Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Zeit, diese sonderbaren Erinnerungen, immer wieder, sie fielen links und rechts von etwas in ihr ein, davor und dahinter, wie nach einem Ziel ziehende Schwärme, ihre ganze Kindheit, diesmal aber wußte sie mit einer fast unnatürlichen Gewißheit, daß es das Richtige selbst war. Es war eine Erinnerung, die sie mit einemmal erkannte, über viele Jahre hinweg, endlich, unzusammenhängend, heiß und noch lebendig.

      Sie liebte damals die Haare eines großen Bernhardinerhundes, besonders die dort vorne, wo die breiten Brustmuskeln bei jedem Schritt über den gewölbten Knochen wie zwei Hügel hervortraten; es waren ihrer dort so übermächtig viele und so goldig braune, und das war so sehr wie unabsehbarer Reichtum und ruhig Grenzenloses, daß sich die Augen verwirrten, wenn man sie auch ganz ruhig nur auf einen Fleck gerichtet ließ. Und während sie sonst nichts empfand als ein einziges, ungegliedertes, starkes Gefühl des Gernehabens, jene zärtliche Kameradschaft eines vierzehnjährigen Mädchens und wie für eine Sache, war es hier manchmal fast wie in einer Landschaft. Wenn man geht und da ist der Wald und die Wiese und da der Berg und das Feld und in dieser großen Ordnung jedes nur wie ein Steinchen so einfach und fügsam, aber furchtbar zusammengesetzt ein jedes, wenn man es für sich anschaut, und verhalten lebendig, so daß man plötzlich in der Bewunderung Angst bekommt, wie vor einem Tier, das die Beine anzieht und reglos liegt und lauert.

      Aber einmal, als sie so neben ihrem Hunde lag, war ihr eingefallen, so müßten die Riesen sein; mit Berg und Tal und Wäldern von Haaren auf der Brust und Singvögeln, die in den Haaren schaukelten, und kleinen Läusen, die auf den Singvögeln saßen, und – weiter wußte sie es nicht, aber es brauchte noch kein Ende zu haben und wieder war alles so hintereinandergefügt und eins in das andere gepreßt, daß es nur wie eingeschüchtert von so viel Gewalt und Ordnung stillzuhalten schien. Und sie dachte heimlich, wenn sie zornig würden, müßte das plötzlich in sein tausendfältiges Leben schreiend auseinanderfahren und einen mit furchtbarer Fülle überschütten, und wenn sie dann in Liebe über einen herfielen, müßte es wie von Bergen stampfen und mit Bäumen rauschen und kleine wehende Haare müßten einem am Leibe gewachsen sein und kribbelndes Ungeziefer und eine in Seligkeit über etwas ganz Unsagbares kreischende Stimme und ihr Atem müßte das alles in einen Schwarm von Tieren einhüllen und an sich reißen.

      Und als sie da bemerkte, daß es ihre kleinen spitzen Brüste geradeso hob und senkte, wie dieser zottige Atem neben ihr auf und nieder ging, wollte sie es plötzlich nicht haben und hielt an sich, wie wenn sie sonst etwas heraufbeschwören könnte. Aber als sie sich nicht mehr dagegen zu stemmen vermochte und ihr Atem doch wieder so zu gehen begann, wie wenn ihn dieses andere Leben langsam an sich zöge, schloß sie die Augen und begann wieder an die Riesen zu denken, in einem unruhigen Ziehen von Bildern, aber viel näher jetzt und warm wie von niedrig dahinstreichenden Wolken.

      Als sie dann lange danach die Augen wieder öffnete, war alles wie früher, nur der Hund stand jetzt neben ihr und sah sie an. Und da bemerkte sie mit einemmal, daß sich lautlos etwas Spitzes, Rotes, lustweh Gekrümmtes aus seinem meerschaumgelben Vlies hervorgeschoben hatte, und in dem Augenblick, wo sie sich jetzt aufrichten wollte, spürte sie die lauwarme, zuckende Berührung seiner Zunge in ihrem Gesicht. Und da war sie so eigentümlich gelähmt gewesen, wie … wie wenn sie selbst auch ein Tier wäre, und trotz der abscheulichen Angst, die sie empfand, duckte sich etwas ganz heiß in ihr zusammen, als ob jetzt und jetzt … wie Vogelschreien und Flügelflattern in einer Hecke, bis es still wird und weich im Laut wie von Federn, die übereinandergleiten …

      Und das war dies von damals, gerade dieses sonderbar heiße Erschrecken war es, an dem sie jetzt plötzlich alles wiedererkannte. Denn man weiß nicht, woran man es fühlt, aber sie spürte es, daß sie jetzt, nach Jahren, in genau der gleichen Weise erschrocken war wie damals.

      Und dort stand, der heute noch abreisen sollte, Johannes, und da stand sie. Das waren bis hieher an dreizehn oder vierzehn Jahre und ihre Brüste waren längst nicht mehr so spitz und neugierig rotgeschnäbelt wie damals, sie hatten sich ein ganz klein wenig gesenkt und waren ein bißchen so traurig wie zwei liegengelassene Papiermützchen auf einer weiten Fläche, denn der Brustkorb hatte sich flach in die Breite gestreckt und das sah aus, wie wenn der Raum um sie davongewachsen wäre. Aber sie wußte das kaum, weil sie es im Spiegel sah, – wenn sie nackt war, im Bade oder beim Umkleiden, denn sie tat schon längst dabei nur mehr das, was eben zur Sache gehörte, – sondern sie spürte es bloß so am Gefühl, weil ihr manchmal vorkam, als hätte sie sich früher in ihre Kleider einschließen gekonnt, ganz fest und nach allen Seiten, während es jetzt nur war, wie wenn man sich mit ihnen bedeckte, und wenn sie sich erinnerte, wie sie sich selbst, so von innen heraus, spürte, war das früher wie ein runder, gespannter Wassertropfen und jetzt längst wie eine kleine, weichgeränderte Lache; so ganz breit und schlaff und spannungslos war dies Empfinden, daß es wohl überhaupt nichts als Trägheit und müde Lässigkeit gewesen wäre, hätte es sich nicht manchmal angefühlt, wie wenn sich etwas unvergleichlich Weiches ganz, ganz langsam in tausend zärtlich vorsichtigen Falten von innen her an sie schmiegte.

      Und es mußte bloß irgendwann einmal gewesen sein, daß sie dem Leben näher stand und es deutlicher spürte, wie mit den Händen oder wie am eigenen Leibe, aber schon lange hatte sie nicht mehr gewußt, wie das war, und hatte nur gewußt, daß seither etwas gekommen sein mußte, was es verdeckte. Und hatte nicht gewußt, was es war, ob ein Traum oder eine Angst im Wachen, und ob sie vor etwas erschrocken war, das sie gesehen hatte, oder vor ihren eigenen Augen; bis heute. Denn inzwischen hatte sich ihr schwaches alltägliches Leben über diese Eindrücke gelegt und hatte sie verwischt wie ein matter, dauernder Wind Spuren im Sand; nur mehr seine Eintönigkeit hatte in ihrer Seele geklungen, wie ein leise auf und ab schwellendes Summen. Sie kannte keine starken Freuden mehr und kein starkes Leid, nichts, das sich merklich oder bleibend aus dem übrigen herausgehoben hätte, und allmählich war ihr ihr Leben immer undeutlicher geworden. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre; sie fühlte wohl noch, daß ein jedes ein wenig hinwegnahm und etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab; sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst, und wenn sie sich innerlich betastete, fand sie nur den Wechsel ungefährer und verhüllter Formen, wie man unter einer Decke etwas sich bewegen fühlt, ohne den Sinn zu erraten. Es war allmählich, wie wenn sie unter einem weichen Tuche lebte, geworden oder unter einer Glocke von dünngeschliffenem Horn, die immer undurchsichtiger wurde. Die Dinge traten weiter und weiter zurück und verloren ihr Gesicht und auch ihr Gefühl von sich selbst sank immer tiefer in die Ferne. Es blieb ein leerer, ungeheurer Raum dazwischen und in diesem lebte ihr Körper; er sah die Dinge um sich, er lächelte, er lebte, aber alles geschah so beziehungslos und häufig kroch lautlos ein zäher Ekel durch diese Welt, der alle Gefühle wie mit einer Teermaske verschmierte.

      Und nur als diese seltsame Bewegung in ihr entstand, die sich heute erfüllte, hatte sie daran gedacht, ob es nun nicht vielleicht wieder wie vordem werden könnte. Und später hatte sie wohl auch daran gedacht, ob es nicht Liebe sei; Liebe? lange schon wäre die gekommen und langsam; langsam wäre sie gekommen. Und doch für das Zeitmaß ihres Lebens zu rasch, das Zeitmaß ihres Lebens war noch langsamer, es war ganz langsam, es war damals nur mehr wie ein langsames Öffnen und wieder Schließen der Augen und dazwischen wie ein Blick, der sich an den Dingen nicht halten kann, abgleitet, langsam, unberührt vorbeigleitet. Mit diesem Blick hatte sie es kommen gesehen und konnte darum nicht glauben, daß es Liebe sei; sie verabscheute ihn so dunkel wie alles Fremde, ohne Haß, ohne Schärfe, nur wie ein fernes Land jenseits der Grenze, wo weich und trostlos das eigene mit dem Himmel zusammenfließt. Aber sie wußte seither, daß ihr Leben freudlos geworden war, weil etwas sie zwang, alles Fremde zu verabscheuen, und während ihr sonst nur war wie jemandem, der den Sinn seines Tuns nicht weiß, dünkte sie jetzt manchmal, daß sie ihn bloß vergessen haben und sich vielleicht erinnern könnte. Und es quälte sie etwas Wunderbares, das dann sein müßte, wie die nahe unter dem Bewußtsein treibende Erinnerung an eine wichtige vergessene Sache. Und es begann dies alles damals, als Johannes zurückkehrte und ihr gleich im ersten Augenblick einfiel, ohne daß sie wußte wozu, wie Demeter ihn einst schlug und Johannes gelächelt hatte.

      Es war ihr seither,

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