Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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manchmal Geschehnisse erleben, wenn man sie bloß als Handlungen tun könnte und mit niemandem und mit nichts. Aber da fielst du mir ein, und ich wußte nichts Bestimmtes, aber ich wies Demeter zurück, … es muß deine Art geben, für das Gleiche, eine gute …»

      Johannes stammelte: «Was meinst du?»

      Sie sagte: «Ich habe eine unklare Vorstellung von dem, was man einander sein könnte. Man hat doch Furcht voreinander, selbst du bist, manchmal wenn du sprichst, so hart und fest wie ein Stein, der nach mir schlägt: ich meine aber eine Art, wo man sich ganz in dem auflöst, was man einander ist, und nicht außerdem noch fremd dabei steht und zuhört … Ich weiß es nicht zu erklären, … das, was du manchmal Gott nennst, ist so …»

      Dann sagte sie Dinge, die Johannes völlig unklar blieben: «Er, den du meinen solltest, ist nirgends, weil er in allem ist. Er ist eine böse dicke Frau, die mich zwingt, ihre Brüste zu küssen, und ist zugleich ich, die manchmal, wenn sie allein ist, sich flach vor einem Schrank auf die Erde legt und so etwas denkt. Und du bist vielleicht so; du bist manchmal so unpersönlich und eingezogen wie eine Kerze im Dunkel, die nichts selbst ist und nur das Dunkel größer und sichtbarer macht. Seit ich dich damals dich fürchten sah, ist mir, als ob du zuweilen aus meinen Gedanken herausfielst, und nur die Furcht blieb wie ein dunkler Fleck und dann ein warmer, weicher Rand, der sie begrenzt. Und es kommt ja nur darauf an, daß man wie das Geschehen ist und nicht wie die Person, die handelt; man müßte jeder allein sein mit dem, was geschieht, und zugleich müßte man zusammen sein, stumm und geschlossen wie die Innenseite von vier fensterlosen Wänden, die einen Raum bilden, in dem alles wirklich geschehen kann und doch so ohne aus einem in den andern zu dringen, wie wenn es nur in Gedanken geschähe …»

      Und Johannes verstand nicht.

      Da begann sie sich plötzlich zu verändern, wie etwas zurücksinkt, selbst die Linien ihres Gesichts wurden hier kleiner und dort größer; gewiß, sie hätte noch etwas sagen gekonnt, aber sie schien sich selbst nicht mehr die zu sein, die eben noch gesprochen hatte, und nur zögernd, wie einen weiten ungewohnten Weg kamen ihre Worte: «… was denkst du? … ich glaube, so unpersönlich könnte überhaupt kein Mensch sein, könnte nur ein Tier … Hilf mir doch, warum kann ich immer dabei nur an ein Tier denken …?!»

      Und Johannes versuchte, sie irgendwie zu sich zu rufen, er sprach mit einemmal, er wollte plötzlich noch hören.

      Doch sie schüttelte nur den Kopf.

      Johannes; von da an fühlte Johannes eine furchtbare Leichtigkeit, an dem was er wollte, haarscharf noch vorbeizugreifen. Man kennt manchmal etwas nicht, das man im Dunkeln will, aber man weiß, daß man es verfehlen wird; man lebt dann sein Leben dahin wie in einem versperrten Zimmer, in dem man sich fürchtet. Es ängstigte ihn manchmal etwas, wie wenn er einmal plötzlich zu winseln anfangen könnte, auf vier Gliedern zu laufen und an Veronikas Haaren zu riechen; solche Vorstellungen fielen ihm ein. Aber nichts ereignete sich. Sie gingen aneinander vorbei; sie sahen einander an; sie wechselten belanglose oder suchende Worte – täglich.

      Und einmal zwar war ihm das plötzlich wie eine Begegnung in der Einsamkeit, um die die wirre, regellose Nähe mit einem Schlag fest und wie gewölbt wird. Veronika kam die Treppe herunter, an der unten er wartete; so standen sie vereinzelt in der Dämmerung. Und er dachte gar nicht, daß er von ihr etwas begehren wollte, aber wie wenn sie beide, wie sie dastanden, eine Phantasie in einer Krankheit wären, so anders notwendig erschien ihm, daß er da sagte: «Komm, gehen wir zusammen fort.» Doch sie antwortete etwas, wovon er nur verstand: … nicht lieben … nicht heiraten … ich kann die Tante nicht verlassen.

      Und noch einmal wiederholte er seinen Versuch, er sagte: «Veronika, ein Mensch, aber manchmal schon ein Wort, eine Wärme, ein Hauch ist wie ein Steinchen in einem Wirbel, das dir plötzlich den Mittelpunkt anzeigt, um den du dich drehst, … wir müßten gemeinsam etwas tun, dann fänden wir es vielleicht …» Doch ihre Stimme hatte noch mehr etwas Lüsternes als jenes Mal, da sie ihm das gleiche geantwortet hatte wie jetzt: «So unpersönlich kann wohl gar kein Mensch sein, könnte nur ein Tier …, ja vielleicht wenn du sterben müßtest …» Und dann sagte sie nein. Und da faßte ihn wieder dies, was eigentlich kein Entschluß war, sondern eine Vision, nichts was sich auf die Wirklichkeit bezog, sondern nur auf sich selbst wie eine Musik, er sagte: «Ich gehe fort; gewiß, vielleicht werde ich sterben.» Aber auch da wußte er, daß es nicht das war, was er meinte.

      Und stündlich in dieser Zeit suchte er sich Rechenschaft zu geben und fragte sich, wie sie in Wahrheit sein mußte, daß sie so viel vermochte. Er sagte manchmal: Veronika und fühlte an ihrem Namen den Schweiß, der daran haftet, das demütige, rettungslose Hinterhergehen und das feuchtkalte sich mit einer Absonderung Begnügen. Und er mußte an ihren Namen denken, sooft er die kleinen zwei Löckchen über ihrer Stirn vor sich sah, diese kleinen, sorgfältig wie etwas Fremdes an die Stirn geklebten Löckchen, oder ihr Lächeln, manchmal wenn sie bei Tisch saßen und sie die Tante bediente. Und er mußte sie ansehen, sooft Demeter sprach; aber er stieß immer wieder auf etwas, das ihn nicht verstehen ließ, wie ein Mensch gleich ihr zum Mittelpunkt seines leidenschaftlichen Entschlusses geworden sein konnte. Und wenn er nachdachte, war schon in seiner frühesten Erinnerung etwas längst Verflackertes wie der Duft verlöschter Kerzen um sie, etwas Umgangenes wie die Besuchszimmer im Haus, die reglos unter Leinenbezügen und hinter geschlossenen Vorhängen schliefen. Und nur wenn er Demeter sprechen hörte, Dinge so grauenhaft gewohnt und farblos wie diese von niemandem genützten Möbel, erschien ihm das alles wie ein Laster zu dritt.

      Und trotz allem mußte er später, wenn er an sie dachte, immer nur hören, wie sie nein sagte. Dreimal sagte sie plötzlich nein und er hörte sie ganz unbekannt darin. Einmal war es nur leise und dennoch sich merkwürdig schon aus dem Vorherigen herauslösend und durch das Haus gehoben und dann, dann war es wie ein Schlag mit der Peitsche oder wie ein besinnungsloses Sichfestklammern, aber dann war es noch einmal leise, zusammengesunken und fast wie ein Schmerz über Wehtun.

      Und zuweilen, jetzt schon wenn er an sie dachte, war ihm als ob sie schön wäre. Von einer höchst zusammengesetzten Schönheit, die man so leicht zu bewundern vergessen und wieder häßlich finden kann. Und er mußte denken, wenn sie vor ihm aus dem Dunkel des Hauses auftauchte, das sich hinter ihr ganz sonderbar ohne Bewegung wieder zusammenschloß, und mit ihrer machtvollen, ungewöhnlichen Sinnlichkeit – wie mit einer fremden Krankheit behaftet – an ihm vorüberglitt, er mußte dann jedesmal denken, daß sie ihn wie ein Tier empfand. Er fühlte es unbegreiflich und furchtbar in seiner größeren Wirklichkeit, als an die er zu Anfang geglaubt hatte. Und auch wenn er sie nicht sah, sah er alles mit übermäßiger Deutlichkeit vor sich, ihren hohen Wuchs und ihre breite, ein wenig flache Brust, ihre niedrige, wölbungslose Stirn mit den dicht und finster gleich über diesen fremden, sanften Löckchen zusammengeschlossenen Haaren, ihren großen, wollüstigen Mund und den leichten Flaum schwarzer Haare, der ihre Arme bedeckte. Und wie sie den Kopf gesenkt trug, als ob ihn der feine Hals nicht tragen könnte, ohne sich zu biegen, und die eigentümliche, fast schamlos gleichgültige Sanftmut, mit der sie den Leib ein wenig hervordrückte, wenn sie ging. Aber sie sprachen kaum mehr miteinander.

      Veronika hatte plötzlich einen Vogel rufen gehört und einen andern ihm antworten. Und damit endete es. Mit diesem kleinen zufälligen Ereignis, wie das so manchmal geht, endete es und es begann das, was nur mehr für sie war.

      Denn dann huschte, vorsichtig, hastig, wie die Berührung einer spitzen, schnellen, weichhaarigen Zunge, der Geruch des hohen Grases und der Wiesenblumen an den Gesichtern entlang. Und das letzte Gespräch, das sich träg hingezogen hatte, wie man etwas zwischen den Fingern bewegt, an das man längst nicht mehr denkt, brach ab. Veronika war erschrocken; sie merkte erst nachträglich, wie eigentümlich sie erschrocken war, an der Röte, die ihr jetzt ins Gesicht stieg, und an einer Erinnerung, die mit einemmal, über viele Jahre hinweg, wieder da war, unvorbereitet, heiß und lebendig. Es waren in der letzten Zeit allerdings so viele Erinnerungen gekommen und es war ihr, als ob sie diesen Pfiff schon in der Nacht vorher gehört hätte und in der Nacht vor vorher

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