Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 66

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

Ordnung und doch erschien ihr jedes, wenn sie es für sich ansah, furchtbar zusammengesetzt. Es war alles so verschlossen und alt wie ein kahler Greisenmund und doch verhalten lebendig. Es war, wie wenn diese Menschen, die hier kommen und gehen, immer die gleichen Menschen, in den Schränken und Wandverschalungen versteckt wären, sie treten heraus und treten hinein … immer wieder … heraus und hinein, wie von dem schläfernden Atem des Hauses in einer ungeheuren, langsamen, starren Regelmäßigkeit bewegt.

      Sie stand vor Demeters Zimmer, oben durch ein Stiegenfenster fiel ein breiter Lichtbalken ins Haus, Stäubchen tanzten darin und kleine Lebewesen; sie legten sich über sie, sie deckten sie zu und mit jedem Atemzuge drangen sie in sie ein. Träg strich diese Luft durch das Haus; Viktoria dachte daran, daß sie von einem zum andern strich und einen mit dem anderen füllte. Sie wurde von Ekel erfaßt und wollte sich verschließen, sie wollte nicht atmen, sie wollte überhaupt nicht mehr atmen, sie wäre gern tot gewesen. Aber langsam begann es, ihre Brust wieder zu heben und zu senken, ihr Leben ging weiter, unabhängig von ihr, als würde es von dieser fremden, übermächtigen Regelmäßigkeit ergriffen. Und nun packte sie die Angst vor allen denen, die in den Wänden versteckt waren. Sie saßen in diesem Hause wie scheue Vögel in den Haaren eines riesigen Tiers und schaukelten in der Dunkelheit und sahen sie an, und ganz heimlich, wie kleine Läuse auf solchen Vögeln krochen ihre Gedanken durch das Haus und füllten es mit sich und mit Liebe und Freundschaft wie mit einem weichen, klebrigen Leben, das sich lautlos in unaufhaltsamen Kreisen um Viktoria legte, enger und enger, und schweigend wuchs und stumm sich schloß und langsam sich über sie schob, … wie ein heißer, grauenhafter Leib, und reglos sie niederdrückte.

      Da schoß eine Lust in ihr herauf, mit den Zähnen in dieses Leben zu schlagen, damit es endlich schreiend auseinanderfahre und sie mit seiner Fülle überschütte und in seiner Gier über sie herfalle. Es war ein taumelndes Empfinden, ein letztes sich preisgeben und eine ätzend bittere Lüsternheit in ihr, wie wenn sie in einem trägen Wirrsal scheußlich verschlungener Menschen ihren Leib verloren hätte und nicht mehr wüßte, ob es etwas Fremdes ist, das gräßlich über ihn kriecht, oder ob er in der wollüstigen Verwirrung zuckend sich selbst berührte. Es faßte sie und riß sie an den Haaren empor, und in breiten Zügen wie ein trinkendes Tier, sog sie die Luft in sich ein; sie hätte sich in sie hineinwühlen, mit offenem Munde durch sie hindurch rasen mögen, sie wollte schmutzige Wäsche an die Lippen pressen und die Finger mit Unrat benetzen. Es war ihr dabei, als rauschten auf den Straßen die Bäume und dumpf in der Ferne stampften die Berge dazu, kleine Haare wehten flatternd auf ihrem Leibe, kribbelndes Ungeziefer wuchs ihr darauf und eine in Seeligkeit kreischende Stimme schrie in einem wilden, riesigen Atem hinein, der sie in einen Schwarm von Menschen und Tieren hüllte und an sich riß ………………………..

      Als Demeter kam, fand er Viktoria in seinem Zimmer, auf seinem Bett liegend und ein Hemd von ihm zwischen den Zähnen haltend. Als sie ihn auf sich zukommen sah, sprang sie auf und stieß ihn zur Seite; auf der Treppe holte er sie ein. Sie standen voreinander. Sie sah seine kurzen, gedrechselten Schenkel in den engen Reithosen und sie empfand seine Lippen unter dem Schnurrbart wie einen kleinen blutigen Schnitt, sein Gesicht stand wie etwas Brausendes vor ihr im Dunkel; sie erschrak so sonderbar davor, wie wenn sie ein Tier wäre. Es verwirrte sich wieder etwas in ihr; sie glaubte Ekel zu empfinden, aber es mußte doch auch eine Gewalt sein, er roch nach Staub und Schweiß und überhaupt wie ein Mann. Er griff nach ihrer Hand, aber sie ließ sich nicht ziehen; die Arme sanken wieder herunter und doch lief sie nicht weg. Es duckte sich etwas in ihr vor ihm, als ob jetzt und jetzt …, wie Vogelschreien und Flügelflattern in einer Dornenhecke, bis es still wird und weich im Laut, wie von Federn, die übereinander gleiten … Sie standen jetzt ganz nah nebeneinander, ihre Brust flog auf und nieder, er berührte mit seinem Fuß den ihren, ihre Arme lagen aneinander, er bog ihren Kopf herab, um sie zu küssen, und langsam sank sie, als ob etwas in ihr diese Bewegung freiwillig fortsetzte, zur Erde. Sie saß auf der Treppe, er kauerte neben ihr und dann geschah es. Ohne sich zu entkleiden, mit einem Lächeln, das sie wie eine Wunde im Gesicht fühlte, gab sie sich ihm hin; wie etwas Riesengroßes sah sie vor der fahlen Fläche des Fensters seine beiden Schnurrbartspitzen, sie dachte gar nichts. Nur als plötzlich irgendwo eine Tür ging, preßte sie unwillkürlich die Beine zusammen und wollte ihn wegstemmen, aber in diesem Moment bemerkte sie etwas in seinen Augen, ein leises Stöhnen kam aus ihm heraus, und sie fühlte ihn schwerer und sanfter auf sich lasten. Als sie in ihr Zimmer gekommen war, schlief sie vor Erschöpfung bis zum Abend. Als sie aufwachte, lag wieder dieses Leben vor ihrer Tür. Sie wollte auch die Nacht verschlafen, aber der Tag danach schien ihr wie etwas unter einem weißgespannten Tuche voll unerträglicher gleichmäßiger Helligkeit. Wenn sie an Demeter dachte, war ihr, als sei etwas Abscheuliches über sie gekrochen und trotzdem sah sie noch fortwährend seine Augen, die sie erregten. Sie wußte nicht, was sie wollte, sie hatte nur den Wunsch, sich in ihrem Zimmer zu verschließen, damit sie an all das nicht denken müsse. Da klopfte Demeter, der in seinen kleinen Pantoffeln, auf denen ein Herz gestickt war, an ihre Tür geschlichen kam … Er setzte sich auf den Rand ihres Bettes und gerade als sie sich von ihm weg und zur Wand drehte, hörte man von der Straße unten herauf eine helle Tenorstimme durch das Haus schallen. «Demeter, Demeter bácsi, wo bist du?» Und Demeter sagte ärgerlich, «duhmer Kärl, ich kohm ja gleich. Wollen wir zusperren, Mähderl, sonst – der taktlose Mensch ist nämlich imstand und geht mich suchen.»

      Die Versuchung der stillen Veronika

[Fragment – vor 1908]

      Cäcilie, die Tochter des Apothekers, heiratete, und ihre Freundin Veronika, die Tochter des Notars half ihr am Vorabend beim Anprobieren des Brautkleides. Das mit altem Holz getäfelte Zimmer lag fast schon im Dunkeln und in der Ecke, von wo aus der Apotheker behaglich dem Tun der drei Frauen zusah, schwamm es überhaupt nur mehr von Schwarz als die Apothekerin immer noch kniete zu Füßen Cäciliens, die steif und hoch aufgerichtet vor dem einzigen, breiten Fenster stand, und spente ab und zu noch etwas mit den kleinen Nadeln fest, die sie aus einer neben ihr am Boden stehenden Schale nahm. Veronika aber stand nebenbei, hielt hier eine Falte, rückte dort etwas zurecht und ging u kam alle Augenblicke um etwas zu bringen, das man gerade notwendig brauchte. Seine Hochwürden, Cäciliens Bruder, war ausgegangen.

      Wenn Veronika ging, so hielt sie den Kopf gesenkt, wie unter der Last der im Kranz um ihn gelegten Zöpfe, und den Leib drückte sie ein wenig hervor, aber sie hatte trotzdem eine eigentümliche gleichgültige Sanftmut in der Art zu gehen, denn das Dunkel teilte sich ganz weich und leise vor ihr und schloß sich hinter ihr ganz ohne Bewegung zusammen, wie wenn sie lautlos mit einer … hindurchglitte.

      Als sie jetzt wiederkam, war die Apothekerin gerade aufgestanden und hatte den Brautkranz auf Cäciliens Haar gesetzt. Sie wandte sich langsam herum, denn sie war von dem langen Knien etw. steif geworden, und fragte mit einer Stimme, die auf gar keine Antwort wartete, «steht er ihr nicht wunderbar, Vronerl?» – und Veronika lächelte. In der Tat sah Cäcilie, in diesem Augenblick mit den weißen Myrthen im dunkelbraunen Haar sich groß gegen die bleiche Fläche des Fensters abhebend, sehr hübsch aus. Der Apothekerin begannen bei diesem Anblick langsam die Thränen zu kommen. «Morgen um diese Zeit, Cilli – Cilli! – bist du nicht mehr hier!» – und sie konnte vor Weinen nicht weitersprechen, auch Cäcilie rannen dabei die Thränen über die Wangen. «Ja, so ein Tag,» meinte der Apotheker, «reißt alles auseinander, was man in Liebe jahrelang behütet hatte, u. wie wenn man ein Pflanzerl noch so vorsichtig aushebt, gibt es ein Loch in der Erde aber das muß schon so sein» aber man konnte es seiner Stimme anmerken, daß er absichtlich zu philosophieren begann, um die Rührung zu verbergen, die auch ihn übermannt hatte. Und schließlich, um der Stimmung ein Ende zu machen, zwang er sich gar zu scherzen. «Na Vronerl,» meinte er mit ein wenig unsicherer Lustigkeit, «und wann werden denn wir so dastehn?»

      Veronika drehte sich bedächtig und wie erstaunt nach ihm um. Sie spürte dabei etwas Heißes auf der Wange und merkte erst jetzt, daß auch sie, von der allgemeinen Rührung ergriffen, feuchte Augen bekommen hatte. Bevor sie aber noch antworten konnte, hatte sich schon die Apothekerin wieder gefaßt und begann zu sprechen und Cäcilie war plötzlich wieder erwacht und half ihr als ob es etwas zu verreden gälte.

      Nicht

Скачать книгу