Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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leise sprächen. Sie verstand nicht, was sie sich sagten. Es war wunderbar heimlich, nicht zu verstehn, was sie sich sagten. Ihre Sinne waren in ganz dünne Flächen gespannt und diese Stimmen schlugen raschelnd daran wie die Zweige eines wirren Gestrüpps.

      Fremde Gesichter tauchten auf. Es waren lauter fremde Gesichter, die Tante, Freundinnen, Bekannte, Demeter, Johannes, sie wußte es wohl, aber doch blieben es fremde Gesichter. Sie bekam plötzlich Angst vor ihnen, wie jemand, der fürchtet, streng behandelt zu werden. Sie mühte sich, an Johannes zu denken, aber sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie er vor wenigen Stunden aussah, er verfloß ihr mit den andern; es fiel ihr ein, daß er von ihr weggegangen war, ganz fern, wie unter eine Menge; es war ihr, als ob irgendwo da heraus seine Augen listig und versteckt auf sie schauen müßten. Sie spannte sich ganz klein davor zusammen und wollte sich schließen, aber sie empfand sich nur mehr mit einer leise zerfließenden Deutlichkeit.

      Und allmählich verlor sie überhaupt das Gefühl, etwas anderes gewesen zu sein. Sie konnte sich kaum mehr von den andern unterscheiden und alle diese Gesichter waren kaum mehr voneinander zu unterscheiden, sie tauchten auf und verschwanden ineinander, sie waren ihr eklig wie ungekämmtes Haar und doch verstrickte sie sich in ihnen, sie antwortete ihnen, die sie nicht verstand, sie hatte nur das eine Bedürfnis, etwas zu tun, es war eine Unruhe in ihr, die unter ihrer Haut wie Tausende kleiner Tiere herauswollte, und immer neu tauchten die alten Gesichter auf, das ganze Haus war voll dieser Unruhe.

      Sie sprang auf und tat ein paar Schritte. Und plötzlich schwieg alles. Sie rief und nichts antwortete; sie rief noch einmal und hörte sich kaum. Sie sah suchend umher, reglos stand alles auf seinem Platz. Und doch fühlte sie sich.

      Was dann kam, war zunächst ein kurzes Taumeln durch wenige Tage. Eine verzweifelte Anstrengung manchmal, sich zu erinnern, was es gewesen sei, das sie jenes eine Mal wie wirklich fühlte, und was sie getan haben mochte, daß es so kam. Veronika ging in dieser Zeit unruhig durch das Haus; es kam vor, daß sie in der Nacht aufstand und durch das Haus ging. Aber sie spürte dabei zuweilen nur das Kahle, Weißgetünchte der im Kerzenschein um sie aufragenden Stuben, an dem die Finsternis noch wie in Fetzen hing; sie spürte es wie etwas schreiend Wollüstiges, das hoch und reglos an den Wänden aufgerichtet stand. Wenn sie sich vorstellte, wie der Fußboden unter ihren nackten Füßen dahinlief, konnte sie minutenlang bewegungslos dastehn und nachdenken, wie wenn sie in einem fließenden Wasser unter sich eine bestimmte Stelle mit den Blicken festhalten wollte; es packte sie dann ein Schwindel, der von jenen Gedanken ausging, die sie nicht mehr wahrnehmen konnte, und erst wenn sich ihre Zehen in die Fugen der Diele krampften und dort von dem feinen, weichen Staub berührt wurden oder ihre Sohlen die kleinen unreinen Rauheiten des Bodens empfanden, wurde ihr leichter, wie wenn sie einen Schlag auf den entblößten Körper empfangen hätte.

      Aber allmählich fühlte sie nur dieses Gegenwärtige und die Erinnerung an jene Nacht war nichts, das sie wieder erwartete, sondern nur jener Schatten von verborgener Freude an sich, den sie gewonnen hatte, auf der Wirklichkeit, in der sie lebte. Sie schlich manchmal bis an die verschlossene Haustür und lauschte, bis sie einen Mann vorübergehen hörte. Die Vorstellung, daß sie dort stand, in bloßem Hemd, fast nackt und unten offen, während draußen einer vorbeiging, so nah und nur durch ein Brett getrennt, bog sie fast zusammen. Am geheimnisvollsten schien ihr aber, daß auch draußen noch etwas von ihr war, denn ein Strahl ihres Lichts fiel durch den dünnen Schlüsselspalt und das Zittern ihrer Hand mußte in ihm tastend über die Kleider des Wanderers huschen.

      Und einmal dabei dachte sie plötzlich daran, daß sie jetzt mit Demeter allein in dem Haus war, mit diesem Lasterwirren. Sie zuckte zusammen und seither kam es, daß sie öfter auf den Treppen aneinander vorbeigingen. Sie begrüßten einander auch, aber nur mit ganz belanglosen Worten. Bloß einmal blieb er nah bei ihr stehen und sie suchten beide nach etwas anderem zum Sagen. Veronika bemerkte seine Knie in den engen Reithosen und seine Lippen, die wie ein kurzer breiter blutiger Schnitt waren, und sie dachte, wie Johannes wohl sein werde, da er doch wiederkommen wird; wie etwas Riesengroßes sah sie in diesem Augenblick die Spitze von Demeters Bart vor der fahlen Fläche eines Fensters. Und nach einer Weile gingen sie weiter, ohne noch gesprochen zu haben.

      Das verzauberte Haus

[Ältere Fassung zur «Versuchung der stillen Veronika», 1908]

      «Sie hätte mich damals ja beinahe vergiftet», beteuerte der Oberleutnant Demeter Nagy, so oft er später von seinem Abenteuer in dem verzauberten Hause erzählte. Es ereignete sich, als er während einer winterlichen Truppenkonzentrierung durch mehrere Wochen auf dem alten Stadtbesitz der gräflichen Familie einquartiert war, und begann damit, daß er am Tage vor einer kurz-dauernden Abkommandierung, – kopfschüttelnd, weil er ihn nicht verstand, – den Schluß eines Gespräches mit anhören mußte, der vom Nebenzimmer mit den fühlbar durch eine Erregung verstärkten Stimmen zweier Menschen zu ihm herübergetragen wurde. Es kam erst ein Nein, ganz leise und trotzdem sich merkwürdig aus dem Vorherigen herauslösend und durch das Haus gehoben, dann sprach ein Mann etwas, das er nicht recht hören konnte, und von da ab vernahm er mit voller Deutlichkeit jedes Wort.

      Eine tiefe, von der Leidenschaft in die Höhe getriebene und oben zerfallende Frauenstimme rief: «Lassen Sie mich, ich kann nicht! ich kann nicht!!» und die Worte brachen zackig wie mürbes Mauerwerk von ihr ab. Dann hörte Demeter wieder den Mann sprechen: «Trotzdem, Sie lieben mich! denn Ihr ganzes Wesen ist von dem meinen ergriffen, es hat keinen Gedanken, hinter dem nicht ich wäre, Ihr Leben begann erst mit dem meinen wieder. Täuschen Sie sich nicht selbst … Das ist Liebe; sagen Sie … Sie lieben mich …?» Und die Stimme der Frau antwortete stiller, aber sie stieg wieder während der Worte an und zerriß: «Ich? oh … vielleicht, das heißt nein, … nein ich weiß nicht.» Und Demeter hörte noch einmal den Mann sprechen: «So hören Sie, Viktoria, wenn Sie sich weigern, reise ich heute ab, morgen habe ich mein Leben weggeworfen, wenn Sie sich weigern. Sie wissen, wie dies in dem letzten Jahr nur mehr an Ihnen hing. Ich weiß, daß Sie mich lieben, morgen werden vielleicht auch Sie es wissen: ich frage Sie noch einmal, können Sie?» – Darauf trat eine kleine Stille ein und dann hörte Demeter «nein!» sagen und «nein!!» – zweimal wie mit der Peitsche oder wie ein besinnungsloses Sichfestklammern – und dann noch einmal nein, – leiser, zusammengesunken und wie ein Schmerz über Wehtun.

      Demeter Nagy pfiff, als er nichts mehr hörte, halblaut durch die Zähne, wie er dies in schwierigen Situationen seit seiner Knabenzeit zu tun pflegte, in deren Geschichten zwischen Indianern und Pfadfindern ihm dieses Zeichen tapferer Kaltblütigkeit zum erstenmal erstrebenswert erschienen war, dann klappte er mit den Absätzen zusammen, zog seinen Schnurrbart in die Höhe, schüttelte abermals den Kopf und lächelte. Es ging ihm, wie es auch andern geht, wenn sie plötzlich zwei Seelen mit blutigen Eingeweiden ineinander verschlungen sehen. Denn mag es sich um ein letztes Auseinanderreißen handeln oder um ein erstes Sichineinanderstürzen, um ein belauschtes Liebespaar oder um eines sterbenden Menschen schamlos vergessenes sich Stemmen und Klemmen: keiner weiß warum, aber man liebt nicht, daran erinnert zu werden, daß die äußersten Heimlichkeiten des Leides und der Lust, die man als die tiefsten Erregungen des eigenen Wesens ahnt, den einen ohne Unterschied gegen den anderen treffen; man fühlt das wie einen Eingriff, wie ein Zunahekommen, man rückt ab, man sucht unwillkürlich das gestörte Gleichgewicht wieder zu gewinnen und statt Mitgefühl zu empfinden wird man von einem ruchlosen Trieb der Notwehr gedrängt, das Gesehene als widerwärtig oder lächerlich zu fühlen. Auch Demeter war im Augenblick nach der ersten Überraschung versucht, den belauschten Auftritt unterhaltlich zu finden. Ruhig packte er seine Sachen weiter in die kleine Reisetasche, allmählich wurde er aber dabei nachdenklicher und nachdenklicher und endlich stand er eine Weile ganz still, voll Erstaunen und mit der Spannung eines Tiers, das eine Witterung bekommen hat. «Viktoria? Ja wie kam dieses Mädchen dazu?» Und Demeter überlegte.

      Aber immer wieder stieß er auf dieses Unpersönliche, das ihn nicht verstehen ließ, wie ein solcher Mensch zum Mittelpunkt eines leidenschaftlichen Ereignisses werden konnte. Es war etwas längst Verflackertes, wie der Duft verlöschter Kerzen um sie, etwas Umgangenes wie jene Salons, die reglos unter Leinenbezügen und hinter geschlossenen

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