Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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von dieser Spannung, dann schien sie nur zu leuchten, eine Helligkeit stieg in allen ihren Gliedern empor und sie fühlte sie wie von außen auf sich und wurde müde von sich wie von dem leise summenden Kreis einer Lampe. Und ihre Gedanken bewegten sich hindurch und hinaus in diese helle Schläfrigkeit, mit spitzen Verästlungen, die wie feinstes Geäder sichtbar wurden. Immer schweigsamer wurde es dann, Schleier sanken, sanft wie Schneetreiben vor beleuchteten Fensterscheiben um ihr Bewußtsein, hie und da knisterte groß und zackig darin ein Licht … Aber nach einer Weile hob sie sich wieder bis an die Grenze ihrer seltsam gespannten Wachheit und hatte plötzlich ganz deutlich die Empfindung: so ist jetzt Johannes, in dieser Art Wirklichkeit, in einem veränderten Raum.

      Kinder und Tote haben keine Seele; die Seele aber, die lebende Menschen haben, ist, was sie nicht lieben läßt, wenn sie es noch so wollen, was in aller Liebe einen Rest zurückhält, – Veronika fühlte, was durch alle Liebe sich nicht verschenken kann, ist das, was allen Gefühlen eine Richtung gibt, von dem weg, was ängstlich glaubend an ihnen hängt, was allen Gefühlen etwas dem Geliebtesten Unerreichbares gibt, etwas Umkehrbereites; selbst wenn sie auf ihn zukommen, etwas wie auf geheime Verabredung lächelnd Zurückblickendes. Aber Kinder und Tote, sie sind noch nichts oder sie sind nichts mehr, sie lassen denken, daß sie noch alles werden können oder alles gewesen sein; sie sind wie die gehöhlte Wirklichkeit leerer Gefäße, die Träumen ihre Form leiht. Kinder und Tote haben keine Seele, keine solche Seele. Und Tiere. Tiere waren schrecklich für Veronika in ihrer drohenden Häßlichkeit, aber sie hatten das punktförmig-augenblicks hinabtropfende Vergessen in den Augen.

      Irgend so etwas ist Seele für ein unbestimmtes Suchen. Veronika hatte sich ihr dunkles Leben lang vor einer Liebe gefürchtet und nach einer andern gesehnt, in Träumen ist es manchmal so, wie sie es ersehnte. Die Geschehnisse gehen in ihrer ganzen Stärke dahin, groß und schleppend, und doch wie etwas, das in einem ist; das weh tut, aber doch wie man sich selbst weh tut; das demütigt, aber nur: eine Demütigung fliegt wie eine ortlose Wolke dahin und es ist niemand da, der sie sieht; eine Demütigung fliegt wie die Wonne einer dunklen Wolke dahin … So schwankte sie zwischen Johannes und Demeter … Und Träume sind nicht in einem, sie sind auch nicht Bruchstücke der Wirklichkeit, sondern sie wölben irgendwo in einem Gesamtgefühl ihren Ort und dort leben sie, schwebend, schwerlos, wie eine Flüssigkeit in der andern. In Träumen gibt man sich so einem Geliebten hin, wie eine Flüssigkeit in der andern; mit einem veränderten Gefühl vom Raum; denn die wache Seele ist ein unausfüllbarer Hohlraum im Raum, hüglig wie blasiges Eis wird der Raum durch die Seele.

      Veronika vermochte sich zu erinnern, daß sie manchmal geträumt hatte. Sie hatte vor heute nie etwas davon gewußt, nur zuweilen war sie, wenn sie aufwachte, – wie einer andern Bewegung gewohnt – an die Enge ihres Bewußtseins gestoßen und irgendwo hinter einer Ritze war es noch hell, … nur eine Ritze, aber sie fühlte einen weiten Raum dahinter. Und jetzt fiel ihr ein, sie mußte oft geträumt haben. Und sie sah durch ihr waches Leben das ihrer Traumgebilde, wie unter der Erinnerung an Gespräche und Handlungen nach langer Zeit die Erinnerung an ein Gefüge von Gefühlen und Gedanken sichtbar wird, die verdeckt blieben, wie man sich stets nur an ein Gespräch erinnert hat und nun mit einemmal weiß, nach Jahren, unaufhörlich läuteten die Glocken währenddessen … Solche Gespräche mit Johannes, solche Gespräche mit Demeter. Und darunter begann sie den Hund, den Hahn, einen Schlag mit der Faust zu erkennen und dann sprach Johannes von Gott; langsam wie mit saugenden Enden schleiften seine Worte darüber hin.

      Auch Veronika hatte stets gewußt, irgendwo im Gleichgültigen, ein Tier, jeder kennt es, mit seinen übel dunstenden und widerwärtig schleimigen Häuten; aber in ihr war es nur eine unruhige, ungenau gestaltete Dunkelheit, die manchmal unter ihrem wachen Bewußtsein hinglitt, oder ein Wald endlos und zärtlich wie ein Mann im Schlaf, es hatte nichts in ihr von einem Tier, nur gewisse Linien seiner Wirkung auf ihre Seele, über sich hinaus verlängert … Und Demeter sagte dann: ich brauche mich bloß zu beugen …, und Johannes sagte mitten am Tag: es hat sich etwas in mir gesenkt, verlängert … Und es gab einen ganz weichen, blassen Wunsch in ihr, daß Johannes tot sein möge. Und es gab – verworren noch im Wachen – ein wahnsinnig stilles ihn Ansehn, wo sie ihre Blicke leise wie Nadeln in ihn hineingleiten ließ, tiefer und tiefer, ob nicht in einem Zittern seines Lächelns, in einem Verziehen seiner Lippen, in irgendeiner Bewegung der Qual etwas wie ein Toter Verschenktes sich ihr plötzlich mit der unberechenbaren Fülle des Lebendigen verwirklicht entgegenhübe. Seine Haare wurden dann wie ein Gestrüpp und seine Nägel wurden wie große glimmrige Platten, sie sah feuchtfließende Wolken im Weißen seiner Augen und kleine spiegelnde Teiche, er lag ganz geöffnet häßlich da, mit entwaffneten Grenzen, aber seine Seele war noch in einem letzten Gefühl nur von sich selbst verborgen. Und er sprach von Gott, da dachte sie: mit Gott meint er jenes andere Gefühl, vielleicht von einem Raum, in dem er leben möchte. Es war krank von ihr, was sie dachte. Aber sie dachte ja auch: ein Tier müßte wie dieser Raum sein, so nah vorübergleitend, wie Wasser in den Augen zu großen Figuren zerrinnt, und doch klein und fern, wenn man es als draußen vor sich sieht; warum darf man im Märchen so an Tiere denken, die Prinzessinnen bewachen? War es krank? Sie fühlte in dieser einen Nacht sich und diese Gebilde licht auf einer ahnungsvollen Angst des Wiederversinkens. Ihr kriechendes waches Leben würde wieder darüber zusammenbrechen, sie wußte es und sie sah, daß alles dann krank und voll Unmöglichkeiten war, aber wenn man seine verlängerten Einzelheiten halten könnte, wie Stäbe in einer Hand, ohne das Widrige, das hinzukommt, wenn sie sich zu einem wirklichen Ganzen verkleben …: ihr Denken konnte in dieser Nacht die Vorstellung einer gebirgsluftungeheuren Gesundheit erreichen, voll einer Leichtigkeit des Verfügens über ihre Gefühle.

      Wie in manchmal vor Spannung zerrissenen Ringen wirbelte dieses Glück durch ihre Gedanken. Du bist tot, träumte ihre Liebe und sie meinte nichts als dieses seltsame Gefühl mitten zwischen ihr und außen, in dem Johannes’ Vorstellung für sie lebte, aber die Lichter spiegelten sich heiß auf ihren Lippen. Und alles, was in dieser Nacht geschah, war nichts als ein solcher Schein der Wirklichkeit, der, irgendwo in ihrem Körper flackernd zwischen Stücken ihres Gefühls verrinnend, deren undeutliche Schatten nach außen warf. Ihr war dann, als fühlte sie Johannes ganz nahe bei sich, so nahe wie sich selbst. Er gehörte ihren Wünschen und ihre Zärtlichkeit ging ungehindert durch ihn, wie die Wellen durch jene weichen, purpurnen Glockentiere, die im Meere schweben. Zuweilen aber lag ihre Liebe nur weit und sinnlos über ihm wie das Meer, müd schon, manchmal wie das Meer vielleicht über seiner Leiche lag, groß und sanft wie eine Katze, die in zärtlichen Träumen schnurrt. Wie ein murmelndes Wasser rannen dann die Stunden.

      Und schon als sie aufschrak, empfand sie zum erstenmal Kummer. Es war kühl um sie, die Kerzen waren herabgebrannt und nur eine letzte leuchtete noch; auf dem Platz, wo sonst Johannes gesessen hatte, war jetzt ein Loch im Raum, das alle ihre Gedanken nicht füllen konnten. Und plötzlich verlosch lautlos auch dieses eine Licht, wie ein letzter Weggehender leise die Türe schließt; Veronika blieb im Dunkel.

      Demütig wandernde Geräusche gingen durch das Haus, die Stiegen schüttelten mit einem scheuen Dehnen den Druck der Schreitenden wieder von sich ab, irgendwo nagte eine Maus und dann bohrte ein Käfer im Holz. Als eine Uhr schlug, begann sie sich zu fürchten. Vor dem unaufhörlichen Leben dieses Dings, das, während sie übernächtig wachte, ruhlos beschäftigt durch alle Zimmer schritt, bald an der Decke, bald tief unten am Boden. Wie ein Totschläger ohne zu wissen zuschlägt und zerstückelt, bloß weil Zuckungen nicht aufhören wollen, hätte sie den leisen Klang, den sie jetzt ohne Ende hörte, packen mögen und würgen. Und mit einemmal fühlte sie ihre Tante schlafen, ganz rückwärts im hintersten Zimmer, mit vielen Runzeln in ihrem strengen Lederantlitz; und die Dinge standen dunkel und schwer und ohne Spannung; und sie ängstigte sich bereits wieder in diesem fremden, sie umschließenden Dasein.

      Und nur etwas, – aber es war kaum eine Stütze mehr, bloß ein langsam mit ihr Sinkendes, – hielt sie. Es war schon eine Ahnung in ihr, daß sie es nur selbst sei, die sie so fühlbar sinnlich empfand, statt Johannes. Es lag schon über ihrer Einbildung ein Widerstand von der Wirklichkeit des Tags, von Scham, von den festen Dingen geltenden Worten der Tante, von Demeters Hohn, ein Schließen der Enge, schon ein Abscheu vor Johannes, ein heraufdämmernder Zwang, dies

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