willen in die Leere die zuweilen, einen Augenblick lang, sich hinter den Idealen auftut.

      Und mit einemmal hörte sie verheimlichte Schritte, ein Knarren der Treppe, ein Stehenbleiben; vor ihrer Tür ein leise auf der Diele knarrendes Stehenbleiben.

      Ihre Augen richteten sich gegen den Eingang; es erschien ihr sonderbar, daß hinter diesen dünnen Brettern ein Mensch stand; sie fühlte nur den Einfluß des Gleichgültigen dabei, des Zufälligen dieser Tür, an deren beiden Seiten sich Spannungen, einander unfindbar, stauten.

      Sie hatte sich schon entkleidet. Auf dem Stuhl vor dem Bett lagen ihre Röcke noch so, wie sie sie eben von sich gestreift hatte. Die Luft dieses heute an den, morgen an jenen vermieteten Zimmers betastete sich mit dem Duft von ihrer Innenseite. Sie sah im Zimmer umher. Sie bemerkte ein messingnes Schloß, das schief an einer Kommode herabhing, ihre Augen weilten auf einem kleinen, zerschabten, von vielen Füßen vertretenen Teppich vor ihrem Bett. Sie dachte plötzlich an den Geruch, der von der Haut dieser Füße ausging und hineinging, in Seelen fremder Menschen hineinging, vertraut, schützend wie der Geruch des Elternhauses. Es war eine eigentümlich zwiefältig flimmernde Vorstellung, bald fremd und ekelerregend, bald unwiderstehlich, als strömte die Eigenliebe aller dieser Menschen in sie herüber und ihr bliebe nichts von sich als ein zusehendes Bemerken. Und noch immer stand jener Mensch vor ihrer Tür und regte sich nur in kleinen, unwillkürlichen Lauten.

      Da packte sie eine Lust, sich auf diesen Teppich zu werfen, die ekligen Spuren dieser Füße zu küssen und wie eine schnuppernde Hündin sich an ihnen zu erregen. Aber es war nicht Sinnlichkeit, sondern nur mehr etwas, das wie ein Wind heulte oder wie ein Kind schrie. Sie kniete sich plötzlich zur Erde, die steifen Blumen des Teppichs rankten sich größer und verständnislos vor ihren Augen, sie sah ihre schweren, frauenhaften Schenkel häßlich darüber gebeugt wie etwas ganz Sinnloses und doch mit einem unverständlichen Ernst Gespanntes, ihre Hände starrten einander auf dem Boden wie zwei fünffach gegliederte Tiere an, die Lampe draußen fiel ihr mit einemmal ein, mit ihren grauenhaft stumm an der Decke wandernden Ringen, die Wände, die kahlen Wände, die Leere und wieder der Mensch, der dort stand, manchmal bewegt, knarrend wie ein Baum in der Rinde, sein drängendes Blut wie buschiges Laubwerk im Kopf, während sie hier auf den Gliedern lag, bloß hinter einer Tür, und irgendwie trotzdem die volle Süße ihres reifen Leibs empfand, mit jenem unverlornen Rest von Seele, der noch bei zerstörenden Verletzungen reglos neben der auseinanderbrechenden Entstelltheit steht, in ein schweres, ununterbrochenes Wahrnehmen davon weggerichtet, wie neben einem gefallenen Tier.

      Dann hörte sie vorsichtig den Menschen fortgehn. Und begriff plötzlich, noch herausgerissen aus sich, daß das die Untreue war; stärker bloß als die Lüge.

      Sie richtete sich langsam auf den Knien empor. Sie starrte in das Unbegreifliche, daß es jetzt schon wirklich gewesen sein könnte, und zitterte, wie wenn man bloß vom Zufall, ohne eigene Kraft aus einer Gefahr befreit wurde. Und versuchte es auszudenken. Sie sah ihren Körper unter dem des Fremden liegen, mit einer Deutlichkeit der Vorstellung, die wie kleines Gerinnsel in alle Einzelheiten floß, sie fühlte ihr Blaßwerden und die errötenden Worte der Hingabe und die Augen des Menschen, niederhaltend über ihr stehend, gespreitet über ihr stehend, gesträubte Augen wie Raubvogelflügel. Und dachte fortwährend: das ist die Untreue. Und es fiel ihr ein, wenn sie von dem zu ihm zurückkäme, müßte er sagen: ich kann dich nicht von innen fühlen, und sie hatte als Antwort nur ein wehrloses Lächeln, ein Lächeln: glaub mir, es war nichts gegen uns, – und empfand trotzdem in diesem Augenblick ihr Knie sinnlos gegen den Boden gepreßt, wie ein Ding, und fühlte sich darin, unzugänglich, mit dieser wehen, ungeschützten Gebrechlichkeit der innersten Menschenmöglichkeiten, die kein Wort, keine Wiederkehr festhält und in den Zusammenhang des Lebens ordnet. Es war kein Gedanke mehr in ihr, sie wußte nicht, ob sie unrecht tat, es war alles um sie wie ein seltsamer, einsamer Schmerz. Ein Schmerz, der wie ein Raum war, ein aufgelöster, schwebender und doch wie um ein mildes Dunkel zusammenhängender, leise steigender Raum. Es blieb unter ihm allmählich ein starkes, deutliches, gleichgültiges Licht zurück, in dem sie alles sah, was sie tat, diesen stärktsten, aus ihr herausgerissenen Ausdruck der Überwältigung, diese größte vermeintliche Heraufgeholtheit und Hingegebenheit ihrer Seele, … zusammengesunken, klein, kalt, mit verlorner Beziehung, weit, weit unter ihr …

      Und nach langer Zeit war es, als ob wieder ein vorsichtig tastender Finger die Klinke suchte, und sie wußte den Fremden lauschend vor ihrer Tür. Es schwirrte schwindelnd in ihr auf, zum Eingang zu kriechen und den Riegel zu lösen.

      Aber sie blieb in der Mitte des Zimmers auf der Erde liegen; es hielt sie noch einmal etwas auf, ein häßliches Gefühl von sich, ein Gefühl wie einst, wie ein Hieb durchschnitt ihre Sehnen der Gedanke, es möchte alles nur ein Rückfall in ihre Vergangenheit sein. Und plötzlich hob sie die Hände: Hilf mir, du, hilf mir! und fühlte es als Wahrheit und es war ihr doch nur ein leis zurückstreichelnder Gedanke: wir kamen aufeinander zu, geheimnisvoll durch Raum und Jahre, nun dringe ich in dich ein auf schmerzhaften Wegen.

      Und dann kam die Ruhe, die Weite. Das Hereinströmen der schmerzhaft gestauten Kräfte nach dem Durchbrechen der Wände. Wie ein glänzend stiller Wasserspiegel lag ihr Leben, Vergangenheit und Zukunft, in der Höhe des Augenblicks. Es gibt Dinge, die man nie tun kann, man weiß nicht warum, es sind vielleicht die wichtigsten; man weiß, es sind die wichtigsten. Man weiß, daß eine fürchterliche Beklemmung auf dem Leben liegt, eine steife Enge wie auf Fingern im Frost. Und manchmal löst sich das, manchmal wie Eis von Wiesen, man ist nachdenklich, eine dunkle Helligkeit ist man, die sich in die Weite dehnt. Aber das Leben, das knöcherne Leben, das entscheidende Leben hakt sich achtlos anderswo Glied in Glied, man handelt nicht.

      Sie erhob sich plötzlich vollends und der Gedanke es tun zu müssen trieb sie lautlos vorwärts; ihre Hände lösten den Riegel. Aber es blieb still, niemand pochte. Sie öffnete die Tür und sah hinaus; niemand, die leeren Wände starrten in dem trüben Licht der Lampe um einen leeren Raum. Sie mußte es nicht gehört haben, als er wegging.

      Sie legte sich

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